Tennis:Oh, Rischaaaa!

Richard Gasquet of France serves during his French Open men s fourth round match against Kei Nishiko

Virtuoser Ballkünstler: Noch fehlt Richard Gasquet allerdings der eine große Titel als Tennisprofi.

(Foto: UPI Photo/imago)

Richard Gasquet erreicht bei seinem 13. Versuch das Viertelfinale der French Open und nährt die Hoffnung der französischen Tennis-Nation.

Von Philipp Schneider, Paris

Wie ein Trampolin setzt sich der Brustkorb von Henri Leconte in Bewegung, der lässig in der vorletzten Reihe fläzt. Die Beine hat er so weit ausgefahren, dass die Fußspitzen unter dem Vordersitz lagern, und den linken Arm auf der Lehne abgelegt, die zu dem zweiten Stuhl links neben ihm gehört. "Oh, Rischaaaa", brummt Leconte, und noch mal: "Oh, Rischaaaa", die ganze Reihe beginnt zu wackeln. Der lachende Leconte in der vorletzten Reihe ist in diesem Moment so etwas wie die entscheidende Requisite für ein perfektes Bühnenbild. Vorne sitzt der von Talent gesegnete Richard Gasquet, dem mit 29 Jahren noch immer ein großer Titel fehlt. Und hinten vibriert Leconte, 52, inzwischen Fernsehkommentator, dem die Franzosen nicht vergessen haben, dass auch er nie ein Grand-Slam-Turnier im Einzel gewann. Zwei Franzosen, vereint im Wissen um das Gefühl, die großen Erwartungen einer Nation nicht erfüllt zu haben. Oh, Rischaaa.

Gasquet ist nach seinem Viersatz-Erfolg gegen Kei Nishikori gefragt worden, weshalb er 13 Jahre Anlauf benötigte, um in das Viertelfinale der French Open einzuziehen. "Nun, es regnet, richtig?", hat er geantwortet: "Yeah, es regnet, Mann!" Die Leute im Saal, nicht nur Leconte, sie alle begannen zu lachen. Nicht, weil Gasquet einen Scherz gemacht hätte. Gasquet hatte die Wahrheit erzählt, und manchmal ist die Realität ja irrwitziger als die Fiktion.

Im Alter von neun Jahren lächelt er von dem Cover eines Tennismagazins

Bis zur Regenpause war Gasquet chancenlos gewesen gegen den Weltranglistensechsten. 2:4 lag er hinten im ersten Satz, bei Vorteil für den Japaner. Als die Spieler zurückkehrten, war der Sand tiefer und die Bälle schwerer, Gasquet holte sich sechs Spiele nacheinander und gewann noch den ersten Satz. "Tja, das wird schon der Grund gewesen sein, weshalb er so gut gespielt hat heute", fand auch Nishikori, der Gasquet zuletzt erst in Rom und Madrid besiegt hatte. Aber da waren die Plätze trocken gewesen. Und Nishikori hatte Gasquet mit seiner kraftvollen Rückhand vor sich her treiben können. W eil es zu regnen begann, gibt es für die Franzosen nun diese schöne Geschichte: Gasquet steht endlich im Viertelfinale der French Open. Als 13. Franzose seit 1968, dem Beginn der Open Era im Tennis. "La fureur de vaincre", schreibt L'Equipe, der Furor des Sieges. Gasquet hat es tatsächlich auf die Titelseiten geschafft am ersten Tag einer Woche, in der in Frankreich die Fußball-Europameisterschaft beginnt. Und die Franzosen hoffen, dass dieser Spieler mit den ungewöhnlich schmalen Schultern, den sie früh wegen seiner ersichtlichen Begabung Mozart nannten, endlich ein Versprechen einlöst, von dem sie glauben, er hätte es selbst gegeben.

Eine Wunderkarriere ist Gasquet ja vorhergesagt worden. Im Alter von neun Jahren lächelte er vom Cover eines Tennismagazins. Mit 15 Jahren und zehn Monaten war er der jüngste Spieler, der ein Match beim Masters in Monte Carlo gewann, mit 16 gewann er die Juniorenwettbewerbe bei French Open und US Open.

Als sei es vorherbestimmt, gelang ihm darauf auch der Sprung zu den Profis, auf der Tour feierte er die ersten Erfolge; 2007 geriet zu seinem besten Jahr: In Wimbledon zog er erstmals ins Halbfinale ein, verlor dort erst gegen Roger Federer. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits Turniere auf allen Bodenbelägen gewonnen, und manch Beobachter erkannte in Gasquet das Potenzial eines Top-5-Spielers. Es folgte ein bitterer Absturz: Als 2009 bei einer Doping-Probe in Gasquets Blut Spuren von Kokain gefunden wurden, beteuerte er seine Unschuld. Er überzeugte die Sportrichter, er habe in Miami beim Küssen in einer Bar die Droge aufgenommen, ohne es zu wissen. Gasquet erstattete Anzeige gegen Unbekannt und seine ursprünglich für ein Jahr angedachte Sperre wird auf zwei Monate und 15 Tage verkürzt. Gasquet stabilisierte seine Karriere, hin und wieder sorgte er auch für positive Schlagzeilen: 2013 zog er ins Halbfinale der US-Open ein, 2015 in das von Wimbledon. Sand ist nicht sein liebster Belag, aber Gasquet ist nun einmal Franzose. Und von einem Franzosen erwarten die Franzosen, dass er in Roland Garros gewinnt. Auch deshalb stellte Gasquet Ende 2013 den Spanier Sergi Bruguera als Trainer ein, der als Profi 1993 und 1994 in Paris triumphierte - und der seitdem vor allem Gasquets Physis verbessert hat, damit der im schweren Sand von Roland Garros bestehen kann. Seit 33 Jahren wartet die Grande Nation auf einen wie Yannick Noah, der als letzter Franzose die Coupe des Mousquetaires  stemmte.

Gasquet findet, die Franzosen sind "nicht gut genug, um ein Grand Slam zu gewinnen"

Vor ein paar Tagen wurde Gasquet gefragt, was von der gegenwärtigen Tennis-Generation noch zu erwarten sei. Vier Franzosen stehen in der erweiterten Weltspitze, zwischen Weltranglistenplatz sieben und 17: Tsonga, Simon, Monfils und Gasquet. Außer Gasquet ist keiner mehr im Wettbewerb. "Wir sind nicht gut genug für die Top 5, auch nicht gut genug, um ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen", antwortete Gasquet: "Noch sind unsere Karrieren nicht zu Ende, aber wir haben unser Bestes gegeben." Unser Bestes gegeben? Das war nicht das, was die Franzosen hören wollten. In ihren Ohren klang das wie die Schutzbehauptung eines Viertklässlers, der mit einer Fünf in Mathe nach Hause kommt, weil er nicht genug gelernt hat und den Eltern dann sagt: Hört zu, mehr ist nicht drin. Ich bin eher der musische Typ.

Gasquet trifft nun auf den Weltranglistenzweiten Andy Murray, das klingt nach Endstation. "Ich kenne ihn gut. Bei Grand-Slams hat er mich immer besiegt, aber ich habe große Lust, das zu ändern." In den nächsten Tagen soll es wieder regnen. Es ist Mozartwetter in Paris.

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