Tennis:Martina Navratilova: Kerber spielt zu defensiv

Die frühere Weltklasse-Tennisspielerin äußert Kritik an der Deutschen. Auch in Sachen Nummer eins der Welt hat sie eine klare Tendenz.

Aufgezeichnet von Gerald Kleffmann, Melbourne

Das Gedränge war groß, als sich die früheren Profis zum Gruppenfoto postierten. Die "Legends", wie sie bei den vier Veranstaltungen in Paris, Wimbledon, New York und gerade in Melbourne präsentiert werden, bestreiten nun im Rahmen der Australian Open auch ein kleines Turnier, im Doppelformat. 130 Grand-Slam-Titel vereinen diesmal die 28 Auserwählten, zu denen Spieler wie Carlos Moya, Goran Ivanisevic, Michael Chang, Pat Cash, Mary Joe Fernandez und Lindsay Davenport zählen.

Auch Martina Navratilova nimmt wieder an dieser Veranstaltung teil, die heute 60-Jährige ist die mit weitem Abstand erfolgreichste Spielerin. Sie hat im Einzel 18, im Doppel 31 und im Mixed zehn Grand-Slam-Trophäen gewonnen. In einer kleinen Runde nahm sich Navratilova kurz Zeit, um auch über die deutschen Profis Angelique Kerber und Mischa Zverev zu reden.

Frage: Frau Navratilova, Glauben Sie, dass Serena Williams bald wieder die Nummer eins sein wird?

Navratilova: Es sieht danach aus. Sie ist nun der große Favorit, und alle Spielerinnen richten sich immer nach ihr aus und schauen, in welcher Hälfte sie ist. Sie ist immer die Person, die es zu schlagen gilt. Und wenn sie gewinnt, wird sie automatisch die Nummer eins.

Titelverteidigerin Angelique Kerber hat nun im Achtelfinale dieser Australian Open verloren. Sie ging erstmals - weil die neue Weltranglisten-Erste - als die Topgesetzte in ein Grand-Slam-Turnier. Bei der 2:6, 3:6-Niederlage gegen die Amerikanerin Coco Vandeweghe war sie aber chancenlos.

Wenn man plötzlich die Nummer eins der Welt wird, ist das ein anderer Druck, den man spürt. Es braucht seine Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Man erhält auf einmal noch mehr Aufmerksamkeit, und sie hat ja auch Serena Williams die Nummer-eins-Position abgenommen. Das war etwas Besonderes. Jetzt schaut man ihr eben genau über die Schulter. Du weißt ja nie, wie Menschen dann auf solche Situationen reagieren. Angie hat auf jeden Fall defensiver gespielt, als sie es hätte tun sollen. Manchmal wirst du die Nummer eins und willst diesen Platz verteidigen - und dann spielst du auch so. Aber dann verlierst du gegen die anderen. Das ist am Sonntag passiert. Du kannst nicht einfach deinen Platz nur verteidigen, du musst vorangehen und offensiver spielen. Gegen Vandeweghe hat sie sich viel zu weit hinter die Grundlinie fallen lassen, und dann wurde sie von Platz geschossen. Sie sollte aggressiver spielen.

Serve & Volley hat eine Art Revival. Vandeweghe spielte sehr offensiv gegen Kerber, der Deutsche Mischa Zverev besiegte den Weltranglisten-Ersten Andy Murray auch dank 118 Netzangriffen. Sie waren eine der Besten, wenn es darum ging, Serve & Volley zu spielen. Ihnen müssten Erfolge wie die von Vandeweghe und Zverev sehr gefallen.

Mir gefällt vor allem, dass sie die Plätze hier schneller gemacht haben. Wenn noch auf dem alten Rebound-Ace-Belag und den alten Bällen von vor 20 Jahren gespielt werden würde, hätte Mischa Zverev sein Match nicht gewonnen. Die technologische Entwicklung - gerade bei den Schlägern und den Tennissaiten - verschafft den Grundlinienspielern so einen großen Vorteil. Jetzt müssen wir das durch den Belag ausgleichen. Wenn du schnellere Plätze hast, kannst du wieder aggressiver spielen. Serve & Volley wird dann auch wieder gewinnen. Dann gäbe es auch wieder mehr unterschiedliche Spielstile. Und dann würden sich wieder andere ermutigt fühlen, auch so zu spielen. Das würde ich gerne sehen.

Haben Sie die Niederlage von Murray gegen Mischa Zverev kommen sehen?

Keiner sah das kommen, Mischa hat noch nie so gut in seinem Leben gespielt. Andererseits war es aber auch keine Überraschung, denn in den vergangenen sechs Monaten hatte er schon gezeigt, dass er großartiges Tennis spielen kann.

Hat Mischa Zverev eine Chance gegen Roger Federer? Der 29-Jährige trifft im Viertelfinale am Dienstag in der Rod Laver Arena (9 Uhr MEZ, live in Eurosport) auf den 17-maligen Grand-Slam-Sieger aus der Schweiz. Es ist sein absoluter Karriere-Höhepunkt, noch nie stand der Bruder des aufstrebenden Alexander, 19 (Nummer 24 der Weltrangliste) in der Runde der letzten acht. Und dann trifft er nun auf sein Vorbild.

Nein, ich glaube nicht, dass er eine Chance hat. Weil Mischa gerne nach vorne kommt, Roger aber auch Tempo aus den Ballwechseln nehmen kann. Und Roger wendet ja selbst auch Serve & Volley an. Ich denke, Roger wird Mischas Aufschlag auch besser returnieren, als es Andy Murray getan hat. Roger spielt die Passierbälle zudem mehr Topspin. Der Ball kommt dadurch eher runter und fliegt tiefer. So öffnet sich das Feld. Ich sehe nur eines: Das Match wird sich zugunsten Rogers entwickeln.

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