Tennis:Immer drei Schläge voraus

Martina Hingis

Triumph in Wimbledon: Martina Hingis wird 1997 zur jüngsten Siegerin der All England Championships.

(Foto: dpa)

Mit 16 wurde Martina Hingis Nummer eins, mit 37 hört sie jetzt auf - als beste Doppelspielerin der Welt. Roger Federer und andere Weggefährten blicken zurück auf eine ungewöhnliche Laufbahn.

Von Simon Graf, Marco Keller und René Stauffer

Die Schweizerin Martina Hingis zählt nicht zu den konstanten Seriensiegerinnen im Tennis, war aber doch eine der spannendsten Figuren. Schon als 16-Jährige wurde sie Nummer eins der Weltrangliste und stand dort 209 Wochen. 2002 beendete sie verletzungsbedingt ihre Einzelkarriere, 2007 zog sie sich nach einer positiven Kokain-Probe zurück. Später errang sie noch Grand-Slam- und Olympiaerfolge im Doppel und Mixed. Hingis' letzte Partie war am Samstag eine Halbfinal-Niederlage an der Seite ihrer Partnerin Chan Yung-Jan (Taiwan) beim Saisonabschluss 2017 in Singapur. Fünf Weggefährten blicken zurück:

Chris Evert (USA), zwölffache Grand-Slam-Siegerin: "Immer drei Schläge voraus"

"Martina spielte immer so flüssig und ­intelligent, sie hat ihre Gegnerinnen nie weggedrückt. Das erinnerte mich an mich. Wir sind beide keine Kraftpakete und nicht 185 Zentimeter groß, aber wir konnten den ganzen Tag auf dem Platz stehen, wenn es sein musste. Ich konnte mich gut in sie hineinversetzen, wir haben beide konstant gespielt und die Gegnerinnen zu Fehlern gezwungen. Martina dachte ­immer drei Schläge voraus, das machte sie einzigartig. Und sie brachte frischen Wind auf die Tour. Von der Verbissenheit vieler anderer war bei ihr nichts zu sehen, aber man hat genau gespürt, dass sie im Innern unbedingt gewinnen wollte.

Das Wunderbare an ihr ist: Sie war die Nummer eins im Einzel und dominierte ihre Ära, dann kam sie zurück und gewann noch so viele Grand-Slam-Titel im Doppel. Niemand hat das je geschafft. Und sie ist so gut, sie hat mit jeder Partnerin, mit der sie spielte, auch gewonnen. Ich dachte immer, Martina Navratilova sei die größte Doppelspielerin aller Zeiten, aber Martina stelle ich auf die gleiche Stufe. Sie spielte so lange so erfolgreich, weil sie das Tennis so liebt und auch andere Interessen hat. Sie ist kein Roboter. Das merkte man auf dem Platz."

Roger Federer, 19-facher Grand-Slam-Sieger: "Ein Glücksfall für mich"

"Ich möchte mich bei Martina bedanken für alles, was sie getan hat. Ihre Partien waren wunderbar. Sie hat eine große ­Leidenschaft für das Tennis, und es wäre gut, wenn ihr Leben weiter mit diesem Sport verbunden bleiben würde. Ich bin gespannt, was sie nun machen wird. Vor ihr war es Marc Rosset, der im Schweizer Tennis das Träumen erlaubte. Dann kam sie, und diese Träume wurden größer. Sie gewann Grand Slams und ­wurde die Nummer eins, etwas, das man in der Schweiz zuvor nicht gekannt hatte. Und das schon mit 17 Jahren. Das verdient ­Respekt.

Ich erinnere mich gut, wie kompliziert für mich in diesem Alter alles war. Es ist schade, dass wir sie nicht mehr spielen sehen werden. Aber es ist kein Schock, denn im Einzel hatte sie ja schon lange aufgehört. Und ich vernahm schon vor Monaten, dass dies ihre letzte Saison sein könnte. Sie hatte viel Talent und Antizipationsvermögen, aber da wurde auch hart gearbeitet. Martina war eine der ­Personen, die mir zeigten, was es braucht, um die Nummer eins zu sein. Ein Glücksfall für mich. Sie war immer sehr freundlich, offen und aufrichtig, das mag ich. Ich bin froh für sie, dass sie den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören gefunden hat."

"Sie gibt sehr viel Liebe"

Martina Hingis

Martina Hingis bei ihrem letzten Turnier in Singapur.

(Foto: Yong Teck Lim/AP)

Melanie Molitor, Mutter: "Stolz auf sie als Mensch"

"Martinas Rücktritt stimmt mich nicht traurig, er kam ja nicht von einem Tag auf den anderen. Ich bin froh, wie es gelaufen ist für sie, dass sie sich nun entschieden hat aufzuhören. Martina hat das Doppel bereichert und noch einmal bestätigt, dass sie die beste Tennisspielerin ist. Davon bin ich überzeugt, auch wenn andere Spielerinnen noch mehr Erfolg hatten. Ihr Vermächtnis im Frauentennis ist, dass sie gezeigt hat, dass man nicht nur mit Kraft und Kondition, sondern auch spielerisch gewinnen kann, wenn man perfekt spielt und alle Schläge beherrscht. Für das Tennis war das wichtig, nach der Ära von Martina Navratilova und Steffi Graf, die sehr physisch auftraten. Martina zeigte einen anderen Weg und war vier Jahre die Nummer eins - in einer Zeit, als die ­Williams-Schwestern schon da waren.

Für mich gibt es nicht eine herausragende Erinnerung an ihre Karriere. Aber viele schöne Momente: immer dann, wenn sie mit Freude dabei war und zeigte, wie gut sie spielen kann. Egal, ob an einem kleinen Turnier oder einem Grand Slam. Worauf ich am meisten stolz bin? Dass sie als Mensch geblieben ist, wie sie ist - ­offen, freundlich, emotionell. Und dass sie die Freude am Sport bewahrt hat."

Timea Bacsinszky (Schweiz), Olympia-Doppelpartnerin: "Sie gibt sehr viel Liebe"

"In meiner Kindheit war Martina sehr präsent. Mein Vater setzte mich stets unter Druck, so zu werden wie sie. 'Hör endlich auf mit Martina!', dachte ich zigmal. Heute schätze ich mich glücklich, sie eine Freundin nennen zu dürfen. Unser Olympia­silber von Rio wird uns stets verbinden. Aber vor ­allem habe ich sie als Mensch sehr schätzen gelernt. Sie ist ganz anders, als sie dargestellt wird, unglaublich großzügig. Damit meine ich nicht das Materielle, ­sondern, dass sie sehr viel Liebe gibt.

Wir kennen uns schon über zehn Jahre, besser lernten wir uns aber erst am Fed-Cup in Zielona Gora (im April 2015) kennen. Ich weiß noch, wie wir gemeinsam trainierten. Ich merkte sofort: Jetzt sind wir an der Arbeit. In sieben Minuten brauchten wir nur zwei Bälle, keine von uns verschlug.

Ihre Stärken als Spielerin sind ja wohlbekannt. Sie hat ein exzellentes Ballgefühl und eine einzigartige Übersicht. Sie könnte locker noch ein paar Jahre weiterspielen. Aber ich denke, ihre Entscheidung zum Rücktritt ist wohlüberlegt. Sie kann auf dem Gipfel aufhören, als Nummer eins, das freut mich sehr für sie. Wobei: Der Fed-Cup-Titel fehlt ihr noch. Falls sie also einfach nur noch Fed-Cup spielen möchte, sie wäre herzlich willkommen!"

Yung-Jan Chan (Taiwan), Doppelpartnerin: "Martina war mein Idol"

"Dieses Jahr werde ich nie vergessen. ­Martina war mein Idol, seit ich acht war, nun hatte ich das Privileg, mit ihr zu ­spielen. Alles begann, weil sie mir offerierte, einzuspringen, falls meine Schwester aus­falle. Es war wie ein Traum, und dann war unsere Reise sehr emotional. Natürlich hätten wir uns ein anderes Ende gewünscht (sie scheiterten beim Doppel-Masters in Singapur im Halbfinale), aber die ­Gesamtbilanz bleibt unglaublich. Neun Turniersiege, für mich der ­erste Grand-Slam-Titel und das gemeinsame Nummer-1-Ranking.

Ich habe so viel von Martina gelernt. Am meisten geprägt haben mich ihre ­Lockerheit und ihr Lächeln. Sogar, wenn wir einen einfachen Smash oder Volley ­verschlugen, lächelte sie und war schon beim nächsten Punkt wieder positiv. ­Darum kann ich mir nun nicht ­erlauben, traurig zu sein, obwohl es mir enorm wehtun wird, Martina Ciao zu ­sagen. Dies liegt auch daran, dass wir uns auch neben dem Platz sehr gut verstanden. Wir haben so viele gemeinsame ­Interessen wie das Essen und Shopping, wir hatten es immer sehr lustig. Ich bin Martina dankbar für die gemeinsame Zeit, und es ist klar: Ich hätte in ihrer Situation auch so entschieden."

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