Tennis:Kerber genießt die schöne Wirklichkeit

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Grand-Slam gewonnen, Wette verloren, ab zum Tanzkurs. Angelique Kerber strahlt auf der Pressekonferenz, die verlorene Wette ist ihr wohl gleich. (Foto: Filip Singer/dpa)

Nur fünf Minuten zum Duschen und Interviews bis drei Uhr nachts - Angelique Kerber erlebt nach ihrem Triumph von Melbourne einen berauschenden Abend.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Es regnete mal wieder, dieser australische Sommer ist auch nicht mehr das, was man sich darunter immer vorstellen mag. Aber Angelique Kerber hat sicher nicht einen Tropfen gespürt. Gerade hatte sie den x-ten Termin gehabt, ein schnelles Fotoshooting außerhalb der Rod Laver Arena. Schon ging es weiter. Eskortiert von mehreren Frauen und einem Mann, der mit seinen weißen Handschuhen einen funkelnden Pokal trug, bog sie um die Ecke ins Spielerrestaurant ein. "Angieeeee, Angieeee", johlte ihr eine Gruppe zu. Es war ihr Team, Torben Beltz war darunter, ihr Trainer, und Simon Iden, ihr neuer Physio. "Ich hab' schon drei Bierchen getrunken", gestand Iden, Beltz korrigierte und ergänzte: "Wir haben doch schon zehn weg." Kerber stand nur da und strahlte. "Und morgen springen wir in den Fluss", sprach sie, "mit schwimmen und so." Wieder prusteten alle los.

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An Fröhlichkeit war dieser Moment nicht zu überbieten, man wird ja auch nicht alle Tage Grand-Slam-Siegerin. Als eine Stunde zuvor Bruce McAvaney, ein Moderator vom Channel 7, der die TV-Rechte an den Australian Open besitzt, zu Kerber vor der Ehrung sagte: "Du musstest einen Champion schlagen, um ein Champion zu werden", da stiegen wieder Tränen in ihr auf. Vor Rührung.

"Ich genieße das alles", sagt Kerber. Und lächelt, lächelt, lächelt

"Crazy" war das Wort, das Kerber am häufigsten aussprach an diesem Samstagabend im Melbourne Park. 22 Jahre nachdem Stefanie Graf letztmals die Australian Open gewann, 17 Jahre nach dem letzten deutschen Grand-Slam-Erfolg, den auch Graf 1999 schaffte, ist sie nun im Geschichtsbuch des Tennis angekommen: Ihr Name ist für 2016 in der Daphne Akhurst Memorial Trophy eingraviert und nicht der von Serena Williams. Mit 6:4, 3:6, 6:4 entschied die 28-Jährige ihre Finalpremiere bei einem Grand-Slam-Turnier für sich. "Ich werde heute sicher nicht schlafen", sagte Kerber, die bis drei Uhr nachts noch Interviews gab. Und in eine Bar wollte sie auch noch mit dem lustigen Team.

Zuvor hatte Kerber ausgiebig Auskunft gegeben, wie sie dieses Ereignis erlebt hatte und was es mit ihr nun machen wird. Es war erstaunlich, wie aufgeräumt Kerber trotz des emotionalen Ausnahmezustandes vor der Weltpresse referierte. Sie hatte "nur fünf Minuten zum Duschen gehabt", mit ihren Eltern und Großeltern "nur eine Minute" telefoniert, schon zerrten andere an ihr. "Ich genieße das alles", sagte Kerber trotzdem und lächelte. Und lächelte. Und strahlte. Nebenan stand eine weitere Dame der Frauentour und hielt Kerbers Handy, das mit einem Aufladegerät verbunden war. Vor lauter Gesimse und Gepiepe war der Saft ausgegangen.

"Du hast es verdient, ich bin so glücklich für dich", ruft Serena Williams

Kerber ließ diesen 30. Januar noch einmal Revue passieren, ein "komischer Tag" sei das gewesen, so sagte sie das. Die vergangenen zwei Wochen seien in Windeseile verflogen, aber am Finaltag "hing ich drei Stunden im Hotel rum, und ich habe mich noch nie so gelangweilt". Sie wollte ja raus, in die Rod Laver Arena, "ich nehme die Herausforderung an", das hatte sie vor diesem Match betont. Und als es soweit war, um 19.30 Uhr, saugte sie alles auf, voller positiver Energie, "den Gang zum Platz, die Blumen, das Einschlagen mit Serena, die Vorstellung von uns durch den Sprecher, das Match in jeder Phase". Kerber hatte als Kind, das verriet sie schon am Freitag, von einem Triumph bei einem der vier größten Tennisturniere geträumt. "Aber die Wirklichkeit ist viel schöner."

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Steffi Graf, die sie letztes Jahr zum Training einmal in Las Vegas empfing, hatte ihr zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht per SMS gratuliert, wie nach dem Halbfinaleinzug. Sicher wird die heute 46-Jährige das noch machen. Kerber verteidigte ja Grafs alleinige Position als Grand-Slam-Rekordhalterin von 22 Titeln; Williams hängt weiter bei 21 fest, aber lobte Kerber überschwänglich: "Du hast es verdient, ich bin so glücklich für dich", rief sie schon bei der Siegerehrung ins Oval hinaus. Kerber hatte wirklich das "Match meines Lebens" gezeigt, clever immer wieder die Bälle im Spiel gehalten und versucht, Williams die Fehler machen zu lassen. Tatsächlich tappte Williams in die Falle und erwies sich im ersten und dritten Satz als viel zu ungeduldig. Ihre Powerschläge waren diesmal viel zu ungenau, oft übersteuerte sie. "Unser Matchplan ging voll auf", sagte Torben Beltz.

Es hatte etwas Hinreißendes, wie Kerber in ihrem grammatikalisch nicht wirklich perfekten Englisch flüssig drauflos palaverte und wiederholt einen etwas anstrengenden italienischen Reporter foppte, als sei das die leichteste Übung: mit Charme jemanden auflaufen zu lassen. Aber Kerber hat sich in Melbourne ja auch irgendwie selbst neu entdeckt. Selbstbewusster ist sie schon vor dem Turnier gewesen, im Dezember meinte sie im SZ-Interview, sie wolle es "bei den großen Turnieren endlich mal krachen lassen". Jetzt krachte es mächtig.

Dabei hätte alles auch ganz anders verlaufen können. Als sie in der ersten Runde tatsächlich nicht sehr gut spielte und einen Matchball gegen sich hatte, war sie schon "mit einem Fuß im Flieger nach Deutschland". Doch sie rang die Japanerin Misaki Doi nieder - und fühlte "eine zweite Chance". Das spezielle Detail dazu am Rande: Schon vor zwei Jahren war Ähnliches passiert. Da hatte die Chinesin Li Na in Runde drei einen Matchball überlebt und am Ende triumphiert.

Ja, vielleicht ist es wirklich so, dass das Leben die unglaublichsten Geschichten schreibt, jedenfalls ist es bei Kerber so gerade, jedenfalls empfindet sie das so. Sie wusste nicht mal, dass sie nebenbei auch 2,2 Millionen Euro verdient hatte, als sie die Summe vernahm, schnaufte sie durch: "So weit bin ich noch gar nicht!" Eben noch flog ein Volley von Williams ins Aus als letzter Ball, sie sank von ihren Gefühlen überwältigt zu Boden. Und dann saß sie kurz darauf schon hier, im Pressekonferenzraum, wo Federer und Murray und Williams und Scharapowa sonst immer sitzen - und das als neue Nummer zwei der Weltrangliste, die einen überdimensionierten Scheck ihr Eigen nennen darf.

Ihr Physiotherapeut muss sich nun ein Tattoo stechen lassen

Wenn das nicht irgendwie verrückt ist. Andrea Petkovic, Kerbers gute Freundin auf der Tour, zollte prompt auf ihre Weise Respekt und schrieb im Internet: "Angelique. Du bist der Wahnsinn. Ich möchte dich heiraten." Kerbers Antwort steht noch aus.

Ihr Sieg bleibt auch in ihrem Team nicht folgenlos, Physio Iden, der sonst auch die U18-Auswahl des deutschen Fußball-Bundes betreut und Kerbers Professionalität lobte ("Sie geht über Grenzen und tut alles für den Erfolg"), muss sich nun ein Tattoo stechen lassen. Ein Tanzkurs steht überdies an, dies war ein weiterer Wetteinsatz gewesen. "Wir tanzen jetzt alles, völlig egal", sagte Iden, "eins, zwei, Cha-Cha-Cha, notfalls auch Breakdance." Letzteres würde man dem langen Schlaks Torben Beltz lieber nicht raten, nicht dass er sich noch weh tut. Beim Sprung in den Yarra River wollte er aber definitiv dabei sein, "nur es soll ja ziemlich brühig sein nach dem Regen", sagte er gut informiert.

Aber so einen Sprung, das werden sie ja wohl auch noch hinkriegen.

© SZ vom 31.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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