Tennis:36 Jahre, 195 Tage

Roger Federer SUI TENNIS Tournoi ATP Tennis Herren De Rotterdam 16 02 2018 PhotoNews Panoramic

Der alte Mann und sein Pappkarton: Sich mit Roger Federer zu beschäftigen, bedeutet immer, sich der Wahrheit nur anzunähern. Ihn als Phänomen zu erklären, ist angesichts der Vielzahl seiner Rekorde unmöglich.

(Foto: M.Jeusette/imago/Panoramic International)

Roger Federer kehrt erstmals seit Oktober 2012 zurück an die Spitze der Weltrangliste - und älter als jede Nummer eins zuvor. Der Schweizer hat bereits die nächste Bestmarke im Blick.

Von René Stauffer, Rotterdam/Zürich

Fassungslos schlug sich Roger Federer die Hände vors Gesicht, dann schüttelte er ungläubig den Kopf. Es sah tatsächlich so aus, als würde er die Bedeutung dieses historischen Moments kaum greifen können. Und es war ja wahrlich nicht der erste historische Moment in der langen Karriere des Roger Federer.

Wieder einmal hatte er Tennis-Geschichte geschrieben, er wusste, dass er im Alter von 36 Jahren und 195 Tagen in der an diesem Montag erscheinenden Weltrangliste an der Spitze stehen würde. Älter als alle seiner Vorgänger in der Geschichte. "Offensichtlich bin ich wieder die Nummer eins der Welt", schrieb Federer am Abend auf Twitter. Falls ihm das schon jemand gesagt haben sollte, habe er es aber akustisch wohl nicht verstanden. Dem Satz ließ er das Symbol eines sehr, sehr alten Mannes mit Glatze folgen. Federer floh in den Humor. Anders konnte er diesen Moment wohl tatsächlich nicht verarbeiten.

"Ich bin so glücklich. Es fühlt sich unwirklich an, wieder an der Spitze zu sein. Es war ein langer und weiter Weg", hatte Federer zuvor verkündet, nachdem er den nächsten Meilenstein seiner einzigartigen Karriere erreicht hatte: "Das ist so unglaublich speziell, und ich hätte es niemals für möglich gehalten." Dass dieser Moment kommen würde, hatte sich allerdings bereits angedeutet. Im Januar hatte Federer bei den Australian Open triumphiert und sich damit seinen 20. Grand-Slam-Titel gesichert - auch dies ein Rekord, selbstredens. Auf dem Papier war der Schweizer in diesem Moment noch nicht die Nummer eins. Doch auf dem Platz dominierte er seinen Sport mit technischer Brillanz und spielerischer Klasse bereits wie zu besten Zeiten. "Das Alter ist kein Thema, es ist nur eine Zahl", hatte er jüngst gesagt.

"Als ich 2009 die French Open gewann, hörte ich Dinge wie: Nun ist es okay, wann hörst du auf?"

Am Freitag war es dann ein - gemessen an seinen sporthistorischen Auswirkungen - fast schon banales 4:6, 6:1, 6:1 gegen Robin Haase im Viertelfinale des Turniers von Rotterdam, das Federer an die Spitze des Rankings spülte, das er bereits 302 Wochen angeführt hatte. Er steht dort nun zum ersten Mal seit dem Oktober 2012. Und nun spürte er also "eine tiefe Befriedigung", wie Federer in Rotterdam noch vor dem Finalsieg gegen Grigor Dimitrov (6:2, 6:2) sagte - nachdem klar war, dass er mal wieder Rafael Nadal von der Spitze verdrängen würde. "Man spielt nicht oft um die Nummer eins. Da steckt so viel dahinter, man muss so viel aufgeben."

Federer dachte nun zurück. An jenen Moment, als er seine erste Chance, die Nummer eins zu werden, 2003 in Montreal mit einem hypernervösen Match gegen den US-Amerikaner Andy Roddick vergeben hatte. Nach dem Sieg gegen Juan Carlos Ferrero im Halbfinale der Australian Open im Januar 2004 war es dann so weit: Federer stieg zum ersten Mal auf an die Spitze der Weltrangliste. Das zweite Mal schaffte er den Sprung im Juli 2009 - nach seinem sechsten Wimbledon-Sieg - und das dritte Mal drei Jahre später.

Die große Befriedigung komme nicht daher, es noch mal allen gezeigt zu haben, die ihn immer wieder abschreiben wollten: "Es geht mir nicht darum, anderen das Maul zu stopfen", sagte Federer. Aber witzig sei es ja schon: "Bereits als ich 2009 die French Open gewann, hörte ich Dinge wie: Nun ist es okay, wann hörst du auf?" Um sich Zeit zu verschaffen, habe er darauf erklärt, sicher bei den Olympischen Spielen in London 2012 antreten zu wollen. "Dass ich irgendwann Grenzen erreichte und andere besser waren, war normal."

Alles andere als normal ist nun dieser Moment in der Gegenwart: dass Federer noch einmal die Grenzen seines Sports verschoben hat. Dass er, nach Jahren, in denen andere besser waren, noch einmal mit so viel Wucht zurückgekehrt ist.

Als Genugtuung, sagte Federer, empfinde er etwas anderes: sich selbst, seinen Fans und seinem Team bewiesen zu haben, keinen Utopien nachgejagt zu haben. Nach Jahren der Dominanz hatte sein Körper die hohe Belastung nicht mehr ausgehalten. 2016 hatten ihn Knieprobleme zu einem frühzeitigen Saisonende gezwungen, dadurch rutschte er sogar aus den Top Ten. Federer kämpfte sich zurück und setzte seine Kräfte dosierter ein, indem er weniger Turniere spielte. Auch deswegen musste er sich noch hinter seinem Dauerrivalen Rafael Nadal einreihen, obwohl Federer spielerisch wieder auf der Höhe war.

Federers sporthistorischer Moment löste tiefe Bewunderung aus in der Szene - doch nicht nur im Tennissport. "Er ist wieder dort, wo er hingehört. Die Nummer eins der Welt. Meinen herzlichen Glückwunsch an Roger Federer", schrieb etwa Fußball-Weltmeister Mesut Özil bei Twitter. Und Andre Agassi, bislang mit 33 Jahren und 131 Tagen die älteste Nummer eins, gratulierte zu einem "weiteren Meilenstein" und ergänzte: "Roger Federer setzt die Messlatte in unserem Sport einfach immer höher." In der Tat.

In Rotterdam bekam Federer die Nummer eins schon mal aus Pappe überreicht, darauf die Aufschrift: "Oldest #1 in ATP History" - älteste Nummer eins in der Geschichte der Männertour. Später gab es auch Champagner, doch damit soll das Feiern noch längst nicht beendet sein. "In den kommenden Tagen werde ich noch viele Möglichkeiten zum Anstoßen haben - mit Mirka (Ehefrau, Anm.), meinen Eltern, mit Freunden. Das wird eine lustige Woche, ich freue mich schon darauf." Sein Ziel sei nun aber nicht, das Jahr als Nummer ein zu beenden. "Das passiert, oder es passiert nicht. Für mich darf das keine Priorität mehr haben." Wichtig sei, dass er gesund bleibe, dass er jedes Turnier genießen könne. "Und natürlich würde ich gerne auch die Titel in Indian Wells, Miami und in Wimbledon verteidigen." Denn eine weitere Bestmarke könnte er ja tatsächlich bald überbieten: Drei Turniersiege fehlen ihm nur noch, um als zweiter Mann nach Jimmy Connors auf 100 zu kommen.

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