Tennis in Wimbledon:Forever acht Millimeter Rasenlänge

Day Five: The Championships - Wimbledon 2014

Shuko Aoyama streckt sich nach dem Ball - kein Problem, denn in Wimbledon landet man weich.

(Foto: Getty Images)

Auch Wimbledon geht mit der Zeit: Es gibt edle Verpflegung, Livestreams auf Russisch und immer mehr Preisgeld. Aber ein paar Dinge bleiben bei diesem außergewöhnlichen Tennisturnier immer gleich - gerade die alten Gepflogenheiten machen den Charme des Events aus.

Von Michael Neudecker, London

Neben Court 14 stehen Tafeln, auf denen die Zukunft erklärt wird: Wimbledon baut um. Die Anlage wird größer, Court No. 1 bekommt ein Dach, der Plan ist: mehr Komfort für die Spieler, mehr Platz für die Zuschauer, mehr Platz für Blumen. Auf Court 14 wird daher diesmal nicht gespielt, was schade ist: Court 14 ist gut einsehbar von den Terrassen der Restaurants, aber es hilft nichts. "Stillstand ist keine Option", steht auf einer Tafel. Ganz korrekt ist das nicht: Stillstand und Zeitlosigkeit sind ein wichtiger Teil von Wimbledon.

Der All England Lawn Tennis and Croquet Club (AELTC) wurde am 23. Juli 1868 gegründet, "damals war Großbritannien die dominierende Weltmacht", schreibt der Guardian, "bis heute hat niemand den Menschen im Club gesagt, dass sich das inzwischen geändert hat". Sich weiterentwickeln und trotzdem verharren, das kann nur Wimbledon, weshalb sich auch die einzig relevante linksliberale Zeitung Großbritanniens vor Wimbledon verneigt.

"Es waren schwierige Wochen für britische Sportfans", das Betreten der Anlage fühle sich an wie "der erste Bissen eines Katerfrühstücks nach einer Nacht, die vielversprechend begann, aber schlecht endete". Weiter: "Manche werden das Interesse an der WM verlieren, weil England nicht mehr dabei ist. Aber der Gedanke, dass Tennisfans Wimbledon ausschalten, weil keine Engländer mehr mitspielen, ist lächerlich."

Es gibt in Wimbledon 2014: 350 000 Tassen Tee und Kaffee, 32 000 Portionen Fish&Chips, 28 000 Flaschen Champagner, 230 000 Gläser Pimm's (Cocktail), 54 250 Tennisbälle, 8600 Schalen Erdbeeren jeden Tag, 28 000 Kilogramm Erdbeeren insgesamt.

Die Erdbeeren kosten 2,50 Pfund, die Flasche Wasser kostet 2,30 Pfund, das Glas Pimm's 5,80 Pfund, Centre-Court-Tickets bester Kategorie kosten 769 Pfund, beim Zweitverwerter Viagogo bis zu 2800 Pfund (Stand: Freitag). Der Sieger bei Männern wie Frauen bekommt 1,76 Millionen Pfund Preisgeld, zehn Prozent mehr als 2013. Die Verlierer der ersten Runde bekommen 27 000 Pfund, 14,9 Prozent mehr als 2013. Die Sieger im Doppel bekommen 325 000 Pfund, 8,3 Prozent mehr als 2013, die Sieger im Rollstuhlwettbewerb bekommen 12 000 Pfund, 41,2 Prozent mehr als 2013.

Immer gleich bleibt das Gras: acht Millimeter Schnittlänge, exakt.

Es gibt in Wimbledon außerdem: 250 Ballkinder, seit 1980 beiderlei Geschlechts, es wird darauf geachtet, gleich viele Jungen und Mädchen zu engagieren. Die Ballkinder sind im Schnitt 15 Jahre alt, kommen aus den umliegenden Schulen, sie werden von ihren Klassenlehrern nominiert, der Klub wählt aus dem Kreis der Nominierten. Ballkinder können maximal zwei Mal gewählt werden, sie trainieren ab Ostern wöchentlich vier Tage je zwei Stunden und erhalten rund 150 Pfund Lohn. Wer in Wimbledon Ballkind war, darf das in seinen Lebenslauf aufnehmen, es heißt, das sei bei Bewerbungen hilfreich.

Russland hat viel Geld ausgegeben für Olympia in Sotschi, so viel, dass sich kein Fernsehsender die Rechte für Wimbledon 2014 leisten wollte. Dabei ist es nicht so, dass Tennis im Heimatland von Maria Scharapowa niemanden interessiert. Gut für Russland, dass der AELTC an alles denkt. Auf der Turnier-Homepage gibt es einen kostenlosen Live-Stream, besetzt mit russischen Kommentatoren.

Niemand steht so gern Schlange wie die Briten

In England ist das Interesse an Wimbledon wie immer immens, wie immer zu sehen an der Church Road, gegenüber von Tor 1. Dort ist die Ticketschlange, The Queue, ein in Parzellen unterteilter Platz, der sich zu einer Art Campingplatz entwickelt hat. Die Parzellen sind nummeriert, vergeben werden sie nach einer weiteren Schlange, die sich in diesem Jahr, wie immer, zwei Tage vor Öffnung des Tores zur Queue gebildet hat.

An der Church Road saßen und schliefen die Menschen auf Stühlen und Decken, bis das Tor öffnete, dann saßen und schliefen sie auf Stühlen und in Zelten auf dem Platz der Queue, bis sie sich ihrer Parzellennummer entsprechend zur Ticketvergabe einreihen durften. All das geschieht, wie alles in Wimbledon geschieht: mit äußerster Disziplin und Souveränität. Auf dem Queue-Platz sollen sich schon Freundschaften für's Leben gebildet haben.

Der AELTC veröffentlicht täglich die Gästeliste der Royal Box auf dem Centre Court, für Freitag waren etwa angesagt: "Berragan, Lieutnant General & Mrs G.W. (Karen)" ein britischer Kriegsveteran, auch "Middleton, Mr. & Mrs. Michael (Carole)", die Eltern von Prinz Williams' Frau Kate. Namen werden gemäß Etikette so angegeben: Nachname, Titel, Vorname, die Ehefrau erscheint in Klammern. Früher wurden auch die Spielerinnen unter dem Namen ihrer Gatten auf der Anzeigetafel geführt, das am häufigsten herangezogene Beispiel ist die Amerikanerin Chris Evert, in den Achtzigern Nummer eins der Welt, damals verheiratet mit John Lloyd. In Wimbledon war sie daher: "Mrs. J.M. Lloyd".

Die Queen war erst vier Mal in Wimbledon: 1957, 1962, 1977 und 2010. Wenn ein Mitglied der königlichen Familie anwesend ist, werden Spieler ausgewählt, die mit einem Handschlag geehrt werden, auf der Terrasse beim Restaurant stehend, ordentlich aufgereiht. Vor ein paar Tagen war Prinz Charles' Gattin Camilla in Wimbledon, zu den Erwählten gehörte die Deutsche Sabine Lisicki. "Lustige Geschichte", sagt Lisicki, sie saß gerade in der Kabine in der Badewanne, als sie gerufen wurde. "Ich hab's aber geschafft", gerade rechtzeitig.

Wimbledon ist das einzige Grand-Slam-Turnier, an dem ein Ruhetag eingelegt wird, der Middle Sunday. In 137 Jahren ist erst drei Mal am Middle Sunday gespielt worden: 1991, 1997 und 2004, wegen des heftigen Regens hatte jeweils an den Tagen zuvor kaum ein Match stattfinden können. Chris Gorrings, 1991 Chef des Clubs und durch die erstmalige Aufhebung des Ruhetags berühmt geworden, sagte einmal: "Dieser Tag war der beste und schlimmste Tag meines Lebens." Dieses Jahr ist das Wetter nicht überwältigend in Wimbledon, bislang aber regnete es kaum, keine Gefahr für Middle Sunday.

Nur in Wimbledon müssen die Spieler weiße Kleidung tragen, für dieses Jahr werden die Regeln strenger beaufsichtigt. Der Australier Pat Cash, Tennisprofi in den Achtzigern und eher bunt, hat vom Seniorenturnier zurückgezogen, weil die Schiedsrichter ihn darauf hinwiesen, seine Schuhe enthielten zu viel Farbe.

Er müsse sie aus medizinischen Gründen tragen, schimpfte Cash, die Strenge sei "archaisch", es sei unglaublich, dass einige Spielerinnen gebeten worden seien, ihre zu farbigen Büstenhalter zu wechseln. Zum Beispiel Simona Halep ist auf die Sache angesprochen worden, sie sagte: Es sei schön, wenn alle weiß trügen, und, bitte, es sei doch nicht so schwer, weiße Unterwäsche zu besorgen. "Das hier ist Wimbledon", sagte Halep.

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