Tennis in Stuttgart:Kerber besiegt sich selbst

Porsche Tennis Grand Prix - Day 7

Überglücklich in Stuttgart: Angelique Kerber.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Angelique Kerber zeigt bei ihrem Turniersieg in Stuttgart, dass sie ihre Selbstzweifel hinter sich gelassen hat.
  • Sie lässt sich auch durch Rückstände nicht irritieren - das hat auch mit ihrem neuen Trainer zu tun.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen in Stuttgart.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Als Angelique Kerber aus dem offenen Verdeck lächelte und eine Runde auf dem roten Sand drehte, wurde sie von Caroline Wozniacki aus sicherer Entfernung beobachtet. Allzu gerne wäre die Dänin auch mit dem 430 PS starken Auto gefahren, das die Siegerin beim Tennisturnier in Stuttgart zusätzlich zum Preisgeld von 100 000 Euro erhält. Die Ehrenrunde drehte aber Kerber, 27. Mit dem elften Sieg in Serie feierte sie ihren zweiten Turniererfolg in diesem Jahr nacheinander und holte sich ihren fünften Titel ihrer Karriere, den ersten auf deutschem Boden.

Als sie nach zwei Stunden und vier Minuten ihren vierten Matchball mit einem Vorhandschlag verwandelte, ließ sie sich auf die Knie fallen - aus Freude und Erschöpfung gleichermaßen. Es war ein mitreißendes Match mit vielen intensiven Ballwechseln und irren Wendungen. Kerber lag im dritten Satz bereits 3:5 zurück und gewann dann doch 3:6, 6:1 und 7:5.

"Ich habe alles aus mir herausgeholt und bis zum letzten Ball gefightet", sagte sie hinterher: "Ich bin megastolz auf mich, dass ich das noch gepackt habe." Es war nicht nur ein Sieg gegen Wozniacki, sondern auch ein Sieg über sich selbst, gegen ihre Selbstzweifel, die sie bis kurzem noch quälten. In der neuen Weltrangliste wird sie sich nun wieder um zwei Plätze auf Rang zwölf verbessern.

"Angie ist Linkshänderin, ich spiele rechts - und auch sonst haben wir nicht sehr viel gemeinsam", hatte Wozniacki vor dem Endspiel erklärt. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die beiden eint mehr, als sie auf den ersten Blickt trennt. Sie haben polnische Vorfahren, schon Urlaube zusammen verbracht und eine Vorliebe für Karaoke.

In Stuttgart sind sie aber erstmals im Endspiel zusammen auf der Bühne gestanden. Und dass es überhaupt zu diesem Finale kam, hat auch viel mit ihren Trainern zu tun. Wozniacki hat seit ein paar Wochen ein prominentes Mitglied in ihr Team aufgenommen. Die Spanierin Arantxa Sánchez Vicario soll ihr Sandplatzspiel auf ein höheres Niveau hieven. Ihre Abneigung gegen den langsamen Untergrund war schon so groß geworden, dass sie im vergangenen Jahr nur noch zwei Turniere auf Sand spielte und dabei nur ein Match gewann. Von der dreimaligen French-Open-Siegerin, mit der sie in Monte Carlo schon trainiert hat, erhofft sich Wozniacki nun vor allem in mentaler Hinsicht Hilfe.

Formkrise hinter sich gelassen

Denn eigentlich bringt sie alles mit, um hier gewinnen zu können. Sie hat ein variables Spiel, kann lange Ballwechsel mitgehen und auch das Tempo wechseln. "Ich rede sehr viel mit Arantxa über strategische Ansätze", sagte Wozniacki. "weil mein Spiel eigentlich zu diesem Belag passt." Die Veränderungen waren in Stuttgart gut zu erkennen, so hatte sie ihre Grundschläge mit mehr Vorwärtsdrall gespielt. Vor allem im ersten Satz gelang es ihr, die Gegnerin weit hinter die Grundlinie zu drängen und direkt zu punkten, sobald Kerber kürzer schlug. Ein Break genügte der ehemaligen Nummer eins der Welt, um den ersten Satz 6:3 für sich zu entscheiden.

Aber auch Kerber vertraut seit ein paar Wochen einem neuen Coach, er ist zugleich ihr alter. Seit März, dem Turnier in Indian Wells arbeitet sie wieder mit Torben Beltz zusammen, nachdem sie sich von Benjamin Ebrahimzadeh getrennt hatte, unter dessen Betreuung sie erstmals nach drei Jahren aus den Top Ten gefallen war. Und offenbar ist er der richtige Trainer für das Vorhaben, ihre Formkrise endlich hinter sich zu lassen.

Seit Januar war es ihr nicht mehr gelungen, zwei Matches nacheinander zu gewinnen, ehe sie in Charleston ihr Erweckungserlebnis feiern sollte, als sie in der ersten Runde ein fast verlorenes Match gegen die Russin Jewgenia Rodina drehte und später im Finale sogar die Amerikanerin Madison Keys bezwang. "Das war ein Befreiungsschlag", sagt Kerber, "ich habe wieder meine Leidenschaft, mein Spiel und mein Selbstvertrauen zurückbekommen." Und ihre neue Lust am Tennis war auch in Stuttgart gut zu beobachten, wo sie in der zweiten Runde die Weltranglistenzweite Maria Scharapowa besiegte.

Seit Charleston steht Kerber wieder näher an der Grundlinie, bisweilen wie im Endspiel gegen Wozniacki sogar ein, zwei Meter im Feld, sie nimmt die Bälle früh, schon im Aufsteigen. So gelang ihr im zweiten Satz ein Break zum 2:0, insgesamt waren es neun direkte Punktgewinne. Nach einem guten Aufschlag verwandelte sie schließlich ihren ersten Satzball zum 6:1.

Vor dem dritten Satz verschwanden beide Spielerinnen in der Kabine, sie benötigten eine Verschnaufpause, etwas Abstand zu einer Partie, die ihre Nerven stark beanspruchte. Als Erste kehrte Wozniacki zurück. Und sie sollte auch besser zurückfinden in die Partie, sie nahm Kerber den Aufschlag ab und führte 3:1. Doch Kerber ließ sich von dem Rückstand nicht irritieren, spielte weiter und zeigte dabei Bälle, die man nur spielt, wenn man viel Selbstvertrauen hat, so drosch sie bei einem Breakball gegen sich von der Grundlinie einen Schmetterball unerreichbar für Wozniacki ins Feld. Sie glich zum 3:3 aus, lag dann wieder 3:5 zurück, weil sich die Dänin wohl an die Worte von Sanchez erinnerte und Mondbälle spielte, mit denen die Spanierin einst auch Steffi Graf in die Resignation getrieben hatte Kerber ließ sich nicht entmutigen, holte wieder auf, es war eine Achterbahnfahrt durch alle Gefühlswelten, ehe sie schließlich ihren vierten Matchball nutzte und anschließend ganz entspannt im Auto Platz nahm.

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