Tennis in München:Faxen eines kleinen Jungen

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Einer, dem vielleicht die Tennis-Zukunft gehören könnte: Alexander Zverev. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Alexander Zverev lässt sich aus der Ruhe bringen und vermasselt dadurch ein deutsches Traumfinale. Im Endspiel trifft sein Bezwinger Dominic Thiem am Sonntag auf Philipp Kohlschreiber

Von Gerald Kleffmann

Am Samstag, als die Anlage des MTTC Iphitos aufgesperrt wurde, dauerte es nicht lange und es trat eine Art Wunder ein. Das Thermometer stieg und stieg, und wo vor Tagen noch weiße Flocken vom Himmel fielen, blitzten nun nur Sonnenstrahlen herab. Die 20 Grad wurden tatsächlich geknackt, als die späte Mittagszeit erreicht war. Die Bühne hätte nicht besser sein können für einen Tag, an dem die hiesige Tennis-Szene auf ein anderes Wunder hoffte: Ein Traumfinale war ja möglich, ein Duell, in dem der derzeit noch beste Deutsche Philipp Kohlschreiber und das größte deutsche Talent, der 19 Jahre alte Alexander Zverev, sich gegenüberstehen konnten. Aber es kam dann etwas anders. Das deutsche Traumfinale fällt aus. Denn einer blieb in seinem Halbfinale auf der Strecke.

Zverev, der ein gutes Turnier bei diesen BMW Open am Aumeisterweg gespielt hatte, wehrte sich gegen den Österreicher Dominic Thiem, unterlag dem Weltranglisten-15. aber 6:4, 2:6, 3:6. Im zweiten Halbfinale des mit 520 070 Euro dotierten ATP-Events setzte sich immerhin Kohlschreiber gegen den Italiener Fabio Fognini durch (6:1, 6:4). Der 32-Jährige hat schon zwei Mal in München gewonnen und auch sonst oft überzeugt. Wenn es eine Frage gibt, die Kohlschreiber immer wieder in München beantworten muss, lautet sie: Warum läuft es hier so gut? Er sagte diese Woche wieder das, was er immer gerne sagt, weil es eben so ist: Er mag die Höhenlage, die Bälle fliegen schneller. Viele Freunde unterstützen ihn, er kennt die Anlage, es kribbelt in ihm, noch mehr aus sich herauszuholen auf heimischer Bühne.

Über Zverevs geschmeidige Rückhand schwärmen die Experten

Das Match zwischen Zverev und Thiem entwickelte sich vom ersten Punkt an zu einem hochwertigen Duell. Zverev ist der Hüne mit einer geschmeidigen, beidhändigen Rückhand, von der Maria Scharapowas Manager Max Eisenbud einst geschwärmt hatte wie von einem Fünf-Gänge-Menü von Paul Bocuse. Thiem dagegen spielt die Rückhand einhändig und von einer Qualität, die ihn selbst dazu verleitet zu sagen: "Das ist mein Lieblingsschlag." Vor allem der Schuss die Linie entlang ist ein Gemälde. Zwei Youngster, zwei, denen die Zukunft gehört, zwei, die nach den Tennissternen greifen, das ist ihre Geschichte. Und sie können sie vielleicht wirklich vom Himmel holen, denn ihr Tennis hat wenig mit Langeweile zu tun. Und schon gar nicht mit dem redundanten Sandplatztennis der Achtzigerjahre.

Gleich der erste Vorhand-Return des Deutschen schoss unerreichbar ins Feld. Es gibt Spieler, die aus welchen Gründen auch immer einige Zeit benötigen, um in eine Partie zu starten. Rafael Nadal ist so ein Spätzünder. Zverev ist das nicht. Mit seinen 1,98 Metern Körpergröße deckt er wie ein Krake den Platz ab, es ist verblüffend, wie er quasi aus dem Nichts den Ball beschleunigen und platzieren kann. Ein wenig wackelten beide bei ihren Aufschlagspielen, mit zwei Breaks entschied Zverev den ersten Satz 6:4 für sich.

Drei gute Matches in einer Woche und dann zum vierten Mal in einem Halbfinale

Der zweite Satz offenbarte das Temperament von Zverev. Als er bei einem Rückstand von 1:2 aufschlagen wollte, sah er auf der anderen Seite des Platzes oben auf der Tribüne einen Jungen, der kurz Faxen machte und herumhampelte. Später meinte Zverev, er habe befürchtet, der Junge falle gleich runter. Diese Szene störte ihn so sehr, dass er kurz den Fokus verlor. Immer wieder schaute er zu der Stelle, rasch stand es 1:4, dann 2:6. Dann gar 0:2 in Satz drei, in dem er wegen eines strittigen Balles auch noch Theater mit dem Schiedsrichter begann. Er fing sich wieder, schaffte das Re-Break, doch Thiem bewies nun seinerseits seine Zähigkeit. Er konterte mit dem Break, nach zwei Stunden Spielzeit verwandelte er den zweiten Matchball mit dem Aufschlag.

Zverev und Thiem umarmten einander, sie sind Freunde, hängen zusammen gerne mal ab, wie Thiem es ausgedrückt hatte. Sie werden sich, wenn nichts schiefgeht, noch oft auf der Tour duellieren. "Ich habe nicht so gut aufgeschlagen wie an den Tagen zuvor", sagte Zverev. Die Folge: "Ich habe nicht so oft freie Punkte bekommen, wie das sonst der Fall ist." Das heißt, er musste über zähe Ballwechsel gehen und in diesen konnte Thiem seine Stärken ausspielen. Zufrieden war Zverev trotzdem, er habe "drei gute Matches" in dieser Woche gespielt und am Ende sein viertes ATP-Halbfinale, "das ist nicht schlecht". Das Turnier der Masters-Serie in Madrid muss er nun auslassen. Er schaffte es nicht ins Hauptfeld, und die Qualifikation war schon an diesem Samstag.

Gegen den Italiener Fognini war "Kohlscribbler" in seinem Element

Das zweite Halbfinale zwischen Kohlschreiber und Fognini verlief so, wie es bei Fognini-Matches gerne vorkommt. Entweder er erwischt einen guten Start. Oder er lässt es laufen, wenn es nicht läuft. 5:0 führte Kohlschreiber rasch, 6:1 ging der erste Satz an ihn, wobei er auch gut spielte, die Bälle streute, links und rechts. Kohlscribbler, so sein Spitzname, war in seinem Element. Wenngleich er später erstaunt war, wie er zugab. "Ich bin selber überrascht von den deutlichen Ergebnissen", sagte er, nachdem er auch den zweiten Satz gewonnen hatte, 6:4. Zuvor hatte er im Viertelfinale gegen den Argentinier Juan Martin del Potro auch glatt gewonnen. Auf das Finale freut er sich aus einem speziellen Grund: Er treffe auf einen "ziemlich heißen Spieler in diesem Jahr", und weil er aber auch "eine gute Saison" spielt, erwartet er im Finale am Sonntag (13.30 Uhr/BR live) ein besonderes Match.

© SZ vom 01.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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