Langweilig ist es Novak Djokovic nicht gewesen in den zurückliegenden sechs Monaten. Er ist erneut Vater geworden, nach Stefan, 3, kam Tara auf die Welt. Er hat sich um seine Stiftung gekümmert, die sich für Kinder einsetzt. Er hat Basketballspiele besucht und in Amerika Kobe Bryant getroffen, die Lakers-Legende. Auch mit Schauspielerin Goldie Hawn plauderte er, in Beverly Hills anlässlich eines Charity-Abends. Djokovic sah gut aus wie immer, schlank, strahlend, die Haare akkurat gekämmt.
"Ich hatte die Gelegenheit, erstmals seit ich professionell Tennis spiele, so viel Zeit zu haben, um mich mental, physisch, emotional zu entspannen, um mich neu zu kalibrieren", sagte jetzt Djokovic im ersten Interview seit Monaten, das er der englischsprachigen Online-Plattform Sport360 gab. An diesem Freitag bestreitet er sein erstes Match seit dem 12. Juli dieses Jahres, beim Einladungs-Event in Abu Dhabi trifft er auf den Sieger der Partie zwischen dem Russen Andrej Rublew und dem Spanier Roberto Bautista Agut.
Das erste Spiel seit Wimbledon
"Es ist mein erstes Spiel seit Wimbledon", erinnerte sich Djokovic, am 12. Juli gab er im Viertelfinale gegen den Tschechen Tomas Berdych auf. Sein verletzter Ellbogen, der ihn ein Jahr lang geplagt hatte, zwang ihn zur grundlegenden Auszeit. "Wahrscheinlich freue ich mich nun mehr als jeder andere, hier zu spielen", befand der 30-jährige Serbe, womit er wohl nur teils recht hatte. Nachdem die Weltspitze im Männertennis eine eigenwillige zweite Hälfte erlebte, weil mehr und mehr Akteure vorzeitig ihre Saison beendet hatten, sehnt die Tour jedes Comeback ihrer Besten herbei. Bei diversen Top-Profis ist weiterhin unklar, ob sie es schaffen, sich für das erste Grand-Slam-Turnier 2018, das Mitte Januar in Melbourne beginnt, rechtzeitig zurückzumelden.
Stan Wawrinka, Sieger der Australian Open 2014, hatte zwei Eingriffe am linken Knie zu ertragen, für eine Teilnahme in Abu Dhabi sah er sich im letzten Moment nicht bereit. Wie Rafael Nadal, der Weltranglisten-Erste, der nach einem spektakulären Jahr mit Titeln bei den French Open und US Open mit alten Kniebeschwerden kämpft. Von den Big Four, den "die großen Vier" genannten prägenden Profis der vergangenen 15 Jahre, quält sich auch Andy Murray, die Hüfte ist es bei ihm.
So wirkt es wie ein ironisches Zeichen des Schicksals, dass der Älteste, der 36-jährige Roger Federer, der vor einem Jahr zur gleichen Zeit nach einer sechsmonatigen Zwangspause leistungsmäßig das größte Fragezeichen darstellte, bislang seine Vorbereitung sorgenfrei bestritt. Den einzigen Rückschlag wird er verkraften. Er konnte seinen Titel als "Most Stylish Man", den das Magazin GQ vergibt, nicht verteidigen.
Der Dominator wurde ein Suchender
Von all den Spielern, die sich zur Regeneration zurückgezogen hatten (dazu zählten auch der Kanadier Milos Raonic, der Japaner Kei Nishikori, der Australier Nick Kyrgios, Berdych), war kein Fall indes so vielschichtig wie der von Djokovic. Nach drei Jahren Dominanz, in denen er unangefochten auf Platz eins stand und seine Anzahl der Grand-Slam-Titel auf zwölf verdoppelte, verfiel er sportlich in eine Schaffenskrise, privat bröckelte die Fassade einer heilen Welt. Manches machte er öffentlich, etwa, dass er, als er in Paris seinen letzten fehlenden Grand-Slam-Pokal errungen hatte, keine Ziele mehr in sich spürte. Andere Themen blieben Spekulationen, etwa seine Eheprobleme.
Dass sich Djokovic zunehmend dem spirituell angehauchten Trainer Pepe Imaz zuwandt, verdeutlichte umso mehr, wie sehr der Dominator zu einem Suchenden geworden war. Als er schließlich am 26. Juli via Live-Streaming im Internet sein Ende der Saison 2017 verkündete, schien er regelrecht befreit zu sein.
Motiviert sei er, fokussiert
Nun, ein gutes halbes Jahr später, sprach er so, als habe er die Findungsphase tatsächlich bestens genutzt. Offen analysierte Djokovic innere Schwächen, gab zu, dass er lernen musste, bei Verletzungen geduldiger zu werden, dass seine Auszeit eine "großartige Erfahrung" gewesen sei, um sich, seine Bedürfnisse, seinen Kosmos zu reflektieren. Motiviert sei er, fokussiert, die Nummer eins wolle er wieder werden und Titel gewinnen, er habe die "Willenskraft" dazu. Aufgeräumt klang er.
Diese Einstellung lässt sich auch an seiner Arbeit erkennen. Viereinhalb Monate hatte Djokovic keinen Schläger angerührt. Dann nahm er generalstabsmäßig durchdacht das Comeback auf, als starte er eine zweite Karriere. Er verpflichtete zum bisherigen Trainer Andre Agassi den ausgebufften Tschechen Radek Stepanek, der seine Spielerkarriere beendet hat. Er holte einen neuen Physio, einen neuen Fitnesstrainer, dazu ließ er sich von Craig O'Shannessy, dem weltbesten Daten-Analysten, Werte erklären. "Es war wichtig, einen Schritt zurück zu machen", sagte Djokovic nun, er sehe Perspektiven, wolle ein Vorbild sein.
Dazu fiel ihm eine Analogie ein. "Viele denken, sie könnten nicht viel ändern in der Welt, weil es sieben Milliarden Menschen gebe", sprach er. "Aber nur eine Kerze kann Millionen und Millionen von Kerzen anzünden, ohne dass das eigene Feuer erlischt." In Djokovic, das wurde klar, brennt wieder etwas.