Tennis:Hoher Einsatz

Bei den Australian Open kreist bisher alles um eine Frage: Wer hat in der Vergangenheit falsch gespielt? Beobachtungen von einem außergewöhnlichen Turnier.

Von G. Kleffmann, Melbourne

Ein Dollar und 65 Cent. Das sind 1,05 Euro. So viel bekommt ausgezahlt, wer bei diesen Australian Open einen Dollar auf den Turniersieg des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic setzt. Zum Start des Turniers am vergangenen Montag erklärte die örtliche Boulevardzeitung Herald Sun die Zockeraussichten. Favorit Nummer zwei auf den Turniersieg ist der Schotte Andy Murray. Seine Quote: 1 zu 5,5. Berichte wie diese gehören bei jedem Grand-Slam-Turnier zum Standardprogramm der Vorberichterstattung. Als die Sun die Quoten veröffentlichte, ahnte noch niemand, welchen Schwung das Thema nehmen sollte.

Am Sonntag tauchten erste Gerüchte auf. Ein Raunen ging durch den Medienraum, in dem Hunderte Journalisten aus aller Welt in flugzeugengen Sitzreihen arbeiten. Es gebe da bald einen brisanten Text. In England. Am Montagmorgen herrschte dann Gewissheit: Die BBC, die zur gleichen Zeit wie das US-Onlineportal Buzzfeed einen Text publizierte, verkündete: Im Männer-Tennis wurde in den vergangenen zehn Jahren ordentlich betrogen. Mit Wetten, an denen Profis mitgewirkt haben. Um Match Fixing, Spielabsprachen, geht es. 16 Akteure aus den Top 50 waren angeblich involviert. Auch Grand-Slam-Sieger. "Happy Slam": So werden die Australian Open gerne genannt. Weil die Spieler die entspannte Art der Australier schätzen. So richtig glücklich werden bald nicht mehr alle aussehen.

An Novak Djokovic lässt sich erkennen, wie sich die Atmosphäre verändert. Am Sonntag verteilt der 28-Jährige aus Belgrad noch Pralinen im Pressekonferenzraum. Am Montag gewinnt er gegen den jungen Koreaner Hyeon Chung und scherzt beim Siegerinterview in der Rod Laver Arena: "Schatz, ich glaube, wir müssen mehr Kinder machen." Seit Djokovic vor gut einem Jahr Vater wurde, eilt er von Triumph zu Triumph. Am Dienstag taucht eine Schilderung auf, wie er das erste Date mit seiner jetzigen Frau vermasselte. Am Mittwoch gibt es dann ganz andere Fragen. Djokovic soll erklären, ob er 2007 in Paris-Bercy gegen den Franzosen Fabrice Santoro absichtlich verloren habe. Was für ein Kontrast. Djokovic sieht genervt aus. Die Vorwürfe nennt er "absurd".

Tennis: Intensive Woche: Novak Djokovic, Serena Williams, Milos Raonic und Maria Sakkari (von links) in Melbourne.

Intensive Woche: Novak Djokovic, Serena Williams, Milos Raonic und Maria Sakkari (von links) in Melbourne.

(Foto: M. Nagi/dpa, Q. Rooney/Getty Images, D. Traynor/Getty Images, W. West/AFP)

Die Frage, welche Stars falsch gespielt haben - darum kreist plötzlich das ganze Turnier. Das Thema bleibt in den Medien. Daran ändert auch die Erklärung der Männertennistour ATP nichts, sie habe 2008 doch eine Kontrollinstanz bestallt, die "Tennis Integrity Unit". Roger Federer wünscht sich Namen. Die gibt es irgendwann. Im Internet taucht eine Liste auf, auf der 15 Namen stehen. Buzzfeed hatte mathematisch geprüft, welche Profis häufig an Matches beteiligt gewesen waren, bei denen es verdächtige Wettbewegungen gegeben hatte, aber keine Namen genannt. Ein Blogger hatte den Datensatz mit den offiziellen Ergebnislisten verglichen und die vermeintlich Beschuldigten so enttarnt. Wie seriös das alles ist? Die meisten Medien verzichten darauf, die Namen zu nennen. Das Outing ist ein heikles Thema. Rechtlich. Moralisch. "Es besteht die Gefahr einer Jagd", warnt Patrick McEnroe, der einstige Davis-Cup-Kapitän der USA.

Die Zuschauer zeigen sich nicht verunsichert. Sie strömen weiter in den Melbourne Park. 50 000 kommen tagsüber, zur Night Session nochmal fast 30 000. "Hier findet jeder etwas", sagt Turnierchef Craig Tiley, "egal, ob du ein fanatischer Tennis-Fan bist oder einfach nur die Atmosphäre liebst." Die Australian Open sind in den vergangenen Jahren regelmäßig gewachsen. Mehr als 700 Profis treten auf. Es gibt viele Aktionen. Wer will, kann miterleben, wie das Turnier-Radio entsteht und wer die offiziellen Tweets von der Veranstaltung in die Welt hinausschickt. Es gibt etliche Großbildleinwände. Davor ruhen sich die Müden oder Hungrigen aus. Das Turnier bietet eine Mischung aus Spitzensport, Vergnügungspark, Campingplatz, Shoppingmeile. Die T-Shirts und Handtücher finden reißenden Absatz - trotz der gewöhnungsbedürftigen Farbkombination: hellblau und kreisch-orange. Wer happy ist, sieht offenbar über Vieles hinweg.

Die vielleicht schönste Geschichte der ersten Woche schreibt die Chinesin Shuai Zhang. Seit 20 Jahren spielt sie auf der Frauen-Tour. Zwei Jahrzehnte: Ihre Eltern haben ihr in all den Jahren noch nie zugesehen. Nach Melbourne sind sie nun zum ersten Mal gekommen - obwohl die Aussichten trübe sind. Von ihren zehn Erstrunden-Matches bei Grand-Slam-Turnieren hat ihre Tochter kein einziges gewonnen. Und bei den Australian Open geht es für sie zum Auftakt gegen Simona Halep aus Rumänien, die Nummer zwei der Setzliste. Shuai Zhang gewinnt - 6:4 und 6:3 -, und als sie danach auf dem Center-Court gefragt wird, was ihr der Triumph bedeute, da fängt sie vor Glück an zu weinen. Aus Frust wollte sie ihre Karriere beenden, nur einmal noch wollte sie für ihre Eltern vorspielen. Jetzt aber das! Voller Freude stürmt sie in der nächsten Runde auch noch an der Französin Alizé Cornet vorbei.

Tennis: Statt nach seinen Siegen wird Novak Djokovic nach Spielmanipulation gefragt. Absurd nennt er die Vorwürfe, er habe 2007 ein Spiel absichtlich verloren.

Statt nach seinen Siegen wird Novak Djokovic nach Spielmanipulation gefragt. Absurd nennt er die Vorwürfe, er habe 2007 ein Spiel absichtlich verloren.

(Foto: Andrew Brownbill/AP)

128 Frauen und 128 Männer starten in Melbourne in die Einzelwettbewerbe. Am Ende am kommenden Wochenende wird es zwei Sieger geben. Jeden Tag reisen Hoffnungsträger ab, auch große. Rafael Nadal erwischt es dieses Mal früh. Schon in Runde eins ist Schluss. Nadal unterliegt seinem spanischen Landsmann Fernando Verdasco. Vor sieben Jahren hatten die beiden sich an der gleichen Stelle im Halbfinale ein denkwürdiges Duell geliefert. Nach 5:14 Stunden hatte der Sieger damals Nadal geheißen. Dieses Mal ist nach 4:11 Stunden Schluss und der Sieger heißt Verdasco. Die Zeitung The Age verabschiedet Nadal mit einem halbseitigen Foto aus der Stadt. Darunter steht nur ein Wort: "Adios". 14 Grand-Slam-Titel hat Nadal, 29, gesammelt, aber bei den letzten drei großen Turnieren kam er nicht einmal ins Achtelfinale. "Alle sagen, es liegt am fehlenden Selbstvertrauen", sagt Australiens einstige Nummer eins, Pat Cash, "ich sage: Es liegt an der Technik. Vor allem an der Vorhand." Nadal habe nicht mehr "die gleiche Aura", ist Cash aufgefallen: "Seine Gegner haben keine Furcht mehr vor ihm."

Zhiang und Nadal - das sind die sportlichen Aufreger. Das beherrschende Thema aber bleibt der Wettbetrug. Plötzlich erzählen immer mehr, wie sie etwas von Absprachen mitbekommen haben wollen. Der lebenslang verbannte Österreicher Daniel Köllerer, 32, taucht in den britischen Medien auf und schildert, wie er wiederholt angesprochen und mit bis zu 50 000 Euro gelockt wurde. Der Betrug gehe wirklich problemlos, versichert Köllerer, es ließe sich ja auch auf einzelne Sätze und einzelne Spiele setzen, ja sogar auf einzelne Punkte. Im Spielerrestaurant werden die Aussagen belustigt aufgenommen. Köllerer habe doch selbst öfter versucht, andere anzustiften, heißt es dort.

Am Freitag kippt das Wetter. Plötzlich regnet es. Der Sommer gibt sich verstimmt. Roger Federer gewinnt gegen den Bulgaren Grigor Dimitrov. Es ist der 300. Sieg für den Schweizer bei einem Grand-Slam-Turnier. Er fühle sich ein bisschen müde, sagt Federer anschließend. Es war eine intensive Woche.

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