Tennis:Glücklich in Altersteilzeit

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Martina Hingis ist inzwischen 35 - und im Doppel immer noch spitze. Bei der Fed-Cup-Partie in Leipzig müssen die Deutschen sie fürchten.

Von Matthias Schmid, Leipzig

Martina Hingis machte es sich gerade auf der Bank bequem und beugte sich tief hinunter zu ihrer Schlägertasche, als sie in der Leipziger Messehalle plötzlich jemand von der Seite ansprach. "Glückwunsch noch zu deinem 123. Doppeltitel." Hingis blickte kurz ziemlich indigniert und registrierte dann erst, wer ihr die freundlichen Worte zukommen ließ. Es war Andrea Petkovic, die deutsche Tennisspielerin. "Danke", entgegnet Hingis freundlich.

Wenn sich an diesem Wochenende die deutsche und die Schweizer Nationalmannschaften im Fed Cup gegenüberstehen, wird vor allem Angelique Kerber nach ihrem Sieg bei den Australian Open ins Blickfeld des öffentlichen Interesses rücken. Doch es gibt noch eine zweite Spielerin, die als Siegerin des Grand-Slam-Turniers anreist: Hingis. An der Seite der Inderin Sania Mirza gewann die 35-Jährige in Melbourne den Doppelwettbewerb. Es war ihr 36. gemeinsamer Sieg nacheinander und der dritte Majortitel in Serie. "Unser Märchen geht weiter", sagt Hingis nach ihrem 21. Grand-Slam-Erfolg.

Es ist in der Tat eine erstaunliche Geschichte, die Hingis da schreibt. Ein Epilog ist nicht abzusehen. Dabei hatten wohl alle gedacht, dass sie nach jenem verhängnisvollen Tag im November 2007 kein weiteres sportliches Kapitel mehr schreiben würde. Hingis hatte damals bekannt gegeben, dass sie zuvor in Wimbledon positiv auf Kokain getestet worden war. Sie beteuerte ihre Unschuld, wurde aber für zwei Jahre gesperrt. Das bedeutete das Ende ihrer zweiten Einzelkarriere.

"Dem Sport wieder alles unterordnen? Dazu bin ich nicht mehr bereit": Martina Hingis, Australian-Open-Siegerin im Doppel 2016. (Foto: Hendrik Schmidt/AFP)

"Ausgesperrt zu werden von dem, was ich mein Leben lang am liebsten gemacht habe, das war schon schwierig", hat Hingis darüber einmal erzählt. In jener Zeit verlor sie völlig den Halt. Weitgehend orientierungslos irrte sie durch ihr Leben. Sie probierte vieles aus, versuchte sich als Springreiterin, warb für Waschmaschinen und heiratete einen reichen Reiter. Eingebracht hat ihr all das vor allem eines: Hohn. Wie Boris Becker musste sie erfahren, dass der Alltag schwierig sein kann für Sporthelden a. D.

Martina Hingis war gerade einmal 14 Jahre alt, als sie in Zürich zu ihrem ersten Profiturnier antrat. Ein Jahr später gewann sie bereits die Doppel-Konkurrenz in Wimbledon. Im Frühjahr 1997 wurde sie mit 16 Jahren und sechs Monaten die jüngste Nummer eins der Weltrangliste. "Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten. Es erfasst einen wie eine Welle", sagt Hingis im Rückblick.

Angetrieben von ihrer strengen Mutter eilte sie von Sieg zu Sieg. Sie gewinnt fünf Grand-Slam-Turniere im Einzel und neun im Doppel, als ihr Körper mit 22 Jahren nicht mehr will. Eine chronische Fußverletzung macht jeden Schritt zur Qual. Hingis beendet ihre Karriere. Aber nur drei Jahre später kehrt sie auf die Tour zurück. Doch ihr altes Niveau erreicht sie nicht mehr. Der positive Kokaintest führt schließlich zum unfreiwilligen Rücktritt.

2013 dann die erneute Kehrtwende: Hingis beginnt, wieder Doppel zu spielen. Kurz wirkt sie als Trainerin und Doppel-Partnerin von Sabine Lisicki. Bei ihrem zweiten gemeinsamen Auftritt gewinnen sie im Frühjahr 2014 gleich das nicht unbedeutende Turnier in Miami. "Ich habe Sabine schon häufiger dafür gedankt, dass sie mich aus dem Ruhestand geholt hat", sagt Hingis. Sie entscheidet sich gegen den Trainerjob und für eine dritte Karriere als Spielerin. Aber erst als sie auf die Inderin Sania Mirza trifft, beginnt sie auch wieder die großen Turniere zu gewinnen. "Das fühlt sich an wie in einem anderen Leben. Ich kann mit Sania alles noch einmal erleben, wie früher", sagt Hingis.

Etwas Entscheidendes ist doch anders. Sie trainiert nicht mehr so viel, sie genießt das Leben, gönnt sich Pausen, sie geht vormittags auch mal Shoppen, wenn sie keine Lust hat zu üben. Fürs Doppel reicht ihre Begabung, ihr besonderes Ballgefühl. Und natürlich die Tatsache, "was ich als ganz junge Spielerin geleistet habe. Ich habe Millionen von Bällen geschlagen. Die haben sich in meiner Erinnerung eingegraben." Hingis spielt mit Übersicht, ihre Flugbälle gehören zu den besten. Einzel will sie nicht mehr spielen. Das sei ihr zu anstrengend, sagt sie: "Um konkurrenzfähig zu sein, müsste ich viel mehr investieren, dem Sport wieder alles unterordnen. Dazu bin ich nicht mehr bereit." Die neue Lockerheit steht ihr gut - und die Deutschen müssen sie fürchten: Möglich, dass Hingis eine entscheidende Rolle spielt, wenn das abschließende Doppel am Sonntag die Partie in Leipzig entscheiden muss. Bis dahin will die erfahrenste Akteurin ihrem Team allein mit ihrer Präsenz helfen: "Ein bisschen positive Energie von der Bank kann nicht schaden", sagt Martina Hingis.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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