Tennis:Für Görges war jede Woche ein Geschenk

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Dominierend zum Jahresabschluss: Julia Görges in Zhuhai. (Foto: AFP)
  • Julia Görges gewinnt bei der Tennis-B-Weltmeisterschaft im chinesischen Badeort Zhuhai.
  • Sie hat nun seit neun Matches nicht mehr verloren. In der am Montag erscheinenden Weltrangliste wird Görges auf Rang 14 geführt - so hoch wie nie.
  • Ihren Erfolg verdankt die 29-Jährige auch einem psychologischen Kniff, bei dem sie sich von Misserfolgen freimacht.

Von Philipp Schneider, Zhuhai/München

Es ist ja nicht so, als hätte Julia Görges ihr tatsächlich perfektes Saisonfinale nicht irgendwie kommen sehen. Die Öffentlichkeit mag nun staunen über ihren Sieg bei der, etwas despektierlich, Tennis-B-Weltmeisterschaft genannten Veranstaltung im chinesischen Badeort Zhuhai. Aber ist Görges überrascht?

"Ich kann mir kein besseres Ende der Saison vorstellen", sagte sie bei der Siegerehrung, nachdem sie im Finale auch noch die Amerikanerin Coco Vandeweghe mit 7:5, 6:1 abgefertigt hatte. Da klang Görges nicht verwundert, eher sachlich. "Ich möchte meinem Team von Herzen danken, dank euch stehe ich hier", sagte sie noch. Auch da klang sie nicht perplex, eher analytisch. Und so ist die Wahrheit wohl, dass sich Görges nicht überrumpelt fühlt vom Ertrag eines Tennisjahres, das gegen Ende so richtig Fahrt aufgenommen hat und nun in der Rückschau als das beste ihrer Karriere in Erinnerung bleiben wird.

Nach ihrem Triumph in Moskau im Oktober war der Titel in Zhuhai nicht nur ihr zweiter Turniersieg nacheinander. Sie hat nun seit neun Matches nicht mehr verloren. In der am Montag erscheinenden Weltrangliste wird Görges auf Rang 14 geführt, sie steht so weit oben wie nie. Sie ist die beste deutsche Spielerin. Ja, sie ist besser als Angelique Kerber. Sogar um sieben Plätze.

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Görges gibt wunderbare Antworten

Man muss also die Frage stellen, woher die 29-Jährige die Kraft für dieses Formhoch im Spätsommer ihrer Karriere zieht. Mehr als sechs Jahre hatte sie auf einen Turniersieg warten müssen wie den von Moskau. Nach den Erfolgen in Bad Gastein 2010 und Stuttgart 2011 hatte Görges sechs Endspiele verloren, davon drei allein in diesem Jahr. Solche Rückschläge können zermürben, oder sie können motivieren, das ist vor allem eine Frage der inneren Haltung. Und Görges hat in diesem Jahr ein paar wunderbare Antworten auf die Frage gegeben, woher ihr Formanstieg rühren mag. Da ist zum einen ihre austarierte berufliche und private Basis.

Vor zwei Jahren ist sie nach Regensburg gezogen, dort lebt sie mit Florian Zitzelsberger, der auch ihr Athletiktrainer ist. Sie hat alle wichtigen Strukturen an einem Ort, auch ihren Trainer Michael Geserer. Schon während der US Open, als sie knapp das Ziel verfehlte, erstmals in ihrer Karriere in ein Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers einzuziehen, erzählte sie, dass der Schritt nötig gewesen sei, um nach sieben Jahren mit dem gleichen Team "eine neue Stimme zu hören".

Diese neue Stimme sang nun einer Spielerin, die rein technisch schon immer über exzellente Mittel verfügte, noch ein paar vortreffliche psychologische Tricks ein.

Julia Görges hat sich angewöhnt, ihre Saison in Phasen einzuteilen. Die Phasen bilden abgeschlossene Einheiten, die sozusagen hermetisch abgeriegelt sind von den anderen Phasen. Als hätte die eine mit der anderen nichts zu tun. Der Kniff erzeugt die Illusion, es gebe keinen großen Zusammenhang in der Karriere einer Julia Görges. Ohne diesen kann es auch keine irre hohen Erwartungen geben wie in der Karriere einer Angelique Kerber, die ja in dieser Saison an dem großen Zusammenhang verzweifelt war, die Bürde zu tragen, als Nummer eins der Welt hin und wieder auch mal auf dem Platz die beste Spielerin der Welt sein zu müssen. "Man teilt die Saison in Abschnitte ein", hat Görges erzählt. "Andere Athleten haben alle vier Jahre Olympische Spiele oder alle zwei Jahre eine Weltmeisterschaft, da ist eine Enttäuschung noch mal eine ganz andere Angelegenheit. Wir dürfen uns jede Woche neu beweisen."

Wir dürfen. Aus Görges' Sicht ist der stete Wechsel von Niederlage und Sieg keine Last. Er ist ein Geschenk.

Und sie hat begriffen, dass im Frauentennis eine ungewöhnliche Zeit angebrochen ist. Eine Phase ohne Regentin, ein seltener Moment der Anarchie. Noch nie gab es so viele Wechsel an der Spitze wie 2017. Die Rumänin Simona Halep ist schon die fünfte Spielerin, die seit Jahresbeginn an der Spitze residiert. Wäre man da als Julia Görges nicht schön doof, diese Lücke nicht lebensgroß zu füllen? "Daraus ziehe ich die größte Motivation, wenn ich sehe, was im Frauentennis derzeit möglich ist", hat Görges im September angekündigt. Für Boris Becker, den leider noch immer so genannten "Head of Men's Tennis des Deutschen Tennis Bundes", war Görges' Erfolg Anlass genug für einen geschlechterübergreifenden Kommentar. "Sagenhaft, Mädchen...", twitterte er. Barbara Rittner, DTB-Frauen-Chefin ahnt: "Da kommt noch mehr."

Görges verkündete in China, sie "freue" sich "schon auf 2018". Das unterscheidet sie von Kerber, der ehemals besten Deutschen, die nach ihrem frühen Aus bei der B-WM meinte, sie sei "froh, dass das Jahr zu Ende ist". Die eine blickt zuversichtlich in die Zukunft. Die andere traurig in die Vergangenheit.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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