Tennis:Federer besiegt seinen größten Dämonen

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Fast zehn Jahre lang scheiterte der Schweizer in wichtigen Spielen immer an Rafael Nadal. Er musste 35 Jahre alt werden, um eine erfolgreiche Strategie gegen den Spanier zu finden.

Von Matthias Schmid

Es sagt viel über die Bekanntheit und die Beliebtheit eines Sportlers aus, wenn er auch in den entlegensten Ecken des Planeten erkannt und ihm dort auf überraschende Weise gehuldigt wird. In Rishikesh, einem nordindischen Pilgerort, schwärmte vor Jahren ein achtjähriges Mädchen einem deutschen Journalisten gegenüber so fachmännisch von den Vorzügen Federers bei Vorhand und Beinarbeit, als hätte sie kein Match des Schweizers je verpasst.

Es ist genau diese anziehende Ästhetik und Präzision seines Spiels, die der wunderbare und viel zu früh verstorbene amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace in einem Essay den "Federer-Moment" nannte. Wallace war wie viele andere Künstler und Sportler ein Bewunderer des mittlerweile 35-jährigen, der das Tennis auf ein nie dagewesenes Niveau gehievt und es zudem für ein Publikum geöffnet hat, das sich davor nicht sonderlich für diesen Sport zwischen den neun weißen Linien interessiert hat.

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Sportler verschiedenster Sportarten bewundern vor allem Federers Beständigkeit auf allerhöchstem Niveau und seine bodenständige, zurückhaltende Art, Tennis weltweit zu repräsentieren. Stellvertretend für sie alle sprach Golf-Legende Jack Nicklaus Federer nach dessen Triumph bei den Australian Open mit pathetischen Worten direkt an: "Als großer Fan des Tennis und von Ihnen, hören Sie jetzt nicht auf", sagte der 77-jährige Amerikaner, der 18 Majortitel gewann.

Nach Federers wundersamen Reise bei den Australian Open, die er mit dem Finalsieg gegen Rafael Nadal beendete, war die Sportwelt aufgewühlt wie lange nicht mehr. Es lag nicht nur an seinem 18. Grand-Slam-Turnier-Titel, so viele hat kein anderer Tennisspieler gesammelt, sondern besonders an dem Sieg gegen seinen langjährigen Rivalen Nadal. Von keinem anderen Spieler war Federer in der Vergangenheit so oft besiegt, so oft gedemütigt worden wie vom linkshändig spielenden Mann aus Manacor. Das Endspiel in Melbourne war bereits ihr 35. Aufeinandertreffen auf der Profitour. Die vergangenen sechs Partien bei den vier bedeutendsten Turnieren entschied der Spanier allesamt für sich. Zuletzt hatte Federer den zähen und ausdauernden Nadal bei einem Major 2007 in Wimbledon geschlagen. Fast zehn Jahre ist das her. In einem Sportlerleben sind zehn Jahre zwei Ewigkeiten.

Es waren nicht nur sportliche Niederlagen, es waren sportliche Tragödien, die sich da abspielten. Viele Tränen vergoss Federer, weil er Vorsprünge auf fast schon groteske Art verspielte.

Federer lässt das Schwere so schwerelos aussehen

Federer ist ein begnadeter Tennisspieler, ein Genie, das das Schwere so schwerelos aussehen lässt. Er ist wohl der beste, den dieser Sport je gesehen hat, er beherrscht jeden Schlag für sich genommen besser als Nadal. Doch kaum eine andere Sportart ist so komplex, so vielschichtig und fordert so unterschiedliche konditionelle und koordinative Fähigkeiten. Vor allem werden Endspiele nicht mit dem Vorhand-Topspin, dem Rückhand-Slice oder der Beweglichkeit entschieden, sondern mit dem Kopf. Ein verlorener Ballwechsel reicht manchmal aus, um einem Match eine irrsinnige, völlig unverhoffte Wendung zu geben. Federer wurde über die Jahre gegen Nadal immer verkrampfter, sobald sie gemeinsam den Platz betraten. Er begann, an seinen einzigartigen Fähigkeiten zu zweifeln. Er entwickelte eine psychische Blockade, die man von ihm in diesem Ausmaß nicht erwartet hätte, weil er die Lässigkeit erfunden zu haben schien. Diese Dämonen wurde er sehr lange nicht los.

Auch deshalb stellten sich viele Federer-Liebhaber vor dem Endspiel gegen Nadal die Frage, ob er gleich wieder in alte verzagte Verhaltensmuster verfallen würde.

Es wurde leidenschaftlich darüber debattiert, gemutmaßt und auch noch so jedes kleine Detail erörtert. Die Vorzeichen hatten sich für die einen komplett geändert, weil sich sowohl Federer als auch Nadal nach langen Verletzungspausen zurückgemeldet hatten. Federer plagte eine Knieverletzung samt Operation, die er sich beim Baden mit seinen Kindern zugezogen hatte. Nadal pausierte wegen einer hartnäckigen Handgelenksverletzung. Die anderen glaubten, dass sich die Blockade mittlerweile so in Federers Kopf verfestigt hat, dass er sie auch bei einem Showkampf im Rentneralter gegen Nadal nicht mehr werde ablegen können.

Die ersten Minuten der Begegnung sollten den Kritikern recht geben. Federer spielte verhalten, passiv, er hing an der Grundlinie fest, anstatt die Bälle früh zu nehmen und die Ballwechsel vorne am Netz zu verkürzen. Gelingt es Nadal nämlich, Federers schnelle Schläge zu kontern, sich in die Partie mit seiner Wucht und seiner Zähigkeit hineinzuwühlen und mit seinem extremen Vorwärtsdrall selbst die Initiative zu ergreifen, ist er fast nicht zu schlagen. Doch anders als in vielen Duellen zuvor spielte sich Federer frei, vor allem mit der Rückhand, die er nie zuvor gegen Nadal so konsequent und schön schwang. Alles Verkrampfte verflog, es sah spielerisch leicht aus. Das Match war dennoch ein ständiges Auf und Ab, eine emotionale Achterbahnfahrt. Weltklasseschläge wechselten sich mit Fehlern ab, über die sich auch Hobbyspieler ärgern.

Das Match erlebt am Ende einen Federer-Moment

Als Federer beim 1:3 im fünften Satz einige Breakbälle vergab, glaubten viele an Nadals Sieg. Doch der Schweizer kam noch mal zurück, und er bekam noch einmal diesen einen Ballwechsel, der ein ganzes Match auf diesen einen alles entscheidenden Augenblick verdichtet. Federer führte 4:3 im fünften Satz, bei Aufschlag Nadal stand es 40:40. Die beiden schlugen sich mit einem atemberaubenden Tempo die Bälle um die Ohren, sie rannten von einer Ecke in die andere, vor und zurück, bis plötzlich Federer ansatzlos eine Vorhand die Linie entlang unerreichbar in die Ecke spielte. Es war dieser eine Federer-Moment, den Wallace einst so schön beschrieben hat.

Aber auch das letzte Spiel der Partie beinhaltete noch einmal eine letzte, unverhoffte Pointe. Das Match wurde nicht auf herkömmliche Weise entschieden, sondern per Videobeweis. Das sogenannte Hawkeye bezeugte, dass die letzte Vorhand Federers, die Linie berührt hatte. Als sein Sieg feststand, hielt er noch den Schläger in der einen und den Ball in der anderen Hand. Federer hüpfte wie ein kleines Kind auf der Stelle, Augen und Mund weit aufgerissen. Sein Triumph fiel emotionaler aus als viele andere davor, es war ein Sieg gegen alle Blockaden, gegen alle Kritik und Zweifel der vergangenen viereinhalb Jahre. Federers Sieg war eine Befreiung - für ihn und alle Liebhaber des ästhetischen Spiels.

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