Tennis:Ende der Achterbahn

ATP Qatar Open

Einer mit Herz - und Biss: Novak Djokovic wirkt erleichtert nach seinem Finalsieg in Doha, mit dem er Andy Murrays Erfolgsserie beendete.

(Foto: AK BijuRaj/Getty Images)

Nach einem turbulenten 2016 mit dem Verlust der Weltspitze meldet sich Novak Djokovic eindrucksvoll zurück: Er bezwingt in Doha seinen Nachfolger Andy Murray.

Von Gerald Kleffmann, Doha/München

In den letzten Monaten von 2016 ging es in der Welt des Novak Djokovic oft um die Begriffe Love und Peace. Sein neuer zweiter Coach Pepe Imaz, der nun an Boris Beckers Stelle gerückt ist und eine sehr eigene Tennisphilosophie lebt, predigt sie gerne. Allem Anschein nach hat er damit schon erste Erfolge bei seinem neuen Klienten erzielt, zumindest drangen aus dem Privatleben des Serben jüngst nur Plätscher-Nachrichten an die Öffentlichkeit, im Spätsommer war das anders gewesen. Mit Gattin Jelena und Söhnchen Stefan hatte Djokovic nun harmonische Tage in Monte-Carlo verbracht, dort lebt der Serbe aus Belgrad, dort hat er sich auf die neue Saison vorbereitet und die alte reflektiert. Gab ja viel zu verarbeiten.

Zuerst gewann er alles, dann verlor er einiges, Aufsehen erregte sein Bekenntnis, ausgelaugt und ein Sinnsuchender zu sein nach vier Grand-Slam-Triumphen in Serie. Die Pole Position in der Weltrangliste gab er daraufhin auch ab, an Andy Murray. Umso gespannter blickte die Branche, nach zwei Monaten Wettkampfpause, nun nach Doha, um bei der kleinen ATP-Veranstaltung zu verfolgen, wie Djokovic sein Achterbahn-Jahr verkraftet hat.

Zwei Aspekte blieben hängen: Zumindest auf dem Platz ist es mit Love und Peace vorbei, Djokovic hat prächtig geflucht, seine Mitarbeiter in der Box angepöbelt und im Endspiel zwei Verwarnungen samt Punktabzug kassiert, weil er einmal eine Zuschauerin bei einem Wutanfall mit dem Ball traf und einmal den Schläger malträtierte. Letzteres macht er zwar öfter, aber in der zweiten Jahreshälfte zerbrach in solchen Momenten nicht nur sein Arbeitsgerät, sondern auch sein Ruf der Unbesiegbarkeit. Diesmal nicht. Am Ende gewann Djokovic eben auch gleich das erste Turnier 2017 und sprach folgerichtig vom "besten Szenario" zum Saisonstart. Er hat sich wieder als Siegertyp präsentiert.

Seine erste Einsatzwoche seit seiner Finalniederlage beim Tourfinale in London krönte er mit dem 6:3, 5:7, 6:4 im Finale gegen Murray. Statistisch gesehen beinhaltete sein 67. Titel prägnante Werte. 35-mal war er ans Netz gepirscht, mit fast 70-prozentiger Erfolgsquote hatte sich diese für ihn ungewohnte Angriffslust bezahlt gemacht. Der Serbe beendete nebenbei Murrays Serie von 28 Siegen. Die wichtigste Neuigkeit verbarg sich aber in Djokovic' Kopf. Er ließ wieder diese Galligkeit, diese Gnadenlosigkeit erkennen, die ihn so lange zum Maßstab der Szene geformt hatte. Bei der Sieger-Pressekonferenz gab er zu verstehen, dass er sich selbst an diesem Erkenntnisgewinn erfreute: "Dieser kontrollierte, offensive Spielstil ist der Weg, um zu gewinnen", stellte er erleichtert fest.

Noch eine Fähigkeit erinnerte an den früheren Dominator. Wiederholt überstand er in Doha schwierige Situationen, auch die extremsten, die im Tennis möglich sind. In der ersten Runde lag Djokovic 1:5 gegen Jan-Lennard Struff aus Warstein zurück, mit dem er kürzlich noch eine Trainingsschicht absolviert hatte. Er drehte den ersten Satz im Tie-Break, siegte 6:4 im zweiten Satz. Im Halbfinale wackelte er noch heftiger, Fernando Verdasco hatte fünf Matchbälle. Doch er meisterte diese Krise, wie auch jene letzte im Finale, als er - kurz nachdem er umgeknickt und beim Sturz auf den Kopf gefallen war - bei 5:4 im zweiten Satz drei Matchbälle seinerseits ausließ. Im dritten Satz blieb die Partie bis zum 3:3 offen, es gab genügend Momente, um zu hadern, zu scheitern. Doch schon bei dem Arbeitssieg gegen Struff war Djokovic aufgefallen, dass er "Wege gefunden" habe, um zu gewinnen.

Er verlor sein Ziel, den Endertrag, nicht aus dem Sinn. Diese Gabe hatte ihm maßgeblich Boris Becker in dreijähriger Zusammenarbeit eingeimpft, der 49-Jährige verfolgte als Fernsehzuschauer den ersten Erfolg seines früheren Spielers nach der Trennung. Erfreut beglückwünschte er Djokovic in einem seiner zuverlässig abgesonderten Tweets ("Well done"), sicher hatte auch er mit Interesse den nächsten neuen Mann in der Box des Serben registriert. Denn hinter der Grundlinie saßen weder Imaz noch Djokovic' langjähriger Stammcoach Marian Vajda. Der Slowake wird ab sofort, bestätigte Djokovic, von seinem serbischen Landsmann Dusan Vemic ersetzt, wenn Familienvater Vajda verhindert ist. Der 40-Jährige war die Nummer 146 und ist ein langjähriger Freund von Djokovic, womit sich das Bild verfestigt: Der Serbe legt besonderen Wert auf ein Team, mit dem er sich wohl fühlt. Nur auf dem Platz lässt er Love und Peace außen vor. Becker, während der Australian Open als Fernsehexperte im Einsatz, kommentierte Djokovic' gesamten Auftritt treffend mit dem Satz: "Schlechte Nachrichten für den Rest."

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