Tennis:"Du kriegst Gänsehaut"

Tennistrainer Dieter Kindlmann, 35, aus Sonthofen über Lernprozesse auf der WTA Tour und Kässpatzen.

Interview von Gerald Kleffmann

SZ: Herr Kindlmann, kürzlich standen Sie als Tennistrainer von Madison Keys im Finale der US Open, nun mussten Sie die Asienreise mit der Amerikanerin abbrechen, weil sie wieder an ihrer alten Handgelenksverletzung leidet. Wie erleben Sie als Coach solche Aufs und Abs?

Dieter Kindlmann: Sie gehören zum Alltag dazu, man muss aus jeder Situation versuchen, das Beste zu machen. Ich bin jetzt daher für ein paar Tage ins Allgäu gefahren, zu meiner Familie. Aber natürlich ist es ein kleiner Rückschlag. Noch ist nicht klar, wie wir die Saison zu Ende spielen. Es gilt jetzt, eine kluge Entscheidung zu treffen. 2018 darf auch nicht gefährdet werden.

Sie waren drei Jahre als Schlagpartner im Team von Maria Scharapowa, dann machten Sie sich selbständig als Trainer, führten etwa die Russin Anastasia Pawljutschenkowa ins Viertelfinale von Wimbledon. Seit einem halben Jahr betreuen Sie Keys, gemeinsam mit der früheren Nummer eins Lindsey Davenport. Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?

Es war der absolut richtige Schritt. Wann hat man schon mal die Chance, mit einer Spielerin zu arbeiten, die um Grand-Slam-Titel spielen kann? In New York waren wir dicht dran. Die ersten Monate waren etwas schwierig, weil sie erst wieder richtig fit werden musste nach ihrer OP im November. Aber als wir Struktur ins Team und das Training bekamen, ging es aufwärts.

Fühlen Sie sich manchmal nicht ganz als Trainer wahrgenommen in Deutschland?

Das weiß ich nicht, wie sehr ich wahrgenommen werde. Aber das beschäftigt mich auch nicht so. Wenn man mit einer ausländischen Spielerin arbeitet, ist man eben aus dem deutschen Blickwinkel betrachtet weniger im Fokus. In New York habe ich das gemerkt: Als alle deutschen Frauen draußen waren, gab es mehr Interesse an meiner Person als deutscher Trainer. Kein Problem. In erster Linie zählt nur der Erfolg meiner Spielerin.

Und doch sind Sie auch Einzelunternehmer. Wie sieht man Sie im Ausland?

Ich sage das ohne große Emotion, aber ich glaube, ich habe im Ausland einen wesentlich besseren Ruf. Beziehungsweise, man kennt mich im internationalen Tennis mehr. Klar, das hatte mit der Zeit im Team von Scharapowa zu tun, und auch als Trainer von Pawljutschenkowa wurde gesehen, wie ich arbeite. Da waren Erfolge dabei, die man vorzeigen kann - wobei ich ehrgeizig bin und mich nie ausruhen will.

2014 French Open - Day Fourteen

Erfolgreich: 2014 begleitete Dieter Kindlmann die Russin Maria Scharapowa als Schlagpartner auf ihrem Weg zum French-Open-Titel

(Foto: Clive Brunskill/Getty)

Warum haben Sie noch nie eine deutsche Spielerin trainiert?

Keine Ahnung. Das hat sich alles so ergeben nach meiner aktiven Karriere. Ich hatte das nicht so geplant, sondern bin in die internationale Schiene gerutscht. Grundsätzlich wäre es natürlich auch mal schön, mit einer deutschen Spielerin zu arbeiten.

Wie kamen Sie an die Position bei Keys?

Ich hatte vorher mit der Engländerin Laura Robson gearbeitet. Ich war glücklich in London, das Umfeld war gut, mein geliebtes Allgäu näher. Im April rief mich Lindsay Davenport an. Sie hat ja vier Kinder, arbeitet als Kommentatorin, sie konnte nicht mehr Fulltime mit Madison arbeiten. Mir war klar: Die Chance musste ich nutzen.

Half es, dass Keys in Max Eisenbud den selben Manager hat wie Scharapowa?

Sicherlich hat das geholfen, das ist kein Geheimnis. Im Tennis sind Kontakte wichtig. Nur sind sie wenig wert, wenn man nicht auf dem Platz liefert. Max wusste, was ich meinen Beruf definiere, für welche Werte ich stehe.

Wann merkten Sie, dass die Arbeit mit Keys wirklich durchschlägt?

So richtig im Nachhinein nach Wimbledon. Da konnten wir länger am Stück fokussiert an Prozessen arbeiten. In den Wochen zwischen Turnieren wird die Basis für spätere Erfolge gelegt, körperlich, taktisch, mental. Wir arbeiten, wenn es geht, in Orlando, der amerikanische Verband hat dort ein Riesenareal gebaut. Dort fehlt nichts. Wir können auch den Konditionstrainer nutzen und haben super Bedingungen.

Wie ist man Ihnen begegnet? Es ist ja doch ungewöhnlich: Ein jüngerer Deutscher trainiert einen der besten US-Profis?

Ich glaube schon, dass ich auch durchleuchtet und genauer angeschaut wurde. Aber ich stehe auch zu meiner Arbeit und stelle mich. Als Trainer wird man eben auch immer wieder überprüft. Spätestens die Ergebnisse zeigen dann, ob eine Spielerin sich verbessert hat oder nicht.

Wie läuft die Arbeit mit Davenport ab?

Auch das ist natürlich ein Prozess, der sich einspielen musste. Sie ist die Hauptchefin, das muss man schon sagen. Die Aufteilung ist aber so, dass sie bei den Grand Slams und den US-Turnieren dabei ist. Daher fungiert sie viel auch als Art Supervisorin im Hintergrund. Ich telefoniere oft mit ihr, wenn ich wie jetzt alleine mit Madison unterwegs war. Ich genieße es, mit so einer Legende zu arbeiten. Sie ist noch dazu eine entspannte, coole Frau. Ich finde, wir ergänzen uns optimal.

2017 Wuhan Open - Players Party & Preview

Im September führte Kindlmann seine aktuelle Spielerin Madison Keys aus den USA ins Endspiel der US Open. Die 22-Jährige ist derzeit die Nummer 13 der Weltrangliste.

(Foto: Kevin Lee/Getty)

Haben Sie sich als Trainer verändert? Sie haben ja viele Typen trainiert?

Ich denke schon, dass ich meine Arbeit etwas angepasst habe. Ich bin ja immer noch ein sehr junger Trainer und entwickle mich weiter. Ich mache einiges anders.

Was zum Beispiel?

Als ich Pawljutschenkowa betreute, gab es für mich nur eine Linie. Nur einen Weg. Da bin ich keine Kompromisse eingegangen. Ich habe dadurch aber gelernt, dass man als Trainer auch geduldiger sein muss, dass man auch manchmal mit kleinen Schritten zufrieden sein muss. Man kann nicht alles gleich in zwei, drei Monaten erreichen.

Und doch hat Keys dann fast ihr erstes Grand-Slam-Turnier in New York gewonnen. Ändert so ein Erfolg die Arbeit?

Das darf er nicht. Die konstante, klar strukturierte Arbeit sollte die gleiche sein. Aber die Zielsetzung verschiebt sich natürlich. Als ich zu Keys stieß, war sie um Platz 60 in der Weltrangliste. Das Ziel war die Top 32, damit sie bei Grand Slams gesetzt wird. Nun sind wir um 15 im Ranking. Theoretisch könnte sie sich für die B-WM in Zhuhai qualifizieren. Wir müssen sehen, was ihr Handgelenk macht. Die zwei Wochen bei den US Open haben Kraft gekostet.

Wie haben Sie die zwei Wochen in New York erlebt?

Sie haben mich unglaublich geprägt. Ich habe auch eine Woche gebraucht, um mal mit Abstand alles zu begreifen. Die Dimension eines solches Turnieres, noch dazu als Trainer einer Amerikanerin, ist so gewaltig. Das ist wie ein Champions-League-Finale. Madison spielte vor voller Kulisse auf dem Centre Court, im größten Tennisstadion der Welt. Da kriegst du Gänsehaut, trotz aller Anspannung. Leider hat sie dann das allerletzte Match gegen Sloane Stephens verloren, aber das Schöne ist: Es gibt noch viele Aspekte, an denen ich mit ihr arbeiten möchte, Sie hat so viele Möglichkeiten.

Konnten Sie die Zeit auch genießen?

Ganz ehrlich, das waren die anstrengendsten zwei Wochen in meiner Trainerkarriere. Das lag vor allem an den Zeiten der Matchansetzungen. Wir hatten oft Night Sessions und kamen um 24 Uhr auf den Platz. Um 4 Uhr waren wir im Hotel, haben um 5 Uhr geschlafen. Da war keine Zeit für Genießen. Vor allem, weil nach jedem Sieg auch die Lust auf den nächsten Sieg noch größer wurde. Es gibt immer Druck, von Runde zu Runde. Am Ende, als alles vorbei war, war ich auch platt. Da hätte ich mich am liebsten aufs Zimmer zurückgezogen und einfach zwei Bier getrunken. Das ist ja das Brutale am Sport: Da spielt eine Spielerin zwei Wochen ein Superturnier, und dann fehlt doch dieser eine letzte Sieg im letzten Match. Mit etwas Abstand kamen Freude und Stolz aber doch schnell zurück. Ich hätte es ihr so gewünscht, dass sie Geschichte für ihr Land schreibt.

Was vermisst der Allgäuer am meisten?

Klar vermisse ich die Berge, die frische Luft, sogar mal den Regen. Oder einfach auf einer Hütte sitzen und Kässpatzen essen. Das sind Dinge, die sind einmalig.

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