Tennis:Die Türkei hat nun ein Tennisvorbild

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Im türkischen Frauen-Tennis hält Çağla Büyükakçay, 27, alle Rekorde. (Foto: imago/Hasenkopf)
  • Nur die wenigsten Menschen spielen Tennis in der Türkei, Verbandsstrukturen gibt es kaum: Çağla Büyükakçay hat den mühsamen Weg trotzdem geschafft.
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Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Als Çağla Büyükakçay am Dienstagfrüh ihr Erstrundenmatch bei den Australian Open gegen die Französin Océane Dodin beginnt, ertönen gleich Anfeuerungsrufe. Bei Punktgewinnen wird gejubelt. Auf der Tribüne hängt jemand eine Fahne mit Mondstern auf. Eine Frau trägt ein Trikot des Fußballklubs Galatasaray. Bei Seitenwechseln tauchen neue Besucher auf, auch Frauen mit Kopftüchern. Viel Lärm kommt aus der ersten Reihe, Büyükakçays Trainer Can Üner sitzt dort und neben ihm, wie sich herausstellt, ein Journalist, der synchron mit den Armen rudert bei strittigen Entscheidungen. Die Gemeinde hält zusammen, wo immer Büyükakçay spielt.

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Büyükakçay ist die erste Türkin überhaupt, die es in die Top 100 der besten Tennisspieler der Welt geschafft hat. Zurzeit ist sie 86. Praktisch alle Rekorde, die es im türkischen Frauentennis gibt, stammen von ihr, der 27-Jährigen aus Adana, die eine übersichtliche Gruppe anführt: Die Türken stellen nur sieben Profis auf der Frauentour, fünf sind um 500 platziert, eine in den Top 200 (İpek Soylu, 20) - dann ist da Büyükakçay.

Durchbruch ausgerechnet in der Heimat

5000 Menschen nur von gut 80 Millionen Einwohnern spielen Tennis in der Türkei, fast ausschließlich in teureren Klubs. Wie schwierig ihr Weg war, schildert Büyükakçay, die zwar gegen Dodin 5:7, 7:6 (1), 2:6 verliert, aber dennoch zur Pressekonferenz kommt. Sie lässt den türkischen Reporter, der auch ihretwegen angereist ist, nicht im Stich. "Ich wurde spät mit 17 Profi", erzählt Büyükakçay, bei der früh das Talent auffiel. Ihre Eltern hatten sie quasi unter den Arm gepackt und in den Tennisklub mitgenommen, sie mochten den Sport. "Doch es fehlten Möglichkeiten, damit ich mich schneller verbessern kann." Es war ihre Mutter, die beschloss, nach Istanbul zu ziehen, weil es dort Möglichkeiten gab. Der Vater - dieses Opfer brachte die Familie - blieb in Adana.

Obwohl Büyükakçay mit 15 im Fed Cup antrat, musste sie zwei Jahre warten, um Profi zu werden. Sie konnte sich diesen Schritt nicht leisten. Erst als ein Sponsor sie bezuschusste, wagte sie ihn 2004. Es sollte zwölf Jahre bis zum Durchbruch dauern, ausgerechnet in der Heimat. 2016 gewann sie als erste Türkin, klar, ein Turnier der WTA-Tour - in Istanbul. Das war zwar kein Grand-Slam-Erfolg, aber alle Medien berichteten ekstatisch über den Finalsieg. "Çağla ist ein Vorbild", versichert Üner, der seinerseits die entsprechende Geschichte als Coach zu bieten hat. Er ist auch ein Einzelkämpfer, er muss mit kleinstmöglichen Strukturen klarkommen. Immerhin erhalten sie Hilfe vom Verband.

Die Erfolgsgeschichten von Protagonisten in Ländern wie der Türkei haben wenig mit einem Verbandssystem wie beim Deutschen Tennis-Bund zu tun. Es sind Geschichten von Personen, die sich aus Passion durchsetzen. Üner, einst türkischer U18-Sieger, kam über ein US-College-Stipendium zum Job als Tennistrainer, die Arbeit begeisterte ihn derart, dass er nichts anderes machen wollte. 35 Grand-Slam-Turniere hat er nun in Serie bereist, sein Kind in Istanbul sieht er nicht oft. Fünf Jahre lang hat er Marsel İlhan betreut, der in Usbekistan geboren wurde, aber für die Türkei antritt. İlhan schaffte sämtliche Rekorde bei den Männern für sein Land und war auch der Erste, der es in die Top 100 schaffte (bis auf Rang 77). "Er war der erste, der bei allen vier Grand Slams eine Runde gewann", sagt Üner stolz.

Ähnliches hat er mit Büyükakçay vor, die nun den nächsten Rekord aufstellte: Sie hat es bei allen vier Grand Slams, den vier wichtigsten Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York, ins Hauptfeld geschafft. In Paris und New York zog sie in die zweite Runde ein. Am Speziellsten bleibt aber ihre erste Grand-Slam-Teilnahme bei den French Open 2016: Nach 20 Anläufen hatte sie sich endlich qualifiziert.

"Mir hat jemand gefehlt, dem ich folgen kann"

Büyükakçay spricht freundlich, sie versichert, dass sie nur beste Erfahrungen in ihrer Heimat gemacht habe mit ihrem Beruf. Das Politische, erklärt Üner, versuchen sie von der Arbeit fernzuhalten, und so hingebungsvoll und gestenreich, wie Üner über die Fähigkeiten Büyükakçays spricht, kann man sich vorstellen, dass ihm das passabel gelingt, das eigene Ding zu machen. Basis fürs Training ist der Istanbuler Klub Enka. Weil spielstarke Frauen fehlen, schlägt Büyükakçay oft mit Junioren Bälle.

Sie selbst versucht nun den Spagat zu bewältigen, sich auf dem Platz zu verbessern, aber auch das Thema Vorbild nimmt sie an: "Mir hat jemand gefehlt, dem ich folgen kann, ich habe viel gekämpft", sagt sie. Nun will sie vor allem Kindern und Jugendlichen als Inspiration dienen, fast 100 000 Follower hat sie im Internet. In Melbourne kennt man sie, hier leben an die 100 000 ausgewanderte Türken. "Sie ist sehr bescheiden", versichert Üner, der nur einen Wunsch äußert: Çağla solle sich etwas weiter in den Platz stellen, um mehr Druck auszuüben.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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