Tennis:Andy Murray ist der neue König

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Andy Murray in Paris. (Foto: REUTERS)

Der Brite wird Novak Djokovic an der Spitze der Tennis-Weltrangliste ablösen. Kein anderer Topspieler musste auf diesen Moment länger warten.

Von Max Ferstl, Paris/München

Andy Murray musste keine Vorhand schlagen, keinen Stopp erlaufen. Er musste keinen dieser kanonenartigen Aufschläge retournieren, die Milos Raonic regelmäßig mit über 230 Stundenkilometern über das Netz prügelt. Raonic, der im Halbfinale des Tennisturniers in Paris gegen Murray antreten sollte, konnte nicht spielen. Ein Muskel in seinem Oberschenkel war am Vortag gerissen. "Ich konnte kaum aufstehen", klagte der Kanadier. Murray rückt somit kampflos ins Finale des ATP-Turniers vor und fügt seinem Punktekonto 240 Zähler hinzu. Da Novak Djokovics Vorsprung in der Weltrangliste nur 235 Punkte beträgt und der Serbe bereits am Freitag gegen Marin Cilic ausschied, wird ihn Murray am Montag nach 122 Wochen an der Spitze ablösen.

Der letzte Schritt sei der schwerste, sagt man. Für Murray war er dieses Mal der leichteste. "Es ist etwas seltsam, wie das heute gelaufen ist", sagte Murray. Andererseits: "Die Nummer eins wird man nicht an einem Tag. Es geht um zwölf Monate."

Mit 29 Jahren ist Murray der zweitälteste Spieler der Geschichte, der erstmals an der Spitze der Weltrangliste geführt werden wird. Nur John Newcombe, damals 30, war älter. Kein Spieler musste länger warten als Murray, bevor er nach dem Sprung auf Position zwei (erstmals 2009) schließlich auf den Spitzenplatz vorrückte. Das Warten auf den großen Augenblick, es zieht sich durch Murrays Karriere.

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Der Schotte bildet zusammen mit Rafael Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer die Big Four. Jene Gruppe von Spielern, die in den vergangenen zehn Jahren fast sämtliche Grand-Slam-Titel, die harte Währung im Tennis, untereinander aufteilte. Federer gewann 17, Nadal 14, Djokovic 12. Murray war derjenige, der stets verlor. In seinen ersten vier Grand-Slam-Finals konnte er nur einen Satz gewinnen. "Ich war immer Zweiter, Dritter, Vierter (der Weltrangliste, Anm. d. Red.) und konnte einfach nicht gewinnen", sagte Murray im SZ-Interview: "Du kannst nicht zu den Großen zählen, wenn du nicht große Matches gewinnst."

Er verpflichtete Ivan Lendl als Trainer. Und Lendl, der ebenfalls seine ersten vier Grand-Slam-Finals verlor, schaffte es, Murray den Druck zu nehmen. "Er hat mir erzählt, wie er das erlebt hatte. Dadurch wurden für mich die Situationen normaler", erklärte Murray. 2012 gewann er die US Open gegen Djokovic - sein erster Grand-Slam-Titel. Im Jahr darauf folgte der Sieg in Wimbledon, als erster Brite seit Fred Perry im Jahr 1936.

Doch über eine Saison hinweg sammelte er nie so viele Punkte wie die anderen. Denn Murray interessierte sich überwiegend für die Grand Slams, die im Tennis den Platz eines Spielers in der Geschichte festlegen. Inzwischen ist das anders: "Ich fühle mich für das ganze Jahr motiviert, für alle Events. Ich musste konstanter werden. Das habe ich getan", sagt er.

Murray gewann 2016 sieben Titel, darunter sein dritter Grand-Slam-Titel in Wimbledon und olympisches Gold. "Die vergangenen Monate waren die besten meiner Karriere", findet Murray, der aber auch sagt: "Ich bin nicht so sehr ein anderer Spieler. Ich habe auch vor vier Jahren mein bestes Tennis gespielt."

Geändert hat sich, dass die übrigen drei Spieler der Big Four nicht mehr ihr bestes Tennis zeigen. Federer beendete im Juli seine Saison, weil das Knie schmerzt. Nadal hechelt der großen Form vergangener Tage hinterher. Und Djokovic, der Dominator der vergangenen Jahre, durchlebt seit seinem Triumph bei den French Open im Juni eine Sinnkrise. "Die Denkweise, alles gewinnen zu müssen, funktioniert für mich nicht mehr", erklärte Djokovic kürzlich.

Für Murray funktioniert diese Denkweise besser als je zuvor in seiner Karriere. Er hat geduldig gewartet, sich mit jedem Turniersieg dichter an Djokovic heran geschoben und ihn nun schließlich überholt. Im Gegensatz zu früheren Spitzenspielern, die füreinander nichts übrig hatten, schätzen sich die Big Four. Federer twitterte am Samstagbend: "Wir haben einen neuen König, Gratulation Sir". Nur ein Szenario könnte Murrays Thronbesteigung noch verhindern: Würde Murray beim Finale gegen John Isner am Sonntag (15 Uhr) disqualifiziert, erhielte er für das Turnier in Paris keine Weltranglistenpunkte. Doch das würde natürlich nicht passen zur Geschichte des Schotten, der so geduldig und beharrlich auf diesen Sonntag hingearbeitet hat.

© SZ vom 06.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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