Tennis:Der Auferstandene

US Open 2017 - Day 8

Dank an höhere Mächte: Juan Martin Del Potro wird von argentinischen Fans besungen nach dieser Partie, die er schon verloren zu haben schien.

(Foto: AFP)
  • Juan Martin del Potro geht angeschlagen ins Match gegen Dominic Thiem und leidet in den ersten beiden Sätzen - dann gelingt ihm eine furiose Aufholjagd.
  • Del Potro, 28, galt schon als die Vergangenheit seines Sports - doch neben vielen Talenten gehört er zu den Überraschungen der diesjährigen US Open.

Von Jürgen Schmieder, New York

Wir müssen jetzt mal kurz über Mode bei diesen US Open sprechen und darüber, dass dieses Outfit von Dominic Thiem fantastisch aussieht. Der Musiker Pharrell Williams, einer der bestgekleideten Menschen auf diesem Planeten, hat diese Kollektion kreiert, sie erinnert an die optisch, spielerisch und emotional überragende Zeit dieses Sports, als sich Björn Borg und John McEnroe in viel zu engen Streifenhemdchen und viel zu knappen Hosen in Wimbledon duellierten.

Diese unvergessliche Rivalität und ihre unvergesslichen Klamotten sind bald im Kinofilm Borg/McEnroe zu sehen, und der ist natürlich auch ein Grund, die Bilder von damals mit denen von heute zu vergleichen und ein bisschen darüber nachzudenken, ob diese Gegenwart optisch, spielerisch und emotional ebenfalls als überragend gelten darf. Die Leute reden ja gerne davon, dass früher alles besser gewesen sei, und deshalb beschweren sich auf der Tennisanlage in Flushing Meadows auch einige darüber, dass diese Pharrell-Williams-Hosen von Thiem zum Beispiel viel zu lang und viel zu weit seien, und dass es niemals mehr so legendäre Partien geben wird wie dieses Wimbledon-Finale zwischen Borg und McEnroe im Jahr 1980.

Nun, am Montagabend gab es in New York eine Partie auf dem Grandstand, über die gar Menschen, die behaupten, dass sie schon alles gesehen hätten im Leben, danach sagten, dass sie so was noch nicht erlebt hätten. Juan Martin del Potro sah zwei Sätze lang elend aus gegen Thiem, optisch, spielerisch und emotional.

2009 gewann er die US Open, dann kamen die Verletzungen

Er hatte wegen einer schlimmen Grippe tiefe Augenringe und eine knallrote Nase, er wurde von Thiem über den Platz gescheucht und sah während der Seitenwechsel so aus, als würde er gleich weinen oder sich übergeben. "Ich wollte während des zweiten Satzes aufgeben, ich konnte nicht mehr atmen und mich nicht anständig bewegen", sagte del Potro danach: "Dann habe ich die vielen Leute gesehen und bemerkt, dass sie noch ein bisschen Tennis sehen wollen. Also habe ich weiter gemacht und bin mit jedem Punkt ein bisschen gesünder geworden."

Was nach diesem zweiten Durchgang passierte, das werden nur Leute erklären können, die auch wissen, warum sich Menschen ineinander verlieben. Del Potro kam zurück in diese Partie, er wehrte im vierten Satz zwei Matchbälle mit Assen ab und gewann 1:6, 2:6, 6:1, 7:6 (1), 6:4. Es passen 8125 Menschen in diesen Grandstand, der Lautstärke nach waren ungefähr 70 000 argentinische Fans da. Die beherrschen ja nicht nur die Brüllerei, sondern auch das Melancholische und Sentimentale. Sie litten erst schrecklich mit del Potro, dann jubelten sie ihn zur Genesung und besangen ihn schließlich andächtig, als er nach der Partie zehn Sekunden lang wie ein Auferstandener auf dem Spielfeld verharrte. Wer ihn da so stehen sah, wie ein Heilsbringer, der wusste plötzlich auch, warum sich Menschen in del Potro verlieben.

Del Potro, 28, hat im Jahr 2009 die US Open gewonnen, danach musste er drei Mal am Handgelenk operiert werden und wollte seine Karriere beenden. Er galt schon als Vergangenheit, doch er kam zurück. Aus dem eher unbeweglichen Ballprügler ist ein variabler Spieler geworden, der Gegner mit Rückhand-Slice, wahnwitzigen Winkeln und Netzangriffen nervt. Und seine Vorhand gilt in vielen Ländern noch immer als waffenscheinpflichtig. "Meine Rückhand ist noch nicht gut genug, aber ich gebe mir wirklich Mühe", sagte er: "Meine Vorhand ist schon gefährlich, wenn ich sie treffe - das passiert nur leider nicht so oft, wie ich das gerne hätte."

Er hat sich durch den unfasslichen Sieg gegen Thiem jedenfalls ein Viertelfinale gegen Roger Federer erspielt, in den sich viele Beobachter ebenfalls längst verguckt haben. Del Potro hat ihn im Endspiel 2009 besiegt. "Wir können nicht zaubern, aber wir werden versuchen, mich einigermaßen in Form zu bringen", versprach del Potro, der nun wieder die Gegenwart dieses Sports ist - was verblüfft, weil es doch hieß, dass aufgrund der vielen Absagen bei den US Open auch die Zukunft verhandelt werden könnte. Wer sich vor dem Turnier ein bisschen umhörte, der erfuhr zumindest, dass auf der Anlage mindestens so viele künftige Weltstars wie Teilnehmer herumlaufen.

Spektakuläre Siege der Talente

Sportartikelhersteller geben durch das Verteilen der künftigen Kollektionen auf die tennisspielenden Models gerne Prognosen auf Turniersieger ab - die waren bislang eher nicht zutreffend. Thiem schied gegen del Potro aus; Alexander Zverev, Jo-Wilfried Tsonga und Marin Cilic sind auch nicht mehr dabei. Dafür haben die jungen Andrej Rublew (Russland, 19 Jahre), Denis Shapovalov (Kanada, 18) und Borna Coric (Kroatien, 20) mit spektakulären Partien begeistert. Spielerisch und emotional muss man sich keine Sorgen machen um die Zukunft dieses Sports.

Männertennis von damals, das bedeutet für einige ja auch die Rivalität zwischen Nadal und Federer. Vor 13 Jahren haben die beiden zum ersten Mal gegeneinander gespielt, in der dritten Runde von Miami, Andy Roddick hat dieses Turnier gewonnen. Federer und Nadal haben diese Rivalität entgegen aller Prognosen in die Gegenwart transportiert, weil es in den Bergen um Basel einen Jungbrunnen zu geben scheint und weil Selbstzweifel einen Menschen offensichtlich auch nach zehn French-Open-Titeln noch antreiben.

"Ich wäre gerne noch einmal 19 Jahre alt", sagte Nadal nach dem lockeren 6:2, 6:4, 6:1 gegen Alexander Dolgopolow aus der Ukraine: "Ich wollte immer jung sein, schon als kleiner Bub. Als ich acht Jahre alt war, habe ich mich über meinen neunten Geburtstag geärgert. Jetzt will ich nicht 32 Jahre alt werden. Ich habe jedoch leider keine Möglichkeit, die Zeit anzuhalten. Ich würde gerne noch ein paar Jahre lang die Tennistour und auch das Leben genießen."

Das darf durchaus als Drohung an Viertelfinal-Gegner Rublew interpretiert werden. Nadal will nicht über ein mögliches Duell im Halbfinale reden ("Ich spiele gegen Rublew, da gehört es sich nicht, über Federer zu sprechen"). Aber die Leute wollen dann doch, bei allem Respekt, das erste Duell der beiden bei den US Open sehen. Diese Rivalität ist spielerisch und emotional mindestens so überragend wie die von McEnroe und Borg. Wir müssen jedoch über das Optische und damit noch mal über Mode sprechen. Nadal trägt ja dieses rosarote Shirt, natürlich sieht es fantastisch aus. Nur: Er hat nun 14 Grand-Slam-Turniere in Pink absolviert - und keines davon gewonnen.

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