Tennis-Damen im Fed-Cup-Finale:Sehnsucht nach Geschichte

Fed Cup final - Germany press conference

Barbara Rittner, Sabine Lisicki und Andrea Petkovic (v.l.n.r.) können beim Fed-Cup-Finale in Prag ein kleines Stück Tennis-Geschichte schreiben.

(Foto: dpa)

22 Jahre sind seit dem letzten deutschen Fed-Cup-Triumph vergangen. Für die Tennis-Damen geht es deshalb beim Finale in Prag auch um die Bewältigung der Vergangenheit - sie wollen endlich ein altes Versprechen einlösen.

Von Gerald Kleffmann, Prag

Reformer Jan Hus beim Konzil von Konstanz auf der einen Seite, Georg von Podiebrad bei der Krönung zum König von Böhmen 1458 auf der anderen Seite - da staunte die nette Plaudertasche Andrea Petkovic und schwieg, als sie die zwei riesigen Gemälde betrachtete.

Es war kurz vor zwölf Uhr am Freitag im Jahre 2014, als die Tennis-Delegationen aus Tschechien und Deutschland den Saal betraten, sie taten es dem Ereignis angemessen: Ehrfurchtsvoll näherten sie sich den Sitzen. Stille herrschte, nur die Kameras klickten im zweiten Stock des Altstädter Rathaus, das gemeinhin Touristen wegen der berühmten astronomischen Aposteluhr anlockt.

Nun also fand sich im Inneren die Tennisgemeinde ein, und natürlich war es Barbara Rittner, die treffend die Gefühlswelt für dieses Wochenende prognostizierte: "Keiner wird um Gänsehaut herumkommen", sagte die Bundestrainerin: "Wir sind bereit." Hus und Podiebrad hätte diese dynamische Frau gut gefallen.

"Unsere Frauen sind wunderbare Botschafterinnen des deutschen Tennis."

Das Finale im Fed Cup, dem wichtigsten Teamwettbewerb im Frauentennis, ist angerichtet in Prag, nach Tagen des Trainierens und Trommelns auf allen Kanälen. Wer im Vorteil ist? Ach, je nach Laune lassen sich die Chancen interpretieren. In jedem Fall bedeutet diese Endspiel in der mit 10 850 Zuschauern ausverkauften Arena, eigens für die Eishockey-WM 2004 gebaut, einen stattlichen Erfolg für den Deutschen Tennis-Bund (DTB).

"Überhaupt hier zu sein, ist ein großer Schritt, unsere Frauen sind wunderbare Botschafterinnen des deutschen Tennis", sagt Klaus Eberhard. Der Sportdirektor, wie Rittner seit 2005 im Amt, hofft freilich auf das "Sahnehäubchen", er weiß ja: "Nur ein Sieg ist in den Geschichtsbüchern präsent."

Nach all den Internet-Grüßen der Nowitzkis, Neuers, Gabriels und Beckenbauers, nach der Resonanz in den Medien und in den sozialen Netzwerken gilt festzuhalten: Weltmeister der Herzen ist diese Fed-Cup-Auswahl bereits. Aber es geht um Historie, und vielleicht, das hoffen die Offiziellen, springt diesmal mehr heraus. "Ein Sieg wäre sicher nachhaltiger", ahnt Rittner.

"Die Zeit ist reif"

"Die Zeit ist reif", sagt Klaus Hofsäss, und dass der Coach mit der berühmten Tennisschule in Marbella ebenfalls zum Thema befragt wurde, kommt nicht von ungefähr: Hofsäss holte als Coach 1987 und 1992 die bislang einzigen zwei deutschen Fed-Cup-Triumphe.

22 Jahre sind seit dem letzten Sieg in Frankfurt vergangen, sie bilden überspitzt ein schwarzes Loch im deutschen Tennis, und deshalb findet Prag aus hiesiger Sicht auch auf zwei Ebenen statt. Es geht um die Gegenwart, klar. Behält Petkovic, jüngst in einer Minikrise, ihre Nerven, kann sie gegen die Linkshänderinnen Kvitova und Safarova bestehen?

Geist des Teams ist griffig und vital

Ist der Belag zu schnell für Kerber? Harmoniert Lisicki nach ihrer Team-Rückkehr mit Görges im Doppel? Diese Fragen warten auf Antworten. Es geht aber ebenso um die Vergangenheit, um das, was war, als Bürger in Deutschland nachts aufstanden, um Tennis zu gucken, um mitzuleiden, was heute unvorstellbar erscheint. Aber es war so, dank Boris Becker, Steffi Graf, Michael Stich, die Schlachten versprachen und Schlachten boten.

Auch Anke Huber leistete ihren Beitrag zu erfolgreichen schwarz-rot-goldenen Zeiten, sie ist mit 24 Einzelsiegen beste Deutsche im Fed Cup, wenngleich Graf auf 28 Erfolge in Einzel und Doppel kommt. "Es waren andere Zeiten damals", sagt die 39-Jährige, die mit dem Fußballerberater Roger Wittmann verheiratet ist, zwei Kinder hat und als Sportliche Leiterin beim Stuttgarter Frauenturnier überzeugt.

Der Fed Cup, erzählt sie, wurde kompakt innerhalb einer Woche ausgespielt, zwei Einzel, ein Doppel, Ende. "Heute empfinde ich den Fed Cup schöner", sagt Huber tatsächlich, "die Mädels treffen sich dreimal im Jahr, erleben eine gute Zeit." Das soll auf keinen Fall heißen, dass ihre schlecht war, im Gegenteil, aber eben anders, das Team eher eine kurzzeitige Zweckgemeinschaft. "In der Ära mit Steffi war dieser Erfolg 1992 halt auch noch da", erinnert sich Rittner, die mit Huber damals das bedeutungslose Doppel verlor.

Der Geist, den das heutige Team prägt, ist griffiger, vitaler wohl, und ganz sicher wurde er geprägt durch die Parallelen der Akteurinnen. Rittners Mädels tummeln sich in der Weltspitze, aber an die 22 Einzel-Grand-Slam- Triumphe einer Graf kommt keine heran, um genau 22 Titel nicht. Das ist nicht dramatisch, und doch hatte ja diese Generation Anlass zu der Hoffnung gegeben, dass vielleicht mal wieder ein kleines Grand-Slamchen herausspringen könnte.

Punkt für die Mädels

Die Tennis-Begeisterung ist ja mit Becker/Stich/Grafs Karriereende nicht auch in den Ruhestand getreten, sie dämmert seitdem eher im Sehnsuchtszustand vor sich hin und flammt gelegentlich auf. Wie jetzt. Welche Leidenschaft noch immer hierzulande in den Wohnzimmern und Redaktionsstuben herrscht, zeigte sich auch eindrucksvoll 2013, als Lisicki bis ins Wimbledonfinale stürmte, und Bum-Bum-Bine die Emotionen derart bewegte, dass sogar die Öffentlich-Rechtlichen, die Becker/Graf/Stich noch wie Parteisender gefolgt waren, kurz zuckten.

Doch nichts passierte, man blieb off air. Nachdem die ersten beiden Runden auf Streams und Nischenkanälen liefen, überträgt nun SAT.1, immerhin. Die Davis-Cup-Männer, oft zerstritten, haben diesen Sprung ins Free-TV lange nicht mehr geschafft. Noch ein Punkt für die Mädels.

Zeit für das Happy End

Ein Triumph im Fed-Cup-Finale, dem sechsten mit deutscher Beteiligung, würde aber nicht nur allgemein "dem deutschen Tennis" Schubkraft verleihen, wie Huber sagt. Er würde auch pragmatisch jeder einzelnen Spielerin helfen. Kerber, Petkovic, Lisicki, Görges und die als Ersatzfrau angereiste Grönefeld sind Weggefährtinnen, sie könnten sich lossagen von manchen Vergleichen, sich freisiegen, dem Namen gerecht werden, der ihnen vorauseilte, als sie die "Frauenpower-Generation" hießen.

Der letzte Schritt ist nur oft der schwerste. Sie brennen nun darauf, ihn selbst zu gehen, unabhängig von der öffentlichen Erwartungshaltung. Rittner führte in Prag ihren Spielerinnen einen Film vor, der in ihrem Auftrag komponiert, geschnitten, vertont wurde.

Er zeigte die Stationen vom Aufstieg des Teams in die Weltgruppe 2013 bis hin zu den beiden Siegen 2014 in der Slowakei und in Australien, die Prag erst ermöglichten. Rittner schaffte es auch, Grußworte von Becker/Graf/Stich zu organisieren - nur das Ende war offen, ein schwarzes Bild, und aus dem Off ertönte eine Stimme, die sagte, dass nur das schöne Ende noch fehlt.

"Dass wir jetzt hier sind, nach unserem langen Weg, macht mich schon stolz", sagt Rittner. Aber was es ihr bedeuten würde, ein wahres Happy End, verdeutlicht eine Wette. Die Bundestrainerin, die kürzlich Udo Jürgens beim Konzert erlebt hat und begeistert war, will sich bei einem vorzeitigen Sieg im Bademantel zum Doppel auf die Bank setzen, wie der Sänger bei seinem letzten Lied.

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