Boris Becker:Kein Gehalt, dafür freie Hand

  • Boris Becker wird in Frankfurt als Head of Men's Tennis vorgestellt, Barbara Rittner übernimmt einen ähnlichen Job bei den Frauen.
  • Becker bekommt einem Vertrag ohne Vergütung jenseits der Reisespesen und mit geplanter Laufzeit bis Olympia 2020 in Tokio.
  • Der DTB hat ihn mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet.

Von Philipp Schneider, Frankfurt

Schon bevor er eintrifft, geht im Plenarsaal des Frankfurter Römers das nervöse Gemurmel los. Von welcher Seite kommt er wohl? Durch die Tür unterhalb der alten Uhr mit dem großen Ziffernblatt? Oder von rechts durch die Tür unterhalb des grünen Notausgangschilds mit dem Symbol eines flitzenden weißen Männchens? Von links oder rechts - Fotografen müssen so etwas vorher wissen. Damit sie nicht ihre einzige Chance auf das Foto "Boris Becker betritt den Raum" verpassen.

Am Mittwoch wollen nicht nur die Fotografen wissen, aus welcher Himmelsrichtung der neue Head of Men's Tennis im Deutschen Tennis Bund (DTB) erscheinen werde, sondern fast alle. Becker werde von rechts kommen, verrät also die Pressesprecherin angesichts des großen Interesses schon vorab. Und so geschieht es: Um eine Minute nach zwölf kommt Becker - von rechts. Und wie. Dunkelblauer Anzug, dazu ein weißblau gestreiftes Hemd mit blütenweißem Kent-Kragen. Ein rundum eleganter Auftritt. Wären da nur nicht die Gehhilfen. Das malade Sprunggelenk. Operation vor fünf Wochen. "Ich habe jetzt ein komplett neues Gelenk", sagt Becker später, "nach den US Open kommen die Krücken wieder weg."

"Ich liebe diesen Sport und ich liebe dieses Land"

Doch der Reihe nach. Zur Begrüßung sagt Becker zunächst: "Ich liebe diesen Sport und ich liebe dieses Land. Es freut mich, wieder eine wichtige Aufgabe im deutschen Tennis übernehmen zu dürfen." Becker lächelt. Ansonsten guckt er sehr oft sehr ernst. Schließlich ist es wirklich eine Weile her, und dem deutschen Tennis ging es lange Zeit nicht sonderlich gut.

1999 stand Becker zuletzt in Diensten des DTB, fast 17 Jahre ist es her, dass er sein Amt als Teamchef des deutschen Davis Cup Teams niedergelegt hatte. Jetzt ist er zurück - und einflussreich wie nie? Man wird sehen. Becker ist ja nun Head of Men's Tennis, also: Kopf des Männertennis. Damit ist er einerseits dem Davis-Cup-Chef Michael Kohlmann vorgesetzt, dessen Vertrag noch bis Ende des Jahres gültig ist. Andererseits ist Becker ehrenamtlich beschäftigt, wie DTB-Präsident Ulrich Klaus nun erzählte, vorerst offiziell ausgestattet mit einem Vertrag ohne Vergütung jenseits der Reisespesen und mit geplanter Laufzeit bis Olympia 2020 in Tokio.

Da staunte das Publikum, doch Klaus führte auf Nachfrage aus, der DTB sei eben "nicht das Team von Novak Djokovic. Wir können nicht mehr zahlen". Und der für Leistungssport zuständige Vizepräsident Dirk Hordorff zitierte einen Sinnspruch des langjährigen Managers von Becker: "Ion Tiriac hat immer gesagt: Entweder ich nehme meinen Preis. Oder ich mache es ehrenamtlich." Soll wohl heißen: Ein Preis für Becker hätte ohnehin nicht angemessen gezahlt werden können, also gibt es jetzt nur Spesen. Und die seien auch noch gedeckelt, denn das Reise-Budget für Becker sei "endlich", wie es beim DTB heißt. "Aber so hat Boris doch viel mehr Freiheiten", findet Hordorff. Freiheiten, die Becker, so könnte die Interpretation lauten, zur Renovierung seines hierzulande wohl weiterhin vorhandenen Werbewerts als Wimbledonsieger der Jahre 1985, 1986, 1989 nutzen könnte.

Zum beiderseitigen Nutzen. Spitzfindig ließe sich nun auch anmerken, dass es im Organigramm des DTB fortan eine kleine Unwucht gibt. Der Ehrenamtler Becker steht auf einer Stufe mit der hauptamtlich angestellten Barbara Rittner. Diese wird ihr Amt als Fed-Cup-Chefin im Januar an Jens Gerlach, 44, abgeben und erklärte nun, sie sei "natürlich traurig, aber alles hat seine Zeit". Rittner ist künftig Head of Women's Tennis und sozusagen Beckers Pendant im Frauentennis. Aber der Mittwoch war nicht der Tag für Spitzfindigkeiten im DTB. Dazu passte, dass sämtliche möglichen Fragen zu Beckers angespannter privater finanzieller Situation, das kündigte der Pressesprecher vorab an, "übergangen" werden sollten. Das Übergehen war dann zum Glück gar nicht notwendig. Weil bei den Zeugen dieser historischen Pressekonferenz die Freude darüber überwog, dass sich Becker am Ende eines "18-monatigen offenen Prozesses", wie er sagte, dazu durchringen konnte, tatkräftig mithelfen zu wollen, das deutsche Tennis wieder an die Spitze zu führen. Becker sagte: "Ich bin stolz, Head of Men's Tennis zu sein. Wir haben ein bisschen gesucht, wie mein Titel heißen sollte. International gab es ihn ja schon. Aber nicht in Deutschland."

Präsident Klaus lobt "Barbara Becker"

Der sichtlich euphorisierte Präsident Klaus war so begeistert von den neuen Köpfen an der Verbandsspitze, dass er deren Namen in seiner Laudatio auf Rittner versehentlich zu einer Einheit verschmolz, die den dreimaligen Wimbledonsieger an seine ehemalige Lebenspartnerin erinnert haben mochte, die er stets "Babs" zu nennen pflegte. "Barbara Becker", schwärmte Klaus in Richtung Rittner. Dann vibrierte das Podium, weil alle lachten.

Den Anfang des offenen Prozesses, erzählte Becker, habe ein Gespräch mit Hordorff bei den Australian Open 2016 markiert. "Wir haben uns danach einfach oft getroffen und braingestormt: Habe ich Lust? Habe ich Leidenschaft?", sagte Becker. "Leidenschaft ist entscheidend. Und die Frage: Wollen die jungen Spieler was von mir?" Die Spieler wollten. Das merkte Becker schon, als er noch als erfolgreicher Trainer des ehemaligen Weltranglistenersten Novak Djokovic beschäftigt war.

Schon damals hatte er sich auf der Tour immer wieder mal mit Philipp Kohlschreiber und Alexander Zverev getroffen, auf dem Trainingsplatz und auch zu Gesprächen. Das soll nun so weiterlaufen, sagt Becker, der ja weiterhin als TV-Experte arbeiten wird. "Wir werden die Gespräche intensivieren." Und der größte Vorteil, den seine neue Rolle mit sich brächte, sei eben: "Ich darf jetzt offiziell mit den Spielern sprechen. Ohne dass direkt spekuliert wird: Wird Becker der neue Trainer von Zverev?"

Mit seiner Arbeit will Becker in Kürze bei den US Open beginnen, "wo ich im Rahmen meiner Tätigkeit für Eurosport die deutschen Spieler noch genauer unter die Lupe nehmen darf". Danach, Mitte September, in der Relegation gegen Portugal, wird er erstmals in neuer Funktion auch zum Davis-Cup-Team stoßen. Gemeinsam mit Rittner, für die ja nach 13 Jahren an der Spitze der Frauen-Nationalmannschaft nun ebenfalls ein neues Kapitel im DTB beginnt - und die nun berichtetet, dass ihre Spielerinnen "durchweg überrascht" und "größtenteils traurig" gewesen seien, "weil eine gute Zeit zu Ende geht" - wird sich Becker auch um die Nachwuchsförderung kümmern. Er wolle nicht "über den Dingen schweben", sondern oft "an die Basis gehen". Schon bald werde er die Stützpunkte in Oberhaching, Stuttgart und Hannover besuchen und mit den Talenten Trainingslager abhalten.

Kein Gehalt, doch freie Hand. Es wirkt, als tue sich vor Boris Becker sehr viel freier Raum auf, den er gestalten kann, wenn er nur nach vorne stürmt. Und in solchen Situationen war der alte Serve-and-Volley-Spezialist ja schon immer am besten.

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