Tennis:Betrug selbst in Wimbledon

Chris Kermode Mark Young

Chris Kermode steht seit einem Jahr der Tennistour ATP vor.

(Foto: Shuji Kajiyama/AP)
  • Die BBC und Buzzfeed berichten von weitreichenden Wettmanipulationen in den vergangenen zehn Jahren im Tennissport. 16 Spitzenspieler unter den Top50 sollen davon betroffen sein.
  • Schon in der Vergangenheit gab es dubiose Spielausgänge und seltsame Textnachrichten.
  • Auch Wimbledon soll von der Schiebung betroffen sein. Spieler wie Andy Murray sagten schon 2008. "Jeder weiß, dass es passiert."

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Es dauerte am Montagmorgen nur eine halbe Stunde, bis der Melbourne Park gefüllt war. Ausgerüstet mit Rucksäcken, Trinkflaschen und Sonnencreme pilgerten fast 50 000 Fans durch die Tore. Auch Prominenz hatte sich für den ersten Tag der Australian Open angemeldet. Die früheren Tennisgrößen Neale Fraser und Frank Sedgman wollten kommen, auch Rugby-Ikone Nick Farr-Jones stand auf der Ankündigungsliste. Doch die Idylle wurde jäh gestört. Um die Mittagszeit erschien Chris Kermode, der Chef der Männertour ATP, mit einem Gesicht wie ein FBI-Agent auf einer eilig einberaumten Pressekonferenz. Während das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres begann, musste er zu einem heiklen Thema Stellung beziehen: Wettbetrug im Tennis.

Ein Bericht der BBC und einer des US-Onlinemediums Buzzfeed hatten in der Früh für Aufregung gesorgt. In den vergangenen zehn Jahren sollen 16 Spieler, die unter den besten 50 der Weltrangliste notiert waren oder dort noch notiert sind, "Match-Absprachen" getroffen haben. Unter anderem soll es um drei Spiele gehen, die in Wimbledon stattfanden, dem Mekka des Tennis, dort, wo der Mythos des "weißen Sports" begründet wurde, Werbung bis heute nur sehr eingeschränkt erlaubt ist und die Akteure immer noch ausschließlich in heller Kleidung auflaufen dürfen.

Die BBC bekam die Dokumente von einem Whistleblower

Unter den Beschuldigten befinden sich laut BBC und Buzzfeed Spieler, die sich Grand-Slam-Champion im Einzel oder im Doppel nennen dürfen. Namen wurden nicht veröffentlicht. Der einzige Fall, der konkret erwähnt wurde, war bereits zuvor bekannt gewesen. 2007 gab es beim Turnier in Sopot in Polen offenbar eine Absprache zwischen dem Russen Nikolai Dawidenko und dem Argentinier Martín Vassallo Argüello, beide spielen inzwischen nicht mehr. ATP-Ermittlungen blieben damals jedoch folgenlos.

Die BBC, die die Dokumente nach eigenen Angaben von einem Whistleblower zugespielt bekam, wirft den Tennisbehörden vor, "es versäumt zu haben, nach Warnungen bezüglich verdächtiger Spieler zu handeln". Laut Reglement dürfen im Tennis weder Spieler noch Trainer wetten.

Ob aktuelle Spieler beobachtet werden, will Kermode nicht sagen

ATP-Chef Kermode entgegnete auf die Vorwürfe: "Die Tennis Integrity Unit und die Tennis-Behörden weisen jede Unterstellung zurück, dass Beweise bezüglich Match-Absprachen unterdrückt wurden."

Die Tennis Integrity Unit (TIU) war 2008 wegen des Dawidenko-Falls von den Spielerorganisationen ATP (Männer) und WTA (Frauen), dem Tennis-Weltverband ITF sowie dem Grand-Slam-Board gegründet worden. TIU-Direktor Nigel Willerton saß bei der Pressekonferenz neben Kermode. Auf die Frage, ob auch aktuelle Spieler unter Beobachtung stehen, antwortete der Betrugs-Jäger ausweichend. "Es wäre nicht angemessen, wenn ich einen Kommentar dazu abgeben würde", so Willerton.

82 Textnachrichten an einen Wettanbieter

Kermode betonte, es gelte "eine Null-Toleranz-Politik", jedem Hinweis werde nachgegangen. Nur: "Der Schlüssel ist, dass man Beweise braucht." Zu Sopot etwa habe man ein Jahr lang ermittelt. Am Ende, so der Brite, sei es so gewesen, wie sogar Buzzfeed berichtet: "Es war nicht möglich zu bestimmen, welche Seite in diesem Match die schuldige war."

Rückblickend wirkte dieser Freispruch erstaunlich, es hatte diverse Ungereimtheiten gegeben. So waren Wetteinsätze in Höhe von sieben Millionen Dollar geflossen - zehnmal mehr als üblich. Seltsam auch, dass viele gegen den früheren Weltranglisten-Dritten Dawidenko gesetzt hatten, obwohl er Titelverteidiger und hoher Favorit war; Argüello gewann - Dawidenko gab im dritten Satz wegen einer angeblichen Fußverletzung auf. In Argüellos Handy wurden später 82 Textnachrichten gefunden, die dieser bei einem vorherigen Turnier mit einem italienischen Wettanbieter ausgetauscht hatte. Überhaupt hatte er in seinem Handy die Nummern vieler Wettanbieter abgespeichert. Obwohl Argüello abstritt, Dawidenko persönlich zu kennen, wurde in seinem Handy dessen Nummer gefunden. Der Russe hatte sich Berichten zufolge erst geweigert, sein Mobiltelefon auszuhändigen, später wurde nichts Belastendes gefunden.

Ein Profi muss ein Spiel nicht mal zwingend verlieren, um zu manipulieren

Warum BBC und Buzzfeed keine neuen Namen nannten? Weil nicht ersichtlich sei, ob die Verdächtigen persönlich an Match-Absprachen beteiligt gewesen seien, so die Erklärung. Spieler, die bei der TIU vermerkt sind, seien aber bei diesen Australian Open im Einsatz.

Die Möglichkeiten, das Ergebnis eines Tennis-Matches zu manipulieren, um damit bei einem Wettanbieter Geld zu gewinnen, sind vielfältig. Ein Profi kann ein Spiel absichtlich verlieren. Oder er kann zu einem vorher verabredeten Zeitpunkt aufgeben. Besonders lukrativ ist es, wenn ein Akteur nach starkem Beginn, etwa dem Gewinn des ersten Satzes und eines Breaks im zweiten Durchgang, einbricht; dann stehen die Quoten für Live-Wetten auf eine Niederlage am günstigsten. Weil sich aber auch auf die Resultate einzelner Sätze oder sogar Spiele wetten lässt, muss ein Profi eine Partie noch nicht einmal zwingend verlieren, um mit einem Einsatz bei einem Buchmacher davon zu profitieren.

"Jeder weiß, dass es passiert."

Wimbledon- und US-Open-Sieger Andy Murray sagte bereits 2008 über die Möglichkeiten von Manipulationen im Tennis: "Es ist sehr enttäuschend für alle Spieler, aber jeder weiß, dass es passiert." Wie schnell man andererseits als Sportler verdächtigt werden kann, erlebte wiederum Philipp Kohlschreiber, aktuell die Nummer 34 der Weltrangliste. Nach seinem 4:6, 3:6, 3:6-Aus in Melbourne gegen den Japaner Kei Nishikori sagte Kohlschreiber am Montag: "Ich war vor vielen Jahren mal beschuldigt worden. Ich hatte nie etwas damit zu tun." Seine Schlussfolgerung: "Es ist wie beim Doping. Es wird immer Fälle geben, aber das darf man nicht verallgemeinern." Roger Federer forderte die Verantwortlichen auf, die Berichte "ernst zu nehmen." Allerdings warnte der Schweizer vor Hysterie. "Ich weiß nicht, wie viel daran neu ist", sagte der Rekord-Grand-Slam-Champion.

Fragen aber drängen sich auf. Zumal offenbar nicht mehr von Einzelfällen gesprochen werden kann. Kermode bestätigte, das Geraune gehört zu haben, dass bestimmte Spieler - angeblich ein gutes Dutzend - im Zentrum einer Art Zockergemeinde stünden. "Wir wissen, dass alle Sportarten, nicht nur Tennis, einem potenziellen Risiko von Korruption ausgesetzt sind", ordnete Kermode ein.

Petkovic: "Sie müssen das Preisgeld erhöhen"

Der Kampf gegen Manipulationen hat die Tennis-Organisationen bisher 14 Millionen Dollar gekostet. 18 Bestrafungen wurden ausgesprochen, darunter sechs lebenslange Sperren. Es gibt einen regelmäßigen Austausch mit Wettanbietern. Aber: "Korruption ist sehr schwer zu ermitteln", räumte TIU-Direktor Willerton ein. Ein paar Waffen aber gebe es: Wenn ein Spieler auf Anfrage sein Handy oder seinen Computer nicht herausrücken wolle, um mögliche Wettvorgänge zu ermitteln, könne dieser wegen "Nicht-Kooperation" für zwei Jahre gesperrt werden. Und: Dies sei jüngst erst geschehen, ergänzte Willerton.

Vor allem bei kleineren Turnieren, bei denen es für Siege nur ein paar Dollar Preisgeld gibt, erscheinen Wetteinsätze verlockend. Die Darmstädterin Andrea Petkovic fordert deshalb: "Sie müssen entweder die Wetten auf den kleinen Turnieren unterbinden oder das Preisgeld so erhöhen, dass die Jungs davon leben können." ATP-Chef Kermode versprach zumindest: "Wir werden jeder neuen Information nachgehen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: