Tennis bei den French Open:Djokovic will Agassis Weisheit aufsaugen

2017 French Open - Day Two

"Eine neue Dosis an Inspiration": Novak Djokovic gewinnt sein erstes Spiel in Paris unter seinem neuen Trainer Andre Agassi (r.) in drei Sätzen.

(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)
  • Bei Tennisprofi Novak Djokovic stehen große Veränderungen an.
  • In Paris geht er erstmals mit seinem neuen Coach Andre Agassi an den Start.
  • Bei den French Open zeigt sich, wie sehr Djokovic auch an sich selbst gearbeitet hat.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Auf der Videoleinwand im Court Philippe Chatrier tauchten am Montagmorgen plötzlich alte Aufnahmen auf. Andre Agassi und Jim Courier waren zu sehen, wie sie als junge Männer den Center Court dieser French Open betraten. Agassi trug Mähne, Stirnband, die berüchtigte Jeans-Short. Hin und her flogen die Bälle, am Ende war es Courier, der 1991 in Paris gewann. Unten auf dem Platz, weit hinter der Grundlinie, stand derweil ein Mann mit Bäuchlein, Watschelgang, Glatze. Er warf einem Spieler Bälle zu. Agassi, der sich als Rentner bislang mit seiner Stiftung aufopferungsvoll um Kinder kümmerte, würdigte die Sequenzen nicht. Er hatte nur Novak Djokovic im Blick. Er trainiert ihn jetzt.

Agassi wollte Djokovic zunächst gar nicht trainieren

Drei Stunden später tauchten beide wieder auf, Djokovic, 30, trat in Runde eins gegen den Spanier Marcel Granollers an. Agassi, 47, nahm in der Box Platz, neben Djokovics jüngerem Bruder Marko. Vier Plätze weiter saß Pepe Imaz, manchmal spöttisch als Guru tituliert, weil er Liebe und Frieden predigt, als Coach. Natürlich wurde aber diesmal speziell Djokovics neue Kraft Agassi beäugt. Dass es einmal dieses Duo geben würde, hätte vor einem Jahr keiner gedacht.

Auch die beiden nicht. Djokovic, der damals maschinengleich sein letztes fehlendes Grand Slam gewann, in Paris, fiel in ein Motivationsloch, private Probleme folgten. Zuerst ging Boris Becker von Bord (der Agassi in der Box begrüßte), dann entließ Djokovic sein Team. Nun will er den Spieler und Mensch in sich zusammenführen. Agassi, der achtmalige Grand-Slam-Sieger, der einst im Hass-Liebe-Modus zu Tennis lebte, soll die Rolle des Mittlers einnehmen, sie reizt ihn tatsächlich. Aber er musste tatsächlich dazu gedrängt werden. Womit auch feststeht: Vielleicht geht Gattin Steffi Graf eines Tages als jene Frau in die Geschichte ein, die das Männertennis 2017 entscheidend beeinflusst hat.

Agassi hält sich, was öffentliche Sätze betrifft, zurück. Jüngst aber verriet er bei einem TV-Auftritt, dass er Djokovics Angebot vor Wochen ablehnen wollte. Graf, seine Frau, 22 Grand-Slam-Titel reich, riet ihm indes: Mach es! "Ich bin sehr froh, dass er eingewilligt hat, hierher zu kommen", gab Djokovic zu, "es klickte schnell zwischen uns." Beim ersten Telefonat wollte er sich nur bei Agassi dafür bedanken, dass der sich stets loyal zu Djokovic geäußert hatte, selbst als der Serbe in der Kritik stand. Aus dem geplanten Fünf-Minuten-Talk wurde ein 30-Minuten-Gespräch, in dem es um tiefere Aspekte des Seins ging.

Ihre Beziehung, das wurde in den ersten Tagen hier im 16. Arrondissement klar, ist eine, die über gängige Trainer-Spieler-Dialoge hinausgehen dürfte. Eher ist es wohl so, dass sich zwei Sportler treffen, die das Leben auch geistig, philanthropisch betrachten. Alles hängt mit allem zusammen. Agassi soll technische, taktische Kniffe vermitteln, klar, aber auch, wie man Zweifel, Druck, Erwartungen meistert, die Balance findet, dass man mit sich im Reinen ist, auch privat und mit anderen Projekten.

Wandel zum geerdeten Bürger

Djokovic hatte bereits auf der Pressekonferenz verraten, wie ihm Agassi bei den Turnieren in Madrid und Rom per Telefon sportliche Tipps gab. Ihm gehe es um eine "neue Dosis an Inspiration", er wolle Agassis "Weisheit, Wissen und Erfahrung absorbieren". Noch offener äußerte sich Djokovic in einem Interview der Sportzeitung L'Équipe, in dem er seine Transformation vom alles dem Sieg unterordnenden Profi hin zu einem geerdeten Bürger beschrieb.

Das Gespräch begann harmlos, Djokovic erfuhr, dass Andre in Frankreich Dedé abgekürzt wird. Er erzählte amüsiert von ihrem ersten Treffen während Agassis letztem Jahr auf der Tour, wie er sein Bein auf die Schulter des Physios legen konnte, während Agassi Probleme hatte, gebückt die Hände um die Knie zu legen. Dann schilderte Djokovic immer eindringlicher, wie er merkte: Gewinnen ist nicht alles. Früher sei er ein "Krieger" gewesen. Diese Haltung bestimmte sein Sein. Heute? "Wenn ich heimkomme, bin ich nicht mehr Spieler. Ich bin Vater, ich bin Ehemann, ich bin Freund, ich bin Bruder, ich bin Sohn."

Er wolle siegen, aber von Ergebnissen dürfe nicht der "Bewusstseinszustand" abhängen. "Ich habe im vergangenen Jahr gespürt, dass ich etwas ändern muss." Er kittete die Ehe, wird bald wieder Vater. Vieles las sich wie: Endlich versteht mich jemand, endlich habe ich jemanden gefunden, der Antworten kennt. Mit Agassi habe er bereits "viel, viel geredet", das innere Gleichgewicht ist ihr großes Thema.

Ihre Reise begann mit einem Erfolg. Djokovic gewann gegen Granollers 6:3, 6:4, 6:2. Als er beim Interview auf dem Platz vom Ex-Profi Cédric Pioline nach Agassi befragt wurde, sah Djokovic zur Box und antwortete lächelnd: "Er ist schon weg." Agassi wartet ab jetzt aber hinter den Kulissen auf ihn.

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