Tennis:Zverev verlässt die Wohlfühlzone

FILE PHOTO: Tennis - Monte Carlo Masters

Mutig nach Wimbledon: Tennisprofi Alexander Zverev.

(Foto: REUTERS)
  • Trotz der Finalniederlage gegen Roger Federer reist Alexander Zverev mit viel Selbstvertrauen nach Wimbledon.
  • Auf Gras will der 20-Jährige erstmals die zweite Woche bei einem Grand-Slam-Turnier erreichen.
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Von Sebastian Fischer, Halle/Westfalen

Plötzlich stand er am Netz und sah aus, als wüsste er selbst nicht, wie er dort hingekommen war. Doch als er nun schon mal da stand, zog er es durch. Alexander Zverev empfing den Schlag von Roger Federer weit vorne in seiner Hälfte, traf den Ball von oben, punktete, schrie und ballte die Faust. Offensives Tennis, das erste und einzige Mal an diesem Nachmittag, gegen den besten Spieler der Welt. Die Menschen im Stadion in Halle, rund 11 000, freuten sich mit Zverev. Sie waren Zeuge geworden, wie er etwas gewagt hatte, es gefiel ihnen. Und vielleicht hat Deutschlands bester Tennisspieler in diesem Moment etwas gelernt.

Alexander Zverev, 20, will nach seiner Finalniederlage bei den Gerry-Weber-Open ein paar Tage Pause einlegen, bevor er nach London fliegt und sich an Ort und Stelle auf das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon vorbereitet, das am 3. Juli beginnt. Eine Pause, wenn auch eine kurze, bedeutet Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Vertiefen einiger Erkenntnisse, die Zverev in einer Woche in Halle gesammelt hat.

"Ich denke, ich kann in Wimbledon viele Matches gewinnen und weit kommen, weiter, als ich das je bei einem Grand Slam getan habe", hat Zverev am Sonntagabend gesagt. Er fläzte dabei eher schlecht gelaunt auf dem Podium in der Pressekonferenz, man musste ihm zugutehalten, dass er gerade nach der 1:6, 3:6-Niederlage gegen Federer auch noch das Doppel-Finale mit seinem Bruder Mischa verloren hatte. Trotzdem sagte er: "Die Woche war positiv."

Dieses Jahr ist längst ein gutes für Deutschlands besten Tennisspieler, er war unter den Top-Ten, ist momentan Nummer zwölf der Welt, hat drei Turniere gewonnen, in Montpellier, München und Rom. Und doch drohte Zverevs öffentliche Wahrnehmung vor dem Turnier in Halle ins Negative zu driften. Zum einen sportlich, denn die Bilder von seinem Erstrunden-Aus bei den French Open gegen Fernando Verdasco hatten die Erinnerungen an seinen Sieg Ende Mai in Rom gegen Novak Djokovic wieder verdrängt: Noch nie ist er bei einem Grand Slam über die erste Woche hinausgekommen. Zum anderen menschlich, denn Michael Stich, Turnierdirektor am Hamburger Rothenbaum, warf ihm egoistische Motive vor. Zverev wird beim Turnier auf Sand in seiner Heimatstadt nicht teilnehmen, sich stattdessen in Washington auf die Hartplatzsaison vorbereiten. Es passte in das Bild eines zur Arroganz neigenden Jungstars.

Doch nun, in Halle, bei der letzten Gelegenheit vor Wimbledon, hat Zverev an seiner Wahrnehmung gearbeitet. Er ist ein Stück weit aus seiner Komfortzone gekommen, auf und neben dem Platz.

Er hat Stich widersprochen, der einen Vertrag erwähnt hatte, der Zverev zur Teilnahme in Hamburg verpflichte: Einen solchen Vertrag gebe es nicht. Er gab Autogramme und blieb für Selfies im Stadion, er spielte auch das Doppel mit Leidenschaft und flirtete derart mit den Veranstaltern, dass sie einen Vertrag auf Lebenszeit thematisierten. Zverev, der zwar neulich für den Titel des italienischen Modemagazins Style posierte, sich sonst in Deutschland aber rar macht, kam gut an bei den Ostwestfalen. Es blieben am Sonntag sogar noch ein paar Tausend für das bedeutungsarme Doppelfinale.

Federer nennt Zverev einen "netten jungen Bub"

Sportlich hat er in Halle auch überzeugt, denn er bestätigte, was man wusste: dass er über einen harten Aufschlag verfügt und eine für jeden Gegner ermüdende Rückhand. Die Finalniederlage gegen Federer war zu erwarten gewesen. Dass er vom Schweizer vorgeführt wurde, tat zwar manchmal ein bisschen weh beim Zuschauen. Doch das kann ja etwas Gutes haben.

Zverev, der "nette junge Bub", wie Federer ihn nennt, hat das Ergebnis später etwas patzig mit seiner Müdigkeit erklärt, aber auch über eine Lehre gesprochen: "Du musst aggressiv spielen." Er beherrscht das Spiel von der Grundlinie, dort ist er stark, doch legte Federer die Schwächen offen, die diese Taktik vor allem auf Rasen birgt: Immer wieder lockte er den Deutschen ans Netz, um ihn dann in die Defensive zu drängen. Nur in den raren Momenten, in denen sich Zverev von allein nach vorne traute, nahm er an der Begegnung teil. Experten sind sich einig, dass Zverev alle Anlagen für eine große Tenniskarriere besitzt, die mentale Stärke ebenfalls.

Zehn Kilo an Muskelmasse zugelegt

Die größten Sprünge hat er zuletzt in der Arbeit an seiner Physis gemacht, er habe sich in den vergangenen 18 Monaten zehn Kilo Muskelmasse antrainiert, sagte er dem italienischen Modemagazin. Doch die nächsten Sprünge muss er wohl taktisch machen: mutiger returnieren, um das Spiel zu beschleunigen - und sich dann von der Grundlinie weg in Richtung Netz trauen.

Ob er die Muße hat dazuzulernen, schon in Wimbledon? Manchmal nährt sein Auftreten Zweifel daran. Doch in Halle bemühte er sich, sie zu zerstreuen. Er werde nicht mehr müde sein. Kleinere Wehwehchen - während des Doppelfinales in Halle ließ er sich behandeln - würden verheilen, versicherte er. Alexander Zverev sagte: "Ich werde bereit sein."

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