Tennis:Alte Liebe

Nach seinem elften Titel erklärt Rafael Nadal, wie wichtig die French Open und deren Mitarbeiter für ihn sind. Auf dem Sand in Paris hat er auch diesmal alle Selbstzweifel überwunden.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Auf dem Platz herrschte ein Gewusel wie in einer Wohnungsparty, mit dem Unterschied, dass die Gäste leichter vom Gastgeber zu unterscheiden waren. Die Ballkinder trugen orange Hemden, die Linienrichter dezent hellblaue, die fleißigen Helfer, die in den vergangenen zwei Wochen im Hintergrund angepackt hatten, weiße Polo-Shirts. Mit jeder dieser Fraktionen ließ sich Rafael Nadal nun ablichten, er und der Coupe des Mousquetaires in der Mitte, stets umrahmt von strahlenden Menschen. Im Court Philipp-Chatrier waren immer noch Hunderte Besucher, immer wieder gab es Aufschreie, auch dann, als Nadal nicht einfach so den Court Central verließ, sondern noch viele Selfies, die neue Form des Autogramms, zuließ. Später hieß es, der Spanier aus Mallorca werde nochmals auftauchen, vor der neuen feuerroten Sandwand hinter Court drei, die das Logo von Roland Garros wie eingebrannt ziert; dort wolle er noch für Fotos posieren.

Es ist gut möglich, dass Nadal immer noch bei den French Open rumhängt und sich nicht losreißen kann. Er sagte ja selbst, nachdem er mit dem 6:4, 6:3, 6:2 gegen Dominic Thiem seinen elften Titel in Paris errungen hatte: "Vom ersten Tag, seitdem ich hier herkam, bis heute ist es eine Liebesgeschichte mit diesem Event. Nicht nur wegen der Siege. Sondern auch wegen der Leute, die hier arbeiten. Ich fühle mich ihnen nahe."

Rein faktisch war es mal wieder ein an verrückten Zahlen überbordender Tag gewesen. Die Nummer eins ist Nadal wieder in der Weltrangliste, was ihm aber egal war, "mir ging es nur um diese Trophäe", sagte er. Als dritter Profi der Tennishistorie hat er mit Erhalt des Siegerpreisgelds von 2,2 Millionen Euro nun die 100 Millionen-Dollar-Marke geknackt, nach Novak Djokovic und Roger Federer. Nadal baute seine Bilanz in Paris auf unglaubliche 86:2-Erfolge aus, nur 2009 verlor er gegen den Schweden Robin Söderling und 2015 gegen Djokovic. Er holte seinen 17. Grand-Slam-Titel und verkürzte den Rückstand auf Rekordhalter Federer (20). Aber das sind vor allem Zahlen. "Erinnerungen", sagte der Spanier, "sind für immer, und ich habe unglaubliche Erinnerungen an diese Veranstaltung."

Seine Gegner haben dafür Albträume.

Der einzige Tennisspieler, der weltweit eine ähnliche Verbindung zu ein und demselben Turnier hat, ist Federer mit Wimbledon. Wie Nadal stand der Schweizer dort auch schon elfmal im Finale, mit dem Unterschied, dass er nicht elfmal Titel gewann, sondern achtmal. Die beiden, der 32-Jährige und der 36-Jährige, dominieren bei den vier Grand Slams in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York weiterhin in einer nicht für mögliche gehaltenen Weise (siehe auch Statistik). Die vergangenen sechs großen Titel gingen im Wechsel an Nadal oder Federer (je drei). "Wenn man mir vor sieben, acht Jahren gesagt hätte, dass ich mit 32 immer noch diese Trophäe hier hochhalte, hätte ich gesagt: Das ist fast nicht möglich. Aber jetzt sind wir hier." Seine Dominanz beim berühmtesten Sandplatzturnier mutet fantastisch an, sie ist aber real.

2018 French Open - Day Fifteen

Freunde in Paris: Nadal sagt, er fühle sich den Menschen bei den French Open sehr nahe. Auch deshalb kann er den Pokal wohl nur schwer loslassen.

(Foto: Cameron Spencer/Getty Images)

Es hatte auch diesmal seinen guten Grund, dass Nadal den Pokal kaum aus den Händen ließ, denn dieser Gegenstand ist das Allheilmittel gegen jene Schwäche, die Nadal erst zu seinen Höchstleistungen antreibt: Zweifel. Er hat in Paris auch wieder darüber geredet. "Ich bin mit Zweifeln in die Sandplatzsaison gegangen", gestand also der beste Sandplatzspieler der Geschichte, aber man muss das bei ihm ernst nehmen. Ein paar Blessuren hier und da, schon gerät sein Selbstbewusstsein ins Wanken. Wenn Nadal nicht die Kontrolle über seinen Körper hat, spürt er Unsicherheit, und in seinem gewaltigen Team gibt es auch hier einige, die sich entsprechend um ihn kümmern.

Ein Krampf brachte ihn aus dem Konzept - aber nur kurz

Im großen Bild ist es wie im kleinen: Wenn Nadal nicht die Kontrolle auf dem Platz spürt, wird er auch unsicher. Winzige Fenster sind das bloß, aber dafür umso besser sichtbar. In Paris öffneten sich in sieben Spielen exakt zwei Fenster der Schwäche. Wie der Spanier sie geschlossen hat, erzählt viel darüber, wie er ist. "Der schwierigste Moment war, als ich einen Satz gegen Schwartzman zurücklag", gab Nadal zu. Diego Schwartzman mag nur 1,70 Meter groß sein, aber die Nummer zwölf der Welt ist ein mutiger Kämpfer, er hatte den Favoriten im Viertelfinale immer wieder mit Attacken überrascht und in die Enge getrieben. Sogar im zweiten Satz führte der Argentinier noch mit einem Break. Verzweifelt sah Nadal aus, ratlos. Dann kam ihm der Regen als schicksalhafte Fügung zupass. Es gab eine Pause. Und danach sah Nadal furios entschlossen aus, als wolle er Schwartzman nun vom Platz schießen. Das ist ihm dann auch gelungen.

Im Finale schließlich gegen Thiem, der Nadal in den vergangenen zwei Jahren jeweils als einziger Kontrahent vor Paris einmal auf Sand bezwingen konnte, war nur der erste Satz wirklich eng. Danach spulte Nadal wieder maschinenhaft sein Spiel herunter; manchmal sieht es dann so aus, als spiele er Tischtennis, nur mit Tennisschläger. Und doch tauchte im dritten Satz noch einmal dieser verzweifelte Blick auf. Nun war es ein Krampf im Mittelfinger der linken Schlaghand, der ihn aus dem Konzept brachte.

Nadal braucht mehr noch als andere Profis sein Konzept. Daher auch diese vielen Ticks, mit dem immer gleichen Zupfen an der Kleidung, den gleichen Schrittfolgen auf den und vom Platz, das hyperkorrekte Aufstellen der Wasserflaschen neben dem Stuhl, die immer in die gleiche Richtung zeigen müssen. "Ich kann den Finger nicht bewegen", rief Nadal plötzlich dem Schiedsrichter zu und sagte dann tatsächlich noch: "Entschuldigung." Die ersten Bälle, die er nach einer Behandlung an seiner mit vielen Tapes versehenen Hand schlug, traf er nicht richtig. Für die Winzigkeit eines Moments sah es aus, als wackele er. "Das war natürlich ein sorgenvoller Moment", gab Nadal zu. Aber dann war es wie fast immer: Nadal fing sich. Und Thiems Gegenwehr zerfiel. Er schien mehr Probleme mit der Situation zu haben als der Verletzte.

Drei Titel hinter Federer | Rafael Nadals Grand-Slam-Erfolge

Grand-Slam-Titel

Australian Open (1): 2009

French Open (11) : 2005-2008, 2010-2014, '17, '18.

Wimbledon (2): 2008, 2010.

US Open (3): 2010, 2013, 2017.

Spieler mit den meisten Grand-Slam-Titeln

1. Roger Federer (Schweiz) 20

2. Rafael Nadal (Spanien) 17

3. Pete Sampras (USA) 14

4. Novak Djokovic (Serbien) / Roy Emerson (Australien) 12

6. Björn Borg (Schweden) / Rod Laver (Australien) 11

Rafael Nadal ist der erste Mann, der das gleiche Grand-Slam-Turnier elfmal gewonnen hat. Bei den Frauen gelangen Margaret Court bei den Australian Open elf Siege, sieben davon aber vor Beginn der Profi-Ära 1968. Martina Navratilova gewann Wimbledon neunmal, Roger Federer achtmal.

Die Frage ist nun wie so oft: Wie lange kann das mit Nadals Dominanz in Paris noch andauern? Bezeichnend war ein noch am Sonntagabend im Internet aufgetauchter Gag. Jemand hatte Nadal auf alt getrimmt und dazu geschrieben: "Das ist das Jahr 2038. Der 52 Jahre alte Rafael Nadal gewinnt wieder die French Open." Soweit dürfte es dann doch nicht kommen. "Ich spiele, solange es mein Körper zulässt", sagte er zwar. Aber eben auch: "Nein, nein, du kannst nicht gegen das Alter kämpfen, und du kannst nicht gegen die Zeit kämpfen. Die Zeit schreitet immer voran."

Immerhin, einen Gegner gibt es also, der Rafael Nadal auf Sand, in Paris, in Roland Garros, eines Tages einmal in die Knie zwingen kann. Dieser Tag ist aber noch nicht in Sicht.

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