Tennis:Abgekoppelt von Andy und Jamie

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Spaß vermitteln statt dogmatisch zu belehren: Judy Murray. (Foto: imago/Zink)

Judy Murray führt beim Turnier in Nürnberg mit ihrer Initiative Mädchen und Frauen an den Tennissport heran.

Von Gerald Kleffmann

Am Samstag, nach ihrer Ankunft, hatte sich Judy Murray unters Tennisvolk gemischt, sie habe Aperol Spritz getrunken, erzählt Sandra Reichel, die Veranstalterin des Frauen-Profiturniers auf der Anlage des 1. FC Nürnberg, auch die Rostbratwürste schätze Murray. Nett sei die 58-Jährige, aber auch weitaus mehr als nur ein willkommener Gast. Murray ist ja nicht nur die im Tennis bekannteste Mutter von Andy, 31, der früheren Nummer eins der Welt im Einzel und dreimaligen Grand-Slam-Siegers, und dem ein Jahr älteren Jamie, der im Doppel eine feste Größe ist. "Judy ist eine Marke und eine angesehene Persönlichkeit", betont Reichel, und das dürfte stimmen: Judy Murray hat sich, auch wenn die Familienbande eng ist zu den Söhnen, längst abgekoppelt in der öffentlichen Wahrnehmung. Vor allem in Großbritannien. Sie wird respektiert, und nicht deshalb, weil sie sich als Frau in einem männerlastigen Metier behauptet hat. Sondern weil sie gut ist in dem, was sie stets gemacht hat.

Die Schottin hat jahrelang erfolgreich gearbeitet, für ihre Jungs, klar, später im britischen Verband, dann im dortigen Fed-Cup-Team. Seit zwei Jahren ist sie mehr denn je PR-Handlungsreisende fürs Frauentennis, sie macht das aus eigenem Antrieb, ohne Verbands- oder Institutionsmandat. "Wir müssen mehr für Frauen im Tennis tun", sagt sie in Nürnberg bei einer Gesprächsrunde mit Journalisten, "wir müssen mehr Möglichkeiten kreieren, um ihnen Wege in den Tennissport aufzuzeigen." Ihre Botschaften sind recht klar, aber rasch ist auch zu spüren: Judy Murray möchte weniger mit Ausrufezeichen sprechen, sie ist eine Person, die genau weiß, dass Zwischentöne langfristig oft bessere Mittel sind, um der Frauenbewegung zu helfen.

In den letzten Jahren ist das Thema Gleichberechtigung unter den Geschlechtern zurecht im Tennis in den Fokus gerückt. Die prominenteste Mahnerin war und ist Billie Jean King. Ohne die heute 74 Jahre alte Kalifornierin würde es die Frauentour, die sie in den Siebzigerjahren mitbegründet, nicht in der jetzigen Form geben. Sie hat Frauen ermutigt, sich nicht mehr als Anhängsel der Männertour zu sehen und eine eigene Serie zu starten. Im vergangenen Jahr wurde dieses sportgewichtige Kapitel sehenswert in dem US-Kinofilm "Battle of the Sexes" verewigt. Auch andere frühere Spitzenprofis haben eine bedeutsame Stimme, etwa Martina Navratilova. Reichel sieht Murray in einer Liga mit diesen weltweiten Influencerinnen, wobei ihr eine Eigenschaft Murrays besonders gefällt: "Sie lässt Taten sprechen." Murray ist weniger jemand, der mit dem Zeigefinger hebend Missstände anprangert oder Schlagzeilen durch Worte auslöst. Sie sucht Lösungen, wie Mädchen und Frauen pragmatisch im Alltag ans Tennis herangeführt werden können, das dogmatisch Belehrende ist ihr eher fremd. Sie stellt sich dazu auch auf den Platz, wie beim Versicherungscup in Nürnberg.

"MissHits" nennt sich das von ihr initiierte Programm, Murray ist es am Wichtigsten, erst mal Spaß zu vermitteln bei Mädchen zwischen fünf und zehn Jahren. So sah das auch etwas ungewohnt aus, als bei Koordinations-Übungen zum Beispiel mit Wasser gefüllte Luftballons und Hula-Hoop-Reifen auftauchten und ein Gewusel und Gelächter herrschte wie auf einem Pausenhof. Eine völlig selbstlose Geschichte ist Murrays Engagement freilich nicht, Reichel hat sie über IMG, eine der größten Agenturen im Profisport, gebucht. So professionell ist Murray schon, und sie weiß sehr wohl ihr zu privat erscheinende Fragen nach ihren Enkelinnen, den zwei Töchtern von Andy, oder nach Andys Befinden nach dessen Hüft-Eingriff, distinguiert abzuwehren. Gleichwohl ist in allem, was sie sagt, Geradlinigkeit zu erkennen.

Murray versucht, mehr Frauen für den Trainerjob zu begeistern

Vor vier Jahren hat Reichel Murray kennen gelernt und war sofort angetan von deren Ansätzen. Seitdem kommt diese jedes Jahr nach Nürnberg. Sie habe ihren Preis, aber "sie macht viel mehr, als ich bezahle", versichert Reichel. Die Summe will sie nicht verraten, doch die Österreicherin, die auch das WTA-Turnier in Linz verantwortet, sieht ihren Einsatz als Investition im Sinne einer guten Sache an. Schließlich kommt wegen Murray ja nicht ein Zuschauer mehr auf die Anlage. "Gerade im Teenager-Alter verlieren wir im Tennis viele Mädchen, die wieder abspringen", sagt Reichel. Erstmals hat sie Murray auch für Linz im Oktober gebucht. Zweifellos gibt es Bedarf für Murrays Aufbauleistung. Am Sonntag etwa hatte sie zu einem Workshop geladen, 20 Trainerinnen aus Deutschland, nahmen teil, das Motto: "Wanted: female coaches". Frauen seien unterrepräsentiert in diesem Beruf, "bei uns sind 85 Prozent der Trainer Männer", berichtet sie, dabei ist ihr eine Fähigkeit der Frauen besonders wichtig, die sie zu vermitteln versucht: "Frauen können sich besser auf Frauen einstellen." Sie könnten besser zuhören, Spielerinnen hätten tendenziell auch weniger Hemmschwellen, sich gegenüber weiblichen Coaches zu öffnen. "Tennis kann einsam sein, emotionale Unterstützung ist da wichtig." Die Profivereinigung WTA hat nun auch Murrays Talent, wenn auch spät, erkannt und sie im vergangenen Jahr beim Saisonfinale der besten acht Profis mit "MissHits" angeheuert. Angewiesen auf Einnahmen aus diesem Programm dürfte Murray indes kaum mehr sein.

In einem Punkt aber bekennt sich Judy Murray zu einer weiblichen Schwäche, aus Sicht der Mutter gesprochen. Wenn ihre Söhne spielen, könne sie vor Aufregung kaum zusehen. "Ich putze dann das Bad", sagt sie lächelnd. Britischer Humor, unverkennbar.

© SZ vom 23.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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