Im Moment, als es geschah, blieb Ivo Karlovic ruhig. 6:7, 2:2, 15:0 stand es aus Sicht des Kroaten in seinem Achtelfinalmatch beim Pekinger ATP-Turnier gegen Pablo Cuevas aus Uruguay. Schnörkellos schlug Karlovic ein Ass in die Cross-Ecke. Drehte sich um. Ließ sich einen Ball geben. Der Applaus blieb verhalten. Im Fernsehen aber wies der englischsprachige Kommentator des weltweit angebotenen Tenniskanals auf das dargebotene Spektakel hin und johlte: "Karlovic ist JETZT in den Geschichtsbüchern!"
Karlovics 10 238. Ass war genau eins mehr, als Landsmann Goran Ivanisevic (nun Trainer von Marin Cilic) geschlagen hatte. Cuevas siegte 7:6 (5), 7:6 (6), aber die Niederlage schmerzte nicht. "Das ist ein großartiges Gefühl", sagte Karlovic, der danach bei 10 247 Assen angekommen war.
Für ihn stellt der Rekord viel mehr als eine Zahl dar. Er ist sein persönlicher Grand-Slam-Pokal, zu dem es bislang trotz stattlicher Erfolge (sechs Turniersiege, knapp sechs Millionen Dollar Preisgeld) in seiner 15 Jahre währenden Karriere nicht gereicht hat. Ein Viertelfinale in Wimbledon (2009) ist sein bestes Ergebnis bei einem der vier größten Turniere. Entsprechend emotional verlief die Pressekonferenz in Peking. Wie ein Champion blickte Karlovic, ein feinsinniger, humoriger Mensch, auf seine Laufbahn zurück, berichtete, wie ihm ein leichter Schlaganfall, bedingt durch eine 2013 diagnostizierte Hirnhautentzündung schwer zugesetzt hatte. Dass er seitdem "jedes Match als Bonus" betrachte. Der Hüne hätte auch Basketballer werden können, doch Tennisprofi - das war sein Traum, den er lebt und genießt. "Der Aufschlag ist eben meine größte Waffe", gibt Karlovic zu und versucht gar nicht so zu tun, als sei er ein Allrounder. Daher pflegt und hegt er seinen Aufschlag, trainiert ihn häufiger als die meisten anderen.
"Bin noch nicht fertig": Ivo Karlovic, nachdem er den früheren Profi Goran Ivanisevic in der Wertung der meisten Asse überholt hat.
(Foto: Manan Vatsyayana/AFP)Seine Aufschlagbewegung ist nicht kompliziert, andere schlagen so hart auf wie er. Aber die Höhe des Treffpunktes gibt ihm andere Möglichkeiten. Karlovic kann den Ball dank seiner 2,11 Meter perfekt nach unten drücken, kleinere Spieler - und das sind im Tenniszirkus alle - sind genötigt, den Ball aufgrund der Netzhöhe (in der Mitte 0,91 m, außen 1,07 m) flacher hinüberzuschlagen. Der Ballflug wird länger, der Gegner hat mehr Zeit zum Reagieren. Bei Karlovic schlägt der Ball einfach ein - bumm!
Im Februar wurde er mit dem Triumph in Delray Beach zum zweitältesten Tour-Sieger nach Jimmy Connors (USA), mit dem jetzigen Rekord ist er aber noch nicht am Ende seiner Wünsche. "Ich habe noch viele Jahre vor mir", sprach er: "Ich bin noch nicht fertig." Das Zählen seiner Asse geht damit weiter.