Tabellenletzter Eintracht Braunschweig:Ins Grübeln geraten

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Zermürbt nach sieben Spieltagen: Torsten Lieberknecht. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Ein Punkt nach sieben Spieltagen: Offen wie nie zuvor stellt Torsten Lieberknecht seine Arbeit bei Eintracht Braunschweig in Frage. Der Klub hatte die erste Liga vor Saisonbeginn zum Abenteuer erklärt. Zumindest denkbar, dass die branchenüblichen Reflexe deshalb ausbleiben.

Von Carsten Eberts

Im August hat Torsten Lieberknecht ein großes Lob erhalten. Absender war Jürgen Klopp, der branchenüberstrahlende Coach von Borussia Dortmund, der sich vor der Partie gegen Braunschweig über seinen Kollegen ausließ. Ein "Supertyp" sei dieser Lieberknecht, "und er scheint ein überragender Trainer zu sein". Bei Eintracht Braunschweig habe Lieberknecht Großes geleistet, attestierte Klopp, "weil ich im gesamten letzten Jahr gedacht habe: Mit Braunschweig muss man echt nicht aufsteigen."

Klopp plauderte noch ein bisschen weiter, sprach über gemeinsame Zeiten bei Mainz 05, als Lieberknecht, heute 40, unter Klopp, heute 46, trainierte. "An Torsten merke ich, wie alt ich geworden bin", scherzte Klopp: "Jetzt ist er auch schon Trainer. Da sieht man, wie die Zeit rennt."

Lieberknecht, ein neuer Klopp? Auf diese Idee waren natürlich schon andere gekommen. Da war ein junger Typ, der mit guten Ideen und erfrischendem Auftreten in die Bundesliga strebte. Das Spiel in Dortmund verlor Braunschweig, wenn auch nur knapp 1:2. Die Eintracht bekam Lob für den beherzten Auftritt, die drei Punkte gingen jedoch an den Favoriten.

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So zieht sich das seit einigen Wochen. Richtig schlecht ist Braunschweig nie aufgetreten, war vielfach knapp daran, ein Spiel zu gewinnen. Gereicht hat es nie. Mittlerweile sind sieben Spieltage absolviert - und die Tabelle weist ein Unentschieden auf, sonst nur Niederlagen, gerade einmal drei Tore hat der Aufsteiger geschossen. Sogar der erniedrigende Vergleich mit Tasmania Berlin, mit jenem Klub, der 1965/66 die statistisch schlechteste Spielzeit aller Bundesligisten lieferte, kann rein tabellarisch ohne größere Rechtfertigung bemüht werden: Im Frühherbst 1965 hatte Tasmania nach sieben Spieltagen immerhin schon einen Sieg geholt. Braunschweig steht bei: null.

Die Ergebnisserie scheint auch Lieberknecht allmählich zu zermürben. Nach dem 0:4 am Sonntag gegen Stuttgart waren ungewohnte Töne zu hören. Im blauen Kapuzenpulli saß Lieberknecht auf dem Pressepodium, zuppelte immer wieder am kleinen, schwarzen Mikrofon herum, richtete seinen Blick starr auf den Tisch vor sich. "Diese Niederlage heute ist für mich nur schwer zu ertragen", sagte Lieberknecht. Er musste heftig schlucken. Kämpfte mit den Tränen. Wie jemand, dem gerade etwas entgleitet.

Offen wie nie in dieser Saison stellt sich Lieberknecht anschließend selbst in Frage. "Viele Dinge, die wir austüfteln, die wir in der Trainingswoche erarbeiten, fruchten nicht", so Lieberknecht. Er treffe nicht die richtigen Entscheidungen, vor und während der Spiele. "Ich bin mächtig ins Grübeln gekommen", gestand Lieberknecht, "und ich finde es verständlich, wenn die Verantwortlichen und die Fans auch grübeln."

War das ein Rücktrittsangebot? "So war das nicht gemeint", sagte Lieberknecht, auch wenn das andere so interpretieren mögen: "Ich bin keiner, der wegläuft."

Bislang war Lieberknecht der größte Streiter für den Braunschweiger Weg. Nach dem Aufstieg entschied sich der Klub für die Beibehaltung seiner Strukturen, verzichtete auf teure Zugänge. Fast alle Spieler der Aufstiegsmannschaft durften mit in die erste Liga, so hatte es Lieberknecht versprochen. "Wir würden viel kaputtmachen, wenn wir unsere gewachsenen Strukturen mit teuren Verstärkungen aufbrechen würden", sagte Klubchef Sebastian Ebel damals. Je eine halbe Million Euro für Rechtsverteidiger Omar Elabdellaoui und Stürmer Torsten Oehrl waren die teuersten Versuche, das Team auf Bundesliganiveau zu heben.

Lieberknecht stellte sich stets mit Verve vor sein Team. Gegen Gladbach standen acht Spieler auf dem Spielfeld, die mit Braunschweig bereits in der dritten Liga waren, das mache ihn stolz, sagte Lieberknecht. Er pöbelte gegen Schiedsrichter, haderte mit dem Schicksal, kreiert wöchentlich neue Sprüche. Der ein oder andere "Fuck-Ball" gehe bei seiner Abwehr immer rein, sagte er einmal im Radio. Legendär ist sein Ausspruch, die Eintracht sei eben nur "dieser kleine Pissverein", der bei Schiedsrichtern einen schweren Stand habe. Das haben sich Fans mittlerweile auf T-Shirts drucken lassen.

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Zweifellos erlebt Eintracht Braunschweig die schwierigste Phase seit fünf Jahren. Nicht so schwierig allerdings wie im Sommer 2008, als der Verein in seiner Existenz bedroht war und kurz vor dem Abstieg in die Regionalliga stand. Lieberknecht hatte den Klub drei Spieltage vor Schluss übernommen, wendete das schlimmste Szenario ab. Danach ging es aufwärts: Aufstieg in die zweite Liga, dort etablierte sich der Klub, setzte sich im vergangenen Herbst an die Tabellenspitze. Als "Weltwunder" bezeichnete Lieberknecht den Aufstieg in die Eliteklasse, die Rückkehr nach 28 Jahren.

An diesen Worten muss sich der Verein nun messen lassen. Wenn der Aufstieg schon ein Weltwunder war, wäre es der Verbleib in der Liga ebenfalls. Braunschweig kann mit anderen Bundesligisten finanziell nicht mithalten, qualitativ auch nur dann, wenn alles passt. Das war vor der Saison klar, wurde auch von den Verantwortlichen kommuniziert. Zur Not wäre die Erstligasaison ein schönes, wenn auch kurzes Abenteuer. Manager Marc Arnold bestärkte den Trainer am Montag. "Es ist verständlich, dass er ins Grübeln gerät", sagte Arnold, der Lieberknecht seit vielen Jahren kennt, das sei "menschlich". Es gäbe "nichts, was ich ihm vorwerfen kann". Es soll weitergehen, mit Lieberknecht.

Die ungeschriebenen Branchengesetze würden nun vorsehen, dass Lieberknecht vielleicht noch ein paar Wochen weitermachen darf und spätestens zur Winterpause unter großem allseitigem Bedauern ausgetauscht wird. Dann kommen irgendein neuer Coach und vielleicht auch zwei, drei neue Spieler, für viel Geld, das der Klub eigentlich niemals ausgeben wollte. Um am Ende doch abzusteigen.

Doch den Braunschweigern wäre es durchaus zuzutrauen, ihren Weg bis zum Ende zu gehen. Mit Lieberknecht. In Würde absteigen, wenn es nicht reicht, das haben noch nicht viele Bundesligisten geschafft.

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