Sven Hannawald:Kein Problem ist ein Problem

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Skispringer Sven Hannawald übt Kritik, seine Trainer wählen die Taktik des Kleinredens.

Von Thomas Hahn

Die Menschen trugen Schirme, und wenn sie unter ihnen hervorschauten, blickten sie ins Graue. Regen fiel über Oberstdorf, bald kam auch der Wind dazu. Aus dem Regen wurde Schnee, aus dem Wind ein kleiner Sturm, und als der Probedurchgang zum Weltcup-Skifliegen abgesagt war, machten die ersten Zuschauer kehrt, weil sie ahnten, dass an diesem Samstag wohl die Fahnen fliegen würden an der Heini-Klopfer-Schanze, aber ganz gewiss keine Skispringer.

Doch dann geschah etwas Seltsames, wenige Minuten bevor der Wettkampf beginnen sollte: Der Wind erlahmte, der Schneefall wurde weniger, und es teilte sich das Wolkenmeer wie ein Vorhang, der den Blick auf ein neues Bild freigibt. Die Berge tauchten aus dem Nebel auf, bald blinzelte die Sonne. Die Skiflieger konnten pünktlich starten. Es war eine Art Wunder.

Das hat die Besucher glücklich gemacht, und die deutschen Skispringer auch, die sich gerade in einer schwierigen Phase ihres Schaffens befinden und deshalb jede Gelegenheit gebrauchen können, um mit guten Ergebnissen Selbstvertrauen zu sammeln. Skifliegen ist ihre Stärke, und so brachte ihnen der Termin respektable Ergebnisse: Am Samstag war Stephan Hocke noch ihr Schlechtester als 16., auf Platz zehn bis zwölf reihten sich brüderlich die Kollegen Maximilian Mechler, Martin Schmitt und Michael Uhrmann ein.

Und Georg Späth wurde Vierter mit einem persönlichen Rekord von 206,5 m im ersten Durchgang, der endlich sein Verlangen stillte, einmal jenseits der 200-m-Marke zu landen. Späth strahlte und vergaß auch nicht, die neue, laut angekündigte Flutlichtanlage am Berg zu loben, die dem dämmernden Tageslicht Erste Hilfe leistete ("super ausgeleuchtet das Ganze"). Der Wettbewerb am Sonntag wurden schließlich wegen wechselnder Winde abgesagt.

Kritik an Steiert

Und sonst? Auch dieses Wochenende brachte den ohnehin schon gebeutelten Springern unerfreulichen Gesprächsstoff, der diesmal sogar internen Diskussionsbedarf über die Trainingsarbeit unter Bundestrainer Wolfgang Steiert anzeigte.

Sven Hannawald, der pausierende Skiflug-Weltmeister, hatte nämlich seine Klausur für ein RTL-Interview unterbrochen und gesagt: "Wir haben im Sommer andere Voraussetzungen geschaffen. Die waren sportartspezifisch nicht so toll wie in den vergangenen Jahren zuvor. Dazu werde ich nach der Saison meinen Senf geben." Das durfte man nun nicht als Abrechnung verstehen und auch nicht als tiefes Zerwürfnis zwischen Steiert und seinem Star deuten. Steiert ist seit Jahren Hannawalds Heimtrainer und bis heute sein wichtigster Bezugspunkt im Sport.

Aber die Kritik bewies durchaus, dass nicht alles rund läuft, seitdem im Sommer die Ära des Steiert-Vorgängers Reinhard Heß unter großem Beifall der Athleten zu Ende gegangen war. Steiert hat Raum für neue Impulse geschaffen, seinem Kader ein Einheitsprogramm verschrieben und das Grundlagentraining verschärft. Manchen ist das gut bekommen, Späth zum Beispiel erlebt seine beste Saison und sagt: "Ich denke, ich habe richtig trainiert."

"Nicht so gemeint"

Auch Michael Uhrmann konnte sein Profil schärfen und begrüßte die Neuerungen: "Sicher war es anders, das war auch beabsichtigt." Aber offenbar hat Steiert übersehen, dass nicht zu jedem Athleten das gleiche Programm passt. Hannawald klagte schon im vergangenen Herbst, dass die vermehrten Athletikeinheiten seinen Spaß am Sport eingeschränkt hätten.

Er ist kein Konditionswunder, lebt von seinem Fluggefühl, da kann es schon sein, dass Steierts Reformen seine Balance störten. "Ja guad", sagt der bayerische Uhrmann, "da kann man verschiedener Meinung sein." Und Martin Schmitt verwies auf die traditionelle interne Jahresrückschau: "Nach der Saison wird man eh ganz normal mit dem Trainer zusammensitzen." Ob die Debatte in die Öffentlichkeit gehört, ist für ihn eine andere Frage. "So gesehen, war er vielleicht nicht vorsichtig genug." Aber Schmitt sagte auch zu Hannawalds Einwurf: "Was ich gehört habe, war es nicht so tragisch."

So tragisch immerhin, dass der Technische Leiter Rudi Tusch Hannawald streng zurechtwies ("Sven denkt zu sehr an sich selbst") und klagte: "So schaffen wir uns Nebenkriegsschauplätze, die wir uns momentan nicht leisten können." Ansonsten baten er und Steiert, ihren Erfolgsgaranten der vergangenen zwei Jahre nicht so ernst zu nehmen. Tusch sagte: "Ich glaube, er hat es nicht so gemeint, wie es rübergekommen ist." Steiert sagte: "Ich glaube, er hat es nicht so gemeint, wie es in der Öffentlichkeit rübergekommen ist."

Dabei war das Zitat gar nicht missverständlich. Eilig beschloss Steiert den Fall: "Wir haben telefoniert", sagte er. "Das Problem ist ausgeräumt. Es war kein Problem." So räumen sie also mittlerweile auch Probleme aus, die gar keine sind. Die Chefs der stolzen Skisprungabteilung befanden sich wieder auf welligem Kurs. Der Wind hatte aufgelebt und die nächste Schwäche ans Licht geweht. Die Athleten waren gut geflogen, und doch war nichts leichter geworden in Oberstdorf.

© SZ vom 9.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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