Supercup:Tuchel muss seine Tausendsassas managen

AFC Sunderland - Borussia Dortmund

Einer von acht Zugängen: Der Spanier Marc Bartra, der vom FC Barcelona nach Dortmund wechselte.

(Foto: Guido Kirchner/dpa)

Borussia Dortmund wagt mit jungen Spielern ein Experiment. Dessen Wirkung wird man wohl erst nach dem Supercup-Duell mit dem FC Bayern an diesem Abend erkennen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

In zumindest einem Punkt muss Ousmane Dembélé sich nicht mehr groß anpassen. Graues Wetter kennt er aus der Bretagne. Und für alles andere, was Borussia Dortmunds vielleicht größtes von allen neuen Großtalenten in Westfalen überraschend finden könnte, hat sich Pierre-Emerick Aubameyang als Großer-Bruder-Ersatz zuständig erklärt: Schnelle Autos, die schönsten Wohnlagen, deutsche Eigenheiten - und vor allem das Paradoxon, dass man als Stürmer in Dortmund genauso viel verteidigen wie angreifen muss.

Trainer Thomas Tuchel wird trotzdem noch etwas mehr gefragt sein als Aubameyang. Für den großen Umbruch, wie alle es in Dortmund nennen, wird er Dembélé und allen jungen Helden taktische Denke und Defensiv-Disziplin beibringen müssen. In den Testspielen gegen Manchester United, Manchester City oder Athletic Bilbao hat Dembélé bisweilen kurze Videoclips seines Talents abgefeuert, war dann aber wieder minutenlang übers Spielfeld geirrt, als habe er sich verlaufen.

Ein bisschen wie Aubameyang selbst, als er 2013 aus Saint-Etienne kam. Oder wie Emre Mor, ebenfalls 19, der das raue Wetter von Kopenhagen gegen das vergleichsweise sonnige im Revier tauscht. Beide, Dembélé und Mor, versprechen viel, werden aber kaum einen Startplatz fürs Supercup- Duell des BVB und des FC Bayern am Sonntag (20.30 Uhr/ZDF und Sky) ergattern.

All die neuen Kräfte, um die auch finanzstärkere Klubs in den Wochen vor der EM geboten hatten, muss Tuchel in ein fußballerisches Gefüge implantieren. Zum Beispiel Raphael Guerreiro, 22, eigentlich Franzose, der aber als Stammspieler von Portugal Europameister wurde und zudem in die "Elf des Turniers" gewählt wurde. Oder Mikel Merino, 20, vom spanischen Erstliga-Aufsteiger EA Osasuna aus Pamplona. Oder Marc Bartra, 25, Innenverteidiger-Nachfolger des zum FC Bayern gewechselten Mats Hummels, der zuvor meist Ersatzmann beim FC Barcelona war.

Vieles dürfte radikal anders werden

Einerseits sollen Dembélé, Mor und die anderen etwas radikal Neues einbringen in den BVB-Stil, mehr Eins-gegen-eins-Mut, ja: so etwas wie Anarchie. Andererseits gibt es Verhaltens-Standards bei den Besten des europäischen Fußballs, um die keiner herumkommt. Nicht einmal einer, dem immer mal wieder das Emblem aufgedrückt wird, seine Dribblings würden Elemente des Messi-Fußballs erkennen lassen.

Supercup-Sieger seit 2010

2010

FC Bayern München - Schalke 04 2:0

2011

Borussia Dortmund - Schalke 04 0:0, 3:4 i.E.

2012

Borussia Dortmund - FC Bayern München 1:2

2013

FC Bayern München - Borussia Dortmund 2:4

2014

FC Bayern München - Borussia Dortmund 0:2

2015

FC Bayern München - VfL Wolfsburg 1:1, 4:5 i.E.

Dortmunds Rückkehrer Mario Götze hat sich mit solchen Vergleichen schon länger herumgeschlagen. Emre Mor, Däne mit türkischen Wurzeln, trägt schon heute ein bisschen schwer daran. Sein Gesichtsausdruck ist bisweilen derart zum Fürchten, als habe er die Mimik von Jürgen Klopp bei unliebsamen Schiedsrichterentscheidungen studiert.

Auf keinem von Dortmunds Neuen aber liegt der Fokus so sehr wie auf Dembélé. Sein Landsmann Aubameyang hat ihn bereits im Frühjahr dazu animiert, unbedingt nach Dortmund zu wechseln. "Ich dribble gerne, aber sonst muss ich noch viel lernen", hat er im Trainingslager in der Schweiz gesagt. Speed, Physis und Unberechenbarkeit in Eins-gegen-eins-Szenen kennzeichnen sein Spiel. Wie er beim 4:1-Testsieg gegen ManUnited in Shanghai unwiderstehlich sein Tor erzielte, das erzählte in Kurzform, warum ihn so viele Klubs kontaktierten; ManCity, Paris Saint-Germain, der FC Bayern.

Dortmund als Projekt oder als Karriere-Sprungbrett

Europas Talente sind längst im Dauer-Casting aller großen Klubs. Sie sind meist so gut ausgebildet, dass sie alles Mögliche auf dem Platz spielen können. Dembélé etwa ist es egal, ob er mit links oder rechts schießen soll, ob er außen oder zentral spielt oder gar in der Spitze. Mit Mor ist es ähnlich. Raphael Guerreiro spielte für Portugal linker Verteidiger, bei seinem bisherigen Klub FC Lorient aber genauso oft am linken Flügel - bei Tuchel tauchte er auch schon im zentralen Mittelfeld auf. Mikel Merino kann defensiv zentral, offensiv zentral, Innenverteidiger, Außenverteidiger. Alles kleine Tausendsassas, bei denen Tuchel aus vielen Optionen die zielführenden heraus filtern muss.

Irgendwie ist diese neue Generation von europäischen Talenten seltsam unklar festgelegt. Offen für alles, auf dem Spielfeld und auch bei der Karriereplanung. Alle haben sich Borussia Dortmund wohl vor allem als ein Karriere-Sprungbrett ausgewählt. Ein Klub, der in der Champions League weit vorne liegen kann, wo man ständig vor mehr als 80 000 Zuschauern spielt und die große Welt ganz nah zu sein scheint.

Wo man aber auch noch eine reelle Einsatz-Chance hat, um sich noch etwas weiter zu empfehlen. Auch die Nationalspieler Mario Götze (kam zurück vom FC Bayern) und André Schürrle (kam aus Wolfsburg) sind dieser Mentalität nicht fern. Kleine Uwe Seelers, mit einer lebenslangen Bindung an einen Verein, werden sie nicht.

Eher Unterhaltungskünstler auf wechselnden Bühnen. Ousmane Dembélés Eltern sind aus Mali, er ist in Frankreich geboren und aufgewachsen. Er hat sich noch nicht festgelegt, ob er weiter für Frankreich (wie bisher in der U21) oder für das stets kriselnde, arme Land seiner Eltern spielen will - so wie sein Vorbild Aubameyang für Gabun spielt, das Land seines Vaters. Ein bisschen etwas von einer paneuropäischen Zweckgemeinschaft hat Dortmunds neuer Kader plötzlich angenommen. Wenn es gut läuft, wird das ein Ensemble wie die Regenbogen-Kinder aus dem Bilderbuch.

Wenn nicht, wird man sehen, ob es in der Bundesliga-Tabelle dann doch der Block aus deutschen Nationalspielern (Götze, Schürrle, der derzeit verletzte Marco Reus) richten muss. Tuchel sagt über Dembélé schmunzelnd wie vage, was ein Grundschullehrer seinen Eleven ins Zeugnis schreibt: "Er hat Dinge gezeigt, auf die wir uns freuen."

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