Super Bowl in der NFL:Gnadenlose Seahawks demontieren die Broncos

NFL: Super Bowl XLVIII-Denver Broncos vs Seattle Seahawks

Die Seattle Seahawks feiern einen Touchdown in der ersten Hälfte des Super Bowl

(Foto: USA Today Sports)

22:0 zur Halbzeit, am Ende sogar 43:8. Die Seattle Seahawks gewinnen die Super Bowl gegen die Denver Broncos und zeigen dabei ein strategisches Meisterwerk. Experten vermuten, dass das junge Team in den kommenden Jahren sogar noch stärker sein wird.

Von Jürgen Schmieder

William Faulkner sagte einmal über den Beginn von Kunstwerken: "Schreibe den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt den zweiten lesen möchte." Thomas Mann etwa beginnt sein Meisterwerk Buddenbrooks - Verfall einer Familie mit den Worten: "Was ist das. - Was - ist das ..." Genau das haben die Spieler der Denver Broncos wahrscheinlich beim ersten Spielzug ihrer Offensive beim Super Bowl gedacht: "Was ist das. Was - ist das ..."

Spielmacher Peyton Manning gab ein Kommando, dann blickte er nach links, um das Geschehen auf dem Spielfeld zu überprüfen und womöglich Änderungen vorzunehmen - doch da segelte das Spielgerät schon in seine Richtung. Manning konnte nicht rechtzeitig reagieren, der Ball flog formschön an seinem entsetzten Gesicht vorbei in die eigenen Endzone. Sein Kollege Knowshon Moreno warf sich auf den Ball, doch wurde er sogleich von Seattles Cliff Avril umgerissen. Ein Safety nennt man das, es stand 2:0 für Seattle.

Das war der erste Satz in diesem Endspiel - und natürlich wollte man unbedingt den zweiten lesen. Ein Buch wird schließlich erst dann als Meisterwerk gewertet, wenn auch die anderen Sätze meisterlich sind, wenn die einzelnen Wörter zu einer außerordentlichen Geschichte kombiniert werden und sich ein grandioses Gesamtwerk entwickelt. Genau das passierte bei diesem Finale der nordamerikanischen Footballliga NFL vor den Toren New Yorks. Die Partie dürfte in die Geschichte eingehen als ein sportliches Meisterwerk der Seattle Seahawks, die am Ende mit 43:8 gewannen.

Super Bowl

Die besten Spielszenen

Den Seahawks gelangen jeweils zum Beginn eines Kapitels oder an dramaturgisch wertvollen Punkten bedeutsame Aktionen. Zunächst das Safety, dann zwei Field Goals. Danach fing Kam Chancellor einen Pass von Manning ab, was zu einem Touchdown durch Marshawn Lynch führte. Wenig später fing Malcolm Smith noch einen Pass von Manning ab und retournierte ihn direkt in die Endzone.

Smith wurde nach der Partie zum wertvollsten Spieler gewählt, er sagte: "Ich bin heute Morgen schon aufgeregt aufgewacht, hatte aber keine Ahnung, dass es so ein Tag werden würde."

Zur Halbzeit stand es also bereits 22:0. Nun gibt es ja sowohl in der Literatur als auch im Sport gewaltige und unglaubliche Comebacks von Helden. Das wollten auch die Broncos versuchen, doch es gelang ihnen nicht. Percy Harvin trug den Anstoß über eine Strecke von 87 Yards zurück in die Endzone. Die Broncos verloren später noch einmal den Ball, wieder schafften die Seahawks einen Touchdown. 36:0.

Die Broncos, die bis dahin eher wie entsetzte Zuschauer wirkten denn wie Protagonisten, steuerten ihren ersten Satz zu diesem Buch mit dem letzten Spielzug des dritten Viertels bei, als Manning seinen Kollegen Demaryius Thomas bediente. Es blieb offensiv der einzige Beitrag - der Verein, der in der regulären Saison zahlreiche Offensiv-Rekorde aufgestellt und pro Partie 37,9 Punkte geschafft hatte, erreichte in der wichtigsten Partie der Saison gerade einmal acht. Das erste First Down gab es Mitte des dritten Viertels.

"Wir haben in jeder Partie dieser Spielzeit versucht, wie Champions aufzutreten. Nun ist uns das beim größten Spiel in diesem Jahr gelungen", sagte Seattles Spielmacher Russell Wilson nach der Partie: "Mein Vater sagte immer zu mir, als ich noch klein war: 'Warum nicht? Warum nicht du?' Ich habe meinen Mitspielern deshalb während der Saison immer wieder gesagt: 'Warum nicht? Warum nicht wir? Warum sollten wir nicht die Mannschaft sein, die am Ende gewinnt?'"

Den Seahawks gelingt alles

Die Partie zwischen den Broncos und den Seahawks war mit Spannung erwartet worden, ein Favorit war nicht auszumachen gewesen. Selbst Nate Silver, Statistikguru und Wahrsager der amerikanischen Präsidentschaftswahl, hatte erklärt, dass rein statistisch nur ein Unentschieden möglich sei - das ist so, als wäre am Ende der Buddenbrooks nicht klar, ob die Familie nun tatsächlich auseinanderbricht oder nicht. Nur: Es gab kein Unentschieden, dieses Spiel war nach dem ersten Satz nach zwölf Sekunden nicht mehr ausgeglichen.

Oberflächlich betrachtet könnte man sagen, dass bei den Seahawks an diesem Sonntag einfach alles klappte, was klappen konnte - und dass den Broncos alles misslang, was misslingen konnte. Das wäre indes zu kurz gegriffen. Seattles Trainer Pete Carroll hat für seinen Verein eine Strategie entwickelt, die als sportliches Meisterstück in die Geschichte eingehen dürfte.

Es begann vor der Saison, als er seine ohnehin als herausragend geltende Defensive auf zahlreichen Positionen veränderte und noch schwerer zu überwinden machte. Es ging weiter mit zahlreichen überraschenden und teils mutigen Entscheidungen in der regulären Saison und den Playoffs - und es führte zur Beruhigung von Verteidiger Richard Sherman nach dessen Ausraster nach dem Halbfinale vor zwei Wochen.

Es erreichte seinen Höhepunkt darin, wie Carroll gegen die beste Offensive der NFL verteidigen ließ. Er griff Denvers Spielmacher Peyton Manning mit einem zusätzlichen Verteidiger an und sorgte dafür, dass Manning beinahe permanent unter Druck agieren musste. Die Passempfänger der Broncos nahm er abwechselnd durch Mann- oder Raumdeckung aus dem Spiel. Manning erreichte bei 49 Passversuchen einen Raumgewinn von gerade einmal 280 Yards, immer wieder stapfte er kopfschüttelnd vom Feld. "Wir wussten, dass wir die Broncos stoppen können, wenn wir uns an den Plan halten und uns um die Kleinigkeiten kümmern", sagte Chancellor.

In der Offensive ließ er Wilson öfter werfen als erwartet. Der warf 18 seiner 25 Passversuche zu einem seiner Mitspieler, er erzielte 206 Yards Raumgewinn und schaffte zwei Touchdowns. Das sind keine überragenden Statistiken, nur leistete sich Wilson keinen einzigen Fehler, er orchestrierte seine Offensive, wie ein Dirigent sein Orchester führen muss. Wohlgemerkt: Wilson ist 25 Jahre alt, er absolviert gerade seine zweite Saison in der NFL. "Wir haben vor vier Jahren begonnen, dieses Team zusammenzubasteln", sagte Carroll nach dem Spiel: "Und wir werden weiter an diesem Team arbeiten."

Die Seahawks verfügen über eine überaus talentierte Mannschaft, vor allem aber verfügen sie über eine überaus junge Mannschaft - von der Experten erwarten, dass sie in den kommenden Jahren durchaus noch stärker werden dürfte. Es könnte also durchaus sein, dass es noch einige Fortsetzungen dieses Buches gibt. Dass noch mehrere Gegner der Seahawks Thomas Mann zitieren und sagen: "Was ist das. Was - ist das ..."

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