Super Bowl:Einfach die Tür eintreten

Im NFL-Finale entzaubern die Denver Broncos die gefürchtete Offensive der Carolina Panthers. Der 24:10-Erfolg der Außenseiter hat das Zeug, den gesamten Football-Sport nachhaltig zu verändern.

Von Jürgen Schmieder

Wer Cam Newton in diesem Moment sah, der wusste, dass es vorbei war. Kein Sportler, der eine Partie noch gewinnen wird, kniet so auf dem Spielfeld. Wer gewinnen wird, der steht auf, schüttelt sich kurz und macht weiter. Der Spielmacher der Carolina Panthers sah mehr als vier Minuten vor dem Ende des Super Bowls auch nicht aus wie jemand, der verlieren wird, sondern wie einer, der bereits verloren hat: Er ließ den Hintern auf die Fersen sinken, warf den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er wollte nicht sehen wie die Verteidiger der Denver Broncos schon wieder eine Balleroberung bejubelten. Newton kniete da wie einer, der nicht mehr konnte und nicht mehr wollte.

Womöglich sah er im Schnelldurchlauf noch einmal dieses taktische Kunstwerk, das die Broncos beim 24:10-Sieg im Finale der nordamerikanischen Profiliga NFL angefertigt hatten. Womit sie den den Beweis für jene Sportlerweisheit erbracht hatten, nach der über die Offensive einzelne Spiele, über die Defensive jedoch die Titel gewonnen werden. Denvers Abwehrspieler verfolgten Newton das komplette Spiel über wie Polizisten einen flüchtigen Halunken. 18 Mal erwischten sie ihn, sechs Mal rammten sie ihn dabei zu Boden für einen Raumverlust von insgesamt 68 Yards. Zwei Mal rissen sie ihm das Spielgerät aus den Händen, ein Mal stibitzten sie es von einem Laufspieler, einen Pass von Newton fingen sie ab. Bei der letzten Balleroberung lag das Ei direkt vor Newtons Füßen, er hätte sich darauf stürzen können. Doch er zögerte, er wich sogar zurück. Er hatte keine Lust auf weitere Bestrafung. Er gab auf.

Super Bowl 50

Schlüsselszene: Denvers Von Miller (Nr. 58) stiehlt das Ei aus der Hand von Carolina-Quarterback Cam Newton.

(Foto: Tony Avelar/dpa)

Hätte Newton danach nicht die Augen zugemacht, dann hätte er Von Miller gesehen. Der Broncos-Verteidiger war vor fünf Jahren bei der Selektion der talentiertesten Nachwuchsspieler als zweiter Akteur seines Jahrgangs gewählt worden - direkt hinter Newton. Nun kugelte er mit dem Ball in Richtung Endzone, insgesamt erzwang er zwei Ballverluste, schaffte 2,5 Sacks und wurde zum wertvollsten Spieler der Partie (MVP) gewählt. Erst zum neunten Mal in der 50-jährigen Geschichte der Super Bowl wurde ein Verteidiger ausgezeichnet, jedoch schon zum zweiten Mal in den vergangenen drei Jahren.

Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive die Titel. Varianten dieser Weisheit gibt es in beinahe jeder Sportart, doch sie wird nirgends so sichtbar wie beim American Football, wo Angriff und Verteidigung derart strikt getrennt sind. John Elway, als Quarterback zweimal Super-Bowl-Gewinner mit den Broncos, hat als Manager des Vereins zwei Jahre lang an dieser Verteidigung gebastelt. Denver war 2014 im Finale von der Defensive der Seattle Seahawks blamiert worden. Elways Reaktion: "Das will ich auch haben!"

Denvers Coup

Die Super-Bowl-Ergebnisse seit 2004

2004 New England Pat. - Carolina Pant. 32:29

2005 New England Pat. - Philadelphia E. 24:21

2006 Pittsburgh Steelers - Seattle Seah. 21:10

2007 Indianapolis Colts - Chicago Bears 29:17

2008 New York Giants - New England Pat. 17:14

2009 Pittsburgh Steelers - Arizona Card. 27:23

2010 New Orleans S. - Indianapolis Colts 31:17

2011 Green Bay Packers - Pittsburgh St. 31:25

2012 New York G. - New England Patriots 21:17

2013 Baltimore Rav. - San Francisco 49ers 34:31

2014 Seattle Seahawks Denver Broncos 43:8

2015 New England Pat. - Seattle Seah. 28:24

2016 Denver Broncos - Carolina Panthers 24:10

Er verpflichtete sogleich die vertrags- losen Verteidiger DeMarcus Ware, Aqib Talib und T. J. Ward sowie die Neulinge Bradley Roby und Shaquil Barrett. Vor dieser Saison holte er Gary Kubiak als Cheftrainer, vor allem aber übertrug er dem 68 Jahre alten Haudegen Wade Phillips die Verantwortung über die Defensive. Der bastelte aus talentierten Einzelspielern das, was Elway unbedingt haben wollte: eine funktionierende Defensiv-Einheit, die beste dieser NFL-Saison. Die ließ in den Playoffs gegen Pittsburgh 16 Punkte zu, gegen New England 18 und gegen die Panthers, zuvor die produktivste Offensive der Saison, gar nur zehn. Das sorgte dafür, dass der Broncos-Offensive um Spielmacher Peyton Manning eine biedere Leistung genügte, um die Partie zu gewinnen.

Aus der Arbeitslosigkeit zum Super-Bowl-Sieg: Denvers Defensiv-Stratege steht im Fokus

"Jetzt bin ich aus der Arbeitslosigkeit heraus Super-Bowl-Champion geworden", scherzte Phillips in Anspielung darauf, dass er in 40 Jahren als NFL-Trainer noch nie den Titel gewonnen hatte, und dass ihn in der vergangenen Saison kein Verein haben wollte. Er wählte im Finale die riskante Strategie, die Panthers permanent zu attackieren und dadurch die hintere Verteidigungslinie offenzulegen. Es funktionierte, weil seine Verteidiger meist schneller waren. Oder wie Phillips sagte: "Wer durch eine Tür gehen will, der kann anklopfen - oder sie einfach eintreten."

Super Bowl: Bedient: Cam Newton, Quarterback der Carolina Panthers.

Bedient: Cam Newton, Quarterback der Carolina Panthers.

(Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Natürlich haben alle NFL-Manager diese Partie gesehen. Und alle werden nun wie Elway vor zwei Jahren den Wunsch äußern: "Das will ich auch haben!" Die Verteidigung gewinnt Meisterschaften. Wie 2014 die Seahawks, wie 2015 die New England Patriots durch eine Interception kurz vor Schluss, wie die Broncos am Sonntag. Elway hat über die Verpflichtung der sogenannten Free Agents auf viele künftige Wahlmöglichkeiten (Draft Picks) verzichtet. Er hat eine langfristige Planung dem kurzfristigen Erfolg geopfert, den er zweifelsohne hat. Eine erfolgreiche Ära ist von den Broncos eher nicht zu erwarten, zahlreiche Verteidiger wie etwa Miller, Brandon Marshall oder Antonio Smith können nun den Verein wechseln - und andere Klubs dürften bereit sein, sehr viel Geld für diese Spieler zu bezahlen.

Der Erfolg der Broncos könnte also weitreichende Konsequenzen haben. Natürlich haben junge Menschen, die sich in ein paar Jahren um die Aufnahme in die NFL bewerben, in dieser Saison vor allem die herausragenden Leistungen von des Quarterbacks Cam Newton wahrgenommen und ihn zum Vorbild erklärt. So ist das nun mal im Sport, bei den Höhepunkten einer Partie werden meist die offensiven Glanzstücke gezeigt: die Tore, die Dunkings, die K.o.-Schläge. Das ist völlig in Ordnung. Die Kinder allerdings, die am Sonntag beim 50. Super Bowl aufmerksam zugesehen haben, die wissen nun, dass sie auch als Verteidiger durchaus zum Helden werden können.

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