American Football beim Super Bowl:Der Fatalismus befeuert Philly

Quarterback Nick Foles der Philadelphia Eagles steht im Super Bowl LII

Zwischen solide und schrecklich: Quarterback Nick Foles galt in Philadelphia einst als Hoffnung auf eine bessere Zukunft, dann als Rückschritt in eine schlechtere Vergangenheit, nun steht er mit den Eagles im Endspiel.

(Foto: Matt Rourke/AP)
  • Beim Super Bowl könnten die Philadelphia Eagles etwas gegen den Verlierer-Ruf ihrer Stadt tun.
  • Vor dem größten Football-Spiel des Jahres ist klar, dass die Eagles gegen die Patriots ihre Defensivstärke ausspielen müssen.
  • Ein Fan hat sogar richtig viel Geld auf seinen Klub gewettet.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt eine skurrile Meldung des Polizeipräsidiums von Philadelphia, die von der Zeitschrift Sports Illustrated sogleich zum Vorboten der Apokalypse verklärt worden ist. Nach dem Halbfinalsieg der Eagles gegen die Minnesota Vikings seien im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten gerade mal sechs Personen verhaftet worden. Wer es gut mit den Bewohnern der Stadt meint, der erklärt sie zu wohlerzogenen Leuten, die auch im Erfolg die Contenance bewahren. Böse Menschen behaupten dagegen, dass sich die Fans bereits auf eine Niederlage im Endspiel am kommenden Sonntag (ab 22.50 Uhr / Pro Sieben) gegen die New England Patriots vorbereiten. Warum einen Sieg feiern, der die größtmögliche Enttäuschung herbeiführt?

Wer mal in Philadelphia gewesen ist, kennt diese Melancholie, wenn es um die Sportklubs der Stadt geht; hin und wieder wird daraus auch Fatalismus oder Aggression. Die titellose Zeit zwischen 1983 und 2008 ist in der US-Sportgeschichte noch immer die längste für eine Stadt, die in jeder der vier bedeutsamen Sportarten mindestens ein Profiteam beheimatet. Dann gewannen die Phillies die World Series im Baseball, seitdem gab es aber keine Meisterschaft mehr. Was es immer wieder gibt: bittere Final-Niederlagen, die der 76ers (Basketball) im Jahr 2001 etwa, die der Flyers (Eishockey) 2010 oder die der Eagles 2005 gegen die Patriots, den abermaligen Gegner am Sonntag.

Die aktuelle Saison steht symbolisch dafür, was die Profiklubs in den vergangenen Jahrzehnten mit den Einwohnern angestellt haben. Die Eagles hatten einen soliden Kader und galten als Kandidat für eine Playoff-Teilnahme - nicht mehr, nicht weniger. Dann allerdings agierte die Defensivreihe nicht solide, sondern variabel und aggressiv. Die Passempfänger Torrey Smith, Alshon Jeffery und Zach Ertz waren brandgefährlich und fingen auch scheinbar nicht zu erreichende Bälle; der während der Saison verpflichtete Running Back Jay Ajayi sorgte für überraschende Entlastung im Laufspiel, die Spielmacher-Beschützer in der Offensive Line bildeten eine nahezu unüberwindbare Einheit.

Variabel, aggressiv, brandgefährlich, überraschend, unüberwindbar: Welches Footballteam hätte nicht gern solche Attribute, zumal im Zentrum dieser ohnehin erstaunlichen Entwicklung ein junger Mann zum gefeierten Helden wurde, zur Galionsfigur des Erfolgs: Der Quarterback Carson Wentz agierte in seiner zweiten Saison als Profi mutig, spektakulär, aufregend; er führte die Mannschaft zwischenzeitlich zur besten Bilanz der Liga. "Du brauchst einen Spielmacher, dem du blind vertrauen kannst", sagte Trainer Doug Pederson: "Wenn du diesen Typen gefunden hast, dann kannst du alles andere um ihn herum aufbauen."

Kurz vor dem Ende der Hauptrunde allerdings rissen Kreuz- und Außenband im linken Knie von Wentz. Natürlich, raunten sich die Menschen in Philadelphia zu, da gibt es endlich mal eine realistische Chance auf den Titel - und dann fällt der wichtigste Mann verletzt aus. Ersatzmann war Nick Foles, den sie vor ein paar Jahren in Philadelphia als Hoffnung auf eine bessere Zukunft gefeiert hatten, der nun jedoch nach Leistungseinbruch und zwei erfolglosen Wanderjahren als Rückschritt in eine schlechtere Vergangenheit galt. Sie waren nicht wütend in der Stadt, sie waren traurig wie jemand, der ohnehin mit Schlimmem rechnet und nun das Schlimmste verarbeiten muss.

Variabel, aggressiv, brandgefährlich

Die Eagles hatten die Playoffs zum Zeitpunkt von Wentz' Verletzung bereits erreicht und sich danach Heimrecht für alle möglichen Playoff-Partien gesichert. Sie besiegten erst die Atlanta Falcons 15:10 und dann die Minnesota Vikings 38:7. Foles agierte bei seinen fünf Einsätzen als Stammspieler erst solide, dann schrecklich und schließlich überragend, dafür blieben seine Kollegen variabel, aggressiv, brandgefährlich, überraschend, unüberwindbar.

Sollte es tatsächlich klappen mit dem ersten Super-Bowl-Triumph der Klubgeschichte? Nun, ein Eagles-Fan hat, ganz untypisch für die Mentalität in Philadelphia, in einem Wettbüro in Las Vegas mehrere Millionen Dollar auf einen Sieg seiner Mannschaft gesetzt.

Die Verletzung von Wentz könnte sich dabei als unerwarteter Segen für die Eagles erweisen. Das stabile Laufspiel um Ajayi und seinen Kollegen LeGarrette Blount dürfte es Trainer Pederson ermöglichen, den Ablauf der Spieluhr zu kontrollieren und den gegnerischen Quarterback Tom Brady möglichst lange vom Spielfeld fernzuhalten. Patriots-Trainer Bill Belichick gilt als Defensivstratege und Meister der Analyse feindlicher Spielmacher - doch was soll er von Foles bislang schon gesehen haben? Auf einen Typen, der in nur fünf Partien solide, schrecklich und überragend agiert, kann sich kaum ein Trainer einstellen. "Nick kann verschiedene Dinge anstellen, er ist kaum auszurechnen", sagt Philadelphias Quarterback-Trainer John DeFilippo: "Wir fühlen uns ziemlich wohl mit ihm."

Die Menschen in Philadelphia hoffen nun, dass Foles am Sonntag entweder solide oder überragend spielen wird - und dass seine Kollegen variabel, aggressiv, brandgefährlich, überraschend, unüberwindbar sein werden. Dann, und nur dann, haben die Eagles eine Chance gegen die Patriots. Die Polizei in Philadelphia bereitet sich jedenfalls auf den Ernstfall vor, sie hat bereits eine Warnung veröffentlicht, dass die Menschen nach Spielschluss wegen zu erwartender Krawalle lieber in ihren Häusern bleiben sollen. Das Kuriose an dieser Warnung: Sie gilt nur im Fall eines Eagles-Sieges. Niederlagen sind sie gewohnt in dieser Stadt.

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