Super Bowl:Das Ende einer Rocky-Geschichte

Super Bowl: Eagles-Quarterback Nick Foles feiert seinen Touchdown.

Eagles-Quarterback Nick Foles feiert seinen Touchdown.

(Foto: AP)
  • Der Sieg des Außenseiters Philadelphia Eagles ist eine Geschichte, wie sie die Amerikaner lieben.
  • Der Ersatz-Spielmacher Nick Foles ist der große Held, weil er sogar einen Touchdown fängt.
  • Es ist die Wohlfühl-Geschichte am Ende einer turbulenten Saison.

Von Jürgen Schmieder

Irgendwann war natürlich Rocky Balboa auf der Großleinwand zu sehen, die Filmfigur aus den Siebzigerjahren. Die Ikone des amerikanischen Traums, die es vom Kirmesboxer zum Weltmeister schafft, muss in den USA immer dann als Symbol herhalten, wenn ein Außenseiter entgegen aller Wahrscheinlichkeiten siegen soll. Im Film joggt Rocky beim Training durch die Straßen von Philadelphia, sie haben deshalb vor dem Museum of Art tatsächlich eine Statue von ihm aufgestellt. Im ersten Viertel des Super Bowls, des Endspiels um die American-Football-Meisterschaft, nutzten die Philadelphia Eagles die von der Profiliga NFL genehmigte Zeit zur Belustigung des Volkes für ein rührseliges Video über Boxer und Klub; am Ende waren die berühmten Noten aus Bill Contis Rocky-Hymne "Gonna Fly Now" zu hören: Babba-baaaaa, babba-baaaaa.

Auch wenn viele Indizien dagegen sprechen, dass es jemand mit harter Arbeit und etwas Glück vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, glauben sie in den USA noch immer daran. Und was wäre geeigneter als Beweis als ein Erfolg der vermeintlich Chancenlosen auf der größten Bühne, die der US-Sport zu bieten hat - das Football-Finale? Am Sonntag gewannen die Eagles ein hochklassiges Endspiel überraschend 41:33 gegen die New England Patriots; tatsächlich steckt in diesem Triumph sehr viel vom amerikanischen Wesen.

Die Rollen sind bei solchen Heldensagen ohne Schattierungen verteilt, der Gute ist durchweg gut, der Böse durchweg böse. Die Patriots sind vor dem Finale als finstere Organisation gezeichnet worden, die juristische und moralische Grenzen überschreitet - und weil das amerikanische Sportgedächtnis äußerst kurz ist, ist nur selten erwähnt worden, dass die Ära der Patriots mit acht Finalteilnahmen und fünf Siegen vor 16 Jahren mit einer Rocky-Geschichte begonnen hatte: Der unerfahrene Ersatzmann Tom Brady hatte damals sein Team im Schlussviertel zum Sieg über die favorisierten St. Louis Rams geführt. Babba-baaaaa, babba-baaaaa.

Eagles-Coach pfeift auf die Ratschläge

Nun waren also die Eagles die sympathischen Außenseiter: ein Traditionsklub ohne Super-Bowl-Sieg, dem das Schicksal immer dann zusetzt, wenn es mal berechtigte Gründe für Optimismus gibt. Die Eagles waren die beste Mannschaft dieser Saison, doch kurz vor Beginn der Playoffs verletzte sich ihr Spielmacher Carson Wentz am Knie. Es galt schon als Wunder, dass Philadelphia überhaupt das Endspiel erreichte; sämtliche Experten warnten sie: nichts riskieren, keine Fehler machen, keine ausgefallenen Spielzüge einstreuen.

Trainer Doug Pederson pfiff auf die Ratschläge, er ließ den Ersatz-Spielmacher Nick Foles oft und gerne auch weit werfen, der erste Touchdown der Partie etwa war ein präzises 34-Yard-Zuspiel auf Alshon Jeffrey. Später wählte Pederson in einer Situation, in der wahrscheinlich fast 100 Prozent aller Trainer einen Field-Goal-Versuch für drei Punkte angeordnet hätten, eine riskantere Variante - einen pfiffigen Trickspielzug, der letztlich sieben Zähler einbrachte: Der nominelle Passempfänger Trey Burton warf den Ball zum nominellen Passgeber Foles, der sich unbemerkt freigeschlichen hatte und zum ersten Mal in seiner Karriere in einem Spiel einen Ball fing.

Es war auch das erste Mal überhaupt, dass ein Quarterback wie Foles im Super Bowl einen Touchdown-Pass fing.

"Wir haben den Spielzug drei Wochen lang geübt"

"Wir haben den Spielzug drei Wochen lang geübt, wir nennen ihn Philly Special", sagte Pederson nach der Partie: "Wir wussten, dass wir mutig sein mussten und kreativ. Es war klar, dass wir einen Touchdown brauchten, nicht nur ein Field Goal." Die Patriots führten zu Beginn des Schlussviertels zum ersten Mal in dieser Partie, und wie so häufig wirkte dieses Endspiel wie eine Variante der Fußballweisheit des Engländers Gary Lineker: Der Super Bowl ist ziemlich einfach, es jagen zwei Mannschaften einem eiförmigen Ball hinterher - und am Ende gewinnen die Patriots.

Die Eagles spielten weiter riskant, beim Touchdown-Pass von Foles auf Zach Ertz zum Beispiel entschieden die Schiedsrichter wohlwollend für Philadelphia, was all jene beruhigen dürfte, die bei jeder Gelegenheit an eine NFL-Verschwörung zugunsten der Patriots glauben. Ein Comeback verhinderten die Eagles, indem sie Brady erst den Ball stibitzten und später dessen Verzweiflungswurf in letzter Sekunde abwehrten. Die Patriots verloren gegen ein Team, das besser war, und wer die Partie vorher nicht auf das Duell zwischen der Legende Tom Brady, 40, und dem Ersatzmann Nick Foles, 29, reduziert hatte, der wusste, dass dieser Ausgang möglich war. Aber das wäre nicht so dramatisch, so rührend, so, nun ja, amerikanisch gewesen.

Man vergisst bei der sentimentalen Lesart bisweilen, dass die beim Super Bowl ausgetragene Partie nur sportliche Beigabe ist zu einem milliardenschweren Spektakel der Unterhaltungsindustrie, bei dem ein Popstar (Pink) die Nationalhymne schmettert und ein anderer Popstar (Justin Timberlake) in der Halbzeit durchs Stadion hampelt; bei dem Unternehmen mehr als fünf Millionen Dollar bezahlen, um 30 Sekunden im Fernsehen werben zu dürfen. Nein, beim Super Bowl spielen nicht arme Helden gegen finstere Bösewichte. Es spielen Millionäre gegen Millionäre, der Ersatzmann Foles ist ja kein armer Schlucker wie einst Rocky: Er verdiente in dieser Saison mehr als vier Millionen Dollar.

So was wird angesichts der überdimensionierten Show schnell vergessen, wie auch die während der Saison heftig geführte Debatte um schwere Kopfverletzungen oder die Tatsache, dass US-Präsident Trump die während der Nationalhymne protestierenden Akteure "Hurensöhne" geschimpft hatte. Der Super Bowl musste am Ende einer turbulenten Saison eine Wohlfühl-Geschichte liefern, und der Triumph eines lange erfolglosen Klubs aus einer oftmals geschmähten Sportstadt lässt sich wunderbar vermarkten. Das hat schon in anderen Sportarten prächtig funktioniert, etwa als vor zwei Jahren die Cleveland Cavaliers im Basketball zum ersten Mal Meister wurden und die Chicago Cubs im Baseball nach einer Pause von 108 Jahren mal wieder.

Um seine Zukunft macht sich Foles keine Gedanken

Zum Triumph der Eagles passt der unwahrscheinliche Held Foles, der insgesamt vier Touchdowns (drei Würfe, ein Fang) schaffte und zum wertvollsten Spieler gekürt wurde. Er könnte wieder zum Ersatzmann degradiert werden, wenn Carson Wentz zurückkommt, und sich deswegen im Sommer einen neuen Klub suchen. Aber wer will in so einem Moment schon an die Zukunft denken? Foles jedenfalls nicht: "Ich habe die ganze Partie über versucht, nur an den nächsten Spielzug zu denken, und nun genieße ich diesen Moment."

Da stand er also, auf dieser kleinen Bühne, mitten im Stadion von Minneapolis. Im Arm hielt er seine sieben Monate alte Tochter Lily ("sie hat keine Ahnung, was da gerade passiert") und küsste sie, während im Hintergrund wieder die berühmten Noten der Rocky-Melodie zu hören waren. Babba-baaaaa, babba-baaaaa.

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