Stuttgarter 2:0-Sieg:Befreiung aus dem Niemandsland

VfB Stuttgart - Werder Bremen 2:0

Zum Klassenerhalt mit einem Tor beigetragen: Stuttgarts Maskenmann Christian Gentner.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Mit dem hart erarbeiteten Erfolg gegen den SV Werder Bremen sichert sich der VfB Stuttgart auch mathematisch den Klassenverbleib - früher als von den optimistischsten Schwaben selbst erwartet.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Michael Reschke sprintete aufs Spielfeld, als würde er für das Deutsche Sportabzeichen üben. Sein weißes Hemd hing aus der Hose, seine Haare waren verstrubelt, Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Der Sportvorstand des VfB eilte nach dem Schlusspfiff wie von Sinnen zu Christian Gentner, der sich auf den Boden geworfen hatte. Erschöpft, aber glücklich lag der VfB-Kapitän am Samstagnachmittag auf dem Rasen. Reschke nahm Gentners Kopf, mit dem dieser den Führungstreffer (13.) erzielt hatte, und drückte ihn fest an seine Brust. Reschke war erleichtert, überglücklich nach dem Stuttgarter 2:0-Sieg über Werder Bremen, der dem Aufsteiger nun auch mathematisch den sicheren Klassenverbleib in der Fußball-Bundesliga beschert hat. Danach verschwand Reschke auf dem schnellsten Weg in die Kabine. "Er ist schon weg", erzählte später VfB-Präsident Wolfgang Dietrich, "er arbeitet bereits an der nächsten Saison."

Ob der Kaderplaner auf den Flughafen eilte, um sich am Sonntag ein Spiel mit einem Wunschkandidaten anschauen zu können oder er sich sogar noch am Abend mit einem Spieler oder dessen Agenten traf, wollte Dietrich nicht verraten. Aber alle Stuttgarter Protagonisten waren froh, dass das Gerede von den 40 Punkten nun zu Ende ist und sie sich nun mit 42 Punkte in Ruhe der neuen Spielzeit in der Beletage des deutschen Fußballs widmen können. "Dass wir das so früh tun können, ist phänomenal", fügte Dietrich hinzu.

Christian Gentner brauchte nur noch einzunicken

Auch Gentner und seine Mitspieler waren nach dem Sieg, den der eingewechselte Berkay Özcan in der Nachspielzeit nach einem feinen Konter sicherte, hochbeglückt. "Das war ein rundum gelungener Tag für uns, weil im Dezember und Januar noch nicht abzusehen war, dass wir so früh den Klassenverbleib feiern können", befand der 32-Jährige. Er dachte im Moment des Triumphs an die zähe Anfangsphase von Cheftrainer Tayfun Korkut. Ende Januar war der 44-Jährige in Stuttgart mit großer Missgunst von den Fans empfangen worden, die offene Abneigung ging sogar so weit, dass die Anhänger ihn mit schweigendem Protest begegneten, als dieser an seinem ersten Arbeitstag den Trainingsplatz betrat. "Er hat gleich einen guten Draht zur Mannschaft gefunden", lobt Gentner seinen Trainer. Korkut selbst wollte sich nicht zu seiner schwierigen Anfangsphase äußern, "belassen wir es dabei", sagte er einfach. Aber dass ihm das alles nahe ging damals, konnte man daran erkennen, dass er in der Pressekonferenz fast ins Mikrofon schrie, als er zufrieden feststellte: "Unser Ziel ist erreicht."

Gegen Bremen freute er sich zudem über eine ganz ansehnliche erste Hälfte. Dem Führungstor durch Gentner war eine hübsche Kombination vorausgegangen, Dennis Aogo fand Emilio Insua auf der linken Seite, mit einem feinen Haken entledigte sich der Argentinier seines Gegenspielers Jérôme Gondorf und flankte in den Strafraum exakt auf den Kopf von Gentner, der nur noch einzunicken brauchte. "Es war an der Zeit, dass ich mein erstes Saisontor mache", erzählte der Mittelfeldspieler danach. Er habe schon den Druck von Reschke und vom Trainer gespürt, fügte er grinsend hinzu. "Wenn mir kein Tor gelungen wäre, hätte ich vielleicht schon bald als Stammkraft in der Viererkette spielen müssen."

Für beide Mannschaften ging und geht es strenggenommen um nichts mehr

Vielleicht war der 32-Jährige auch deshalb gegen Bremen einer der engagiertesten Profis auf dem Rasen, einer der lauffreudigsten in einem Spiel, in dem bisweilen so wenig Wucht, Dynamik und Aggressivität war wie sonst nur bei einem Feierabendkick im Stuttgarter Schlossgarten. Für beide Mannschaften ging und geht es strenggenommen um nichts mehr, sie stehen im Niemandsland der Tabelle, sie hatten schon vor der Partie zu viel Punkte, um den Klassenverbleib zu verpassen und zu wenig, um noch an Flüge und Hotels für eine Europatournee buchen zu müssen.

Nah dran an einem Treffer in der ersten Hälfte war auch Mario Gomez, der noch immer auf ein Tor in der heimischen Arena seit seiner Rückkehr nach Stuttgart in der Winterpause wartet. Doch das Knie von Milos Veljkovic verhinderte das 2:0 und das siebte Tor von Gomez für den VfB nach einem Drehschuss. Gegrämt hat das den Nationalspieler nicht, er berichtete stattdessen lieber davon, dass das Team "Monster in Takt ist", wie er hervorhob.

In der zweiten Hälfte verteidigten die Stuttgarter mit Glück und Geschick oder wie es Trainer Korkut ausdrückte: "Wir haben uns auf die Defensive konzentriert." Doch in den ersten Minuten nach der Pause übertrieben sie es damit, die Zuschauer hatten sogar den Eindruck, als ob jemand zuvor in der Kabine versehentlich Baldriantropfen in die Getränke gemischt hatte. So schläfrig und ermattetet hatten die Stuttgarter die Partie wieder aufgenommen. Bremen hatte die klareren Torchancen, aber entweder kam noch VfB-Torhüter Ron-Robert Zieler mit seinem Händen an den Ball oder Holger Badstuber brachte schon vor dem letzten Pass noch seinen Fuß dazwischen. Der frühere Bayern-Profi erlebte einen der seltenen Nachmittage, an dem einem alles zu gelingen scheint, keinen Zweikampf verlor der Verteidiger.

Auch um ihn drehen sich die Personalplanungen für die neue Saison, um die sich Reschke nun mit Nachdruck widmet. Der VfB würde mit Badstuber gerne verlängern, aber der 29-Jährige zögert noch mit einer Unterschrift, weil er gerne in der Champions League spielen würde. "Aber Michael", sagt Präsident Dietrich, "weiß genau, wie es geht." Christian Gentner trottete derweil als letzter Stuttgarter aus der Kabine. Ihm war an diesem sommerlichen Apriltrag und nach dem Sieg nicht zum Feiern zumute, wie er gestand, "eher nach einem Becken mit kaltem Wasser, wo ich mich ausruhen kann."

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