Stuttgart im Tabellen-Mittelfeld:Zumindest nach dem Spiel mit Bayern-Taktik

Nach dem 1:2 gegen den FC Bayern schimpfen die Stuttgarter vehement auf Schiedsrichter Manuel Gräfe - und lenken davon ab, dass sie den Bayern in fast allen Belangen unterlegen waren. Der VfB tut sich schwer, das eigene Übergangsjahr zu akzeptieren.

Carsten Eberts, Stuttgart

Ob Stuttgarts Torhüter Sven Ulreich am Tag danach mit seinen Aussagen noch glücklich war? Denn Schiedsrichter-Schelte gehört, nun ja, nicht gerade zu den feinsten Zügen fußballerischer Diplomatie. "Wir haben von der ersten Minute an mit einem Mann weniger gespielt", tönte Ulreich nach dem 1:2 gegen den FC Bayern, "ab der 30. Minute sogar mit zwei Mann weniger." Die Stoßrichtung seiner Worte war klar: Die gelb-rote Karte gegen Christian Molinaro war für ihn unberechtigt. Und Schiedsrichter Manuel Gräfe - der pfiff sowieso für die Bayern.

VfB Stuttgart - Bayern München

Zu schwach gegen den FC Bayern: der Stuttgarter  Martin Harnik.

(Foto: dpa)

Damit befand sich der Keeper in guter Gesellschaft, denn auch die Vereinsführung arbeitete sich an Gräfe ab. "Der Schiri hat sich reinlegen lassen", echauffierte sich Sportdirektor Fredi Bobic über den Platzverweis: "Fußball ist ein Kontaktsport, wir spielen doch kein Hallenhalma." Auch Trainer Bruno Labbadia befand: "Eine klare Fehlentscheidung. Für eine gelb-rote Karte war es definitiv zu hart." Auch wenn Fernsehbilder belegten, dass Molinaros unbedachtes Einsteigen gegen Arjen Robben - trotz anschließender Pirouetten des Niederländers - definitiv gelbwürdig war.

Wenn man so will, waren die Stuttgarter dem Tabellenführer aus München damit wenigstens einmal an diesem Abend ebenbürtig: Nach dem Spiel, als sie meisterhaft die alte Bayern-Taktik anwendeten. Mit Getöse eröffneten sie einen schillernd-blinkenden Nebenkriegsschauplatz, so wie es beim FC Bayern Präsident Uli Hoeneß oder Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge liebend gerne tun. Zuletzt vor einigen Wochen in Hannover, als die Münchner zwar verdient verloren, sich die versammelte Bayern-Welt jedoch über den vermeintlichen Schauspieler Sergio Pinto erregte.

Was Pinto für die Bayern war, war Schiedsrichter Gräfe am Sonntagabend für die Stuttgarter. Sie schimpften, motzten, fühlten sich ungerecht behandelt - und lenkten somit ab: Vom eigenen Spiel, das dem Spiel des FC Bayern nur in den seltensten Fällen ebenbürtig war.

Die Partie zeigte recht deutlich, wo der VfB Stuttgart in der Saison 2011/12 angelangt ist: in der Mittelklasse. Der Klub rangiert zwar auf einem passablen siebten Rang, sieben Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt, jedoch auch vier Punkte vom internationalen Geschäft. Manche mögen sagen "immerhin", schließlich stand der VfB vor genau einem Jahr noch auf einem Abstiegsplatz. Der Anspruch in Stuttgart ist jedoch eigentlich ein anderer.

Dabei begann das Spiel gegen die Bayern gut. Die Stuttgarter gingen früh in Führung, schon in der siebten Spielminute, als Christian Gentner die schlecht koordinierte Bayern-Hintermannschaft mit dem 1:0 bestrafte. Sicherheit gewann der Stuttgarter Vortrag dadurch jedoch nicht: Der VfB ließ den Bayern im Mittelfeld unwahrscheinlich viel Platz - so viel, dass sich Toni Kroos oder Anatolij Timoschtschuk mehrfach verwundert umblickten, wo denn nun der nächste Gegner ist.

Diesmal nur 19 Gegentore

Innerhalb weniger Minuten kam der Rekordmeister zurück, hätte besonders innerhalb der ersten Stunde viel mehr Tore schießen müssen, als jene beiden von Mario Gomez, die letztlich den knappen Sieg sicherten. Dass der VfB gegen Spielende fast noch zum Ausgleich kam, war der Nachlässigkeit der Bayern geschuldet. Nicht gerade dem eigenen, phantasiereichen, druckvollen Spiel.

Das sahen auch manche Stuttgarter Protagonisten so, zumindest jene, die sich nicht länger mit der ärgerlichen gelb-roten Karte aufhalten mochten. "Für uns war es heute unglaublich schwer, zu Chancen zu kommen", erklärte Torschütze Gentner: "Ich glaube, dass die Bayern am Ende ein bisschen zu leichtsinnig geworden sind. Aber das konnten wir nicht ausnutzen." Das klang schon etwas differenzierter, als es sein Torwart Sven Ulreich formulierte.

Überhaupt schätzte Gentner realistisch ein, wo sein Team dieser Tage steht. "Wir haben eine anständige Hinrunde gespielt", sagte Gentner, "man muss auch sehen, wie die letzten beiden Jahre liefen." Zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison stand Stuttgart auf Rang 17, ehe der neue Trainer Bruno Labbadia das Team in der Rückrunde zumindest aus der Abstiegsregion führte. "Wir müssen kleinere Brötchen backen", sagte Gentner. Auch wenn dies in Stuttgart nicht einfach zu vermitteln ist.

Immerhin, das zeigte auch das Spiel gegen die Bayern, hat Labbadia es geschafft, die einst vogelwilde Stuttgarter Abwehr zu disziplinieren. Vor einem Jahr, bei den beiden grotesken Aufeinandertreffen kurz vor Weihnachten mit dem FC Bayern, kassierte der VfB in zwei Spielen elf Gegentore. In dieser Hinrunde musste der VfB bislang nur 19 Gegentore beklagen, was ein anständiger Wert ist.

Zu mehr reicht es noch nicht. Der VfB befindet sich in einem Übergangsjahr, im Kader wimmelt es von betagten Spielern, die die Mannschaft in den meisten Fällen zwar konkurrenzfähig erscheinen lassen: Oben angreifen kann Stuttgart mit dieser Mannschaft jedoch nicht. "Man merkt, dass hier in kurzer Zeit viele Trainer waren", sagte Labbadia kürzlich und wirbt im Umfeld damit um Zeit: "Einen systematisch zusammengestellten Kader kriegt man nicht in einer Transferperiode hin."

Wenn die nächsten Korrekturen anstehen, dürfte sich Labbadia auch der Position des Linksverteidigers widmen. Hier offenbart der Kader noch größere Schwächen. Auch wenn die Stuttgarter Protagonisten die gelb-rote Karte gegen Molinaro heftigst anzweifelten: Es war keine besonders kluge Vorstellung des Italieners gegen Arjen Robben. Schon die erste gelbe Karte war berechtigt, bei der zweiten traf Molinaro zwar den Ball, senste Robben jedoch zeitgleich von hinten um. Innerhalb von sechs Minuten, nahe der Mittellinie, völlig ohne Not.

"Vielleicht hätte er vorsichtiger hingehen sollen", erklärte Abwehrkollege Serdar Tasci nach dem Spiel. Eine Aussage, die zumindest am Sonntagabend mit seiner erbosten Klubführung nicht abgestimmt war. Und mit Torwart Sven Ulreich schon gar nicht.

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