Sturm verliert WM-Kampf:"So ist Boxen, so ist das Leben!"

Felix Sturm v Fedor Chudinov - Super Middle Weight World Championship

Felix Sturm (links) bekommt die Rechte von Fedor Tschudinow zu spüren.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Felix Sturm wollte zum fünften Mal Weltmeister werden. Doch der Kölner enttäuscht und unterliegt im Supermittelgewicht gegen Fedor Tschudinow nach Punkten. Eine Rundenkritik.

Von Saskia Aleythe, Frankfurt

Felix Sturm hat eine Vision: Demnächst mal gegen Arthur Abraham zu kämpfen, diesen anderen Kämpfer aus Deutschland. Das wäre ein Duell, auf das die Nation gewartet hat, darin sind sich beide Boxer einig. Dafür wollte Sturm zunächst den Russen Fedor Tschudinow bezwingen, eine Durchgangsstation sollte das sein - doch am Samstagabend ging das gründlich schief. Sturm verlor gegen den 27-Jährigen nach Punkten und war dabei deutlich unterlegen.

Vor dem Kampf

Die Gemütlichkeit ist zurück: Die Box-Welt dreht sich trotz vermeintlichen Jahrhundertkämpfen in den USA weiter, und das klappt für den deutschen Box-Fan nun auch wieder ohne Weckerstellen.

Felix Sturm hat noch nicht genug vom Fäuste-Schwingen, nun will der 36-Jährige zum fünften Mal Weltmeister werden - das ist noch keinem deutschen Kämpfer vor ihm gelungen. Aber eigentlich auch nur möglich, weil Sturm den Titel auch vier Mal verlor. Und die Box-Organisation WBA eiligst die Titel so zurechtverteilte, dass Sturm am Samstagabend tatsächlich ein richtiger Weltmeister werden kann und nicht nur ein Interims-Weltmeister. Aber wer will's schon so genau nehmen. Sturm jedenfalls verspricht einen "ganz besonderen" Abend gegen den Russen Fedor Tschudinow, "der noch lange in Erinnerung bleiben wird". Die Fallhöhe ist eher bescheiden.

Zwölf Kilogramm hat Sturm mitunter zwischen seinen Kämpfen zugelegt, dieses Mal war die Vorbereitung ein bisschen weniger Plackerei: Da er erstmals im Supermittelgewicht antritt, darf Sturm nun 3,629 Kilogramm mehr auf die Waage bringen. Seit einigen Monaten trainiert er unter neuer Anleitung, Magomed Schaburow heißt der Coach, der verspricht: Er hat Sturm seinen Stil wiedergebracht. Strategisch soll er nun wieder boxen, garniert mit flinken Beinchen. Was zu beweisen wäre.

Gegenüberstellung der Boxer

Ein ordentlicher Punch und Nehmerqualitäten - Fedor Tschudinow hat alles, was Felix Sturm haben wollte, bevor er gemerkt hat, dass er Felix Sturm ist. Und ihn eigentlich andere Fähigkeiten auszeichnen. Der Russe ist mit 27 Jahren noch ein Jüngling im Geschäft, hat zwölf Profikämpfe bestritten und gewonnen - zehn davon per Knockout. Sein letzter Gegner lag nach dem finalen Schlag minutenlang benommen im Ring und musste später ins Krankenhaus. Auch dass er einst in Amerika trainierte, um sich die nötige Kampfhärte anzueignen, sollte Sturm zu denken geben. Der Mann kann definitiv zuschlagen.

Sturm selbst soll vor allem von seiner Erfahrung profitieren: 46 Profikämpfe hat er schon bestritten, 39 davon gewonnen. Mit 1,83 Meter ist er mit seinem Gegner exakt auf Augenhöhe, technisch will er ihm allerdings die Finessen des Boxsports vorführen. "Der 9. Mai wird ein historisches Datum", sagt Felix Sturm. Die Fallhöhe steigt wieder.

Neben dem Ring

Cameron Diaz, Paris Hilton, Robert De Niro - an prominenten Gästen fehlte es Floyd Mayweather vor einer Woche in Las Vegas nicht. Frankfurt am Main hat: Gina-Lisa Lohfink. Und Arthur Abraham, der als Einverleibter der neuen Sat-1-Boxfamilie zwar irgendwie zum Kommen gezwungen war, aber sich immerhin freiwillig im feinen Zwirn präsentierte. "Ich wünsche ihm, dass er heute gewinnt", sagte Abraham vor dem Kampf über Felix Sturm. Die beiden wollen schließlich bald gegeneinander in den Ring steigen.

Einmarsch der Boxer

Pfeifen haben die Box-Zuschauer in Frankfurt lange geübt - als Fedor Tschudinow in die Festhalle kommt, gibt es ordentlich Lärm, auch Buhrufe muss der Russe verkraften. Immerhin hat er sich eine kleine Scheinwerfer-Show gegönnt, die Lichtstrahlen wirbeln durch die Halle, dass man den 27-Jährigen erstmal suchen muss. Er trägt schwarzes T-Shirt und Weste, hüpfelt auf und ab. Das ist höchstens angsteinflößender als Gina-Lisa Lohfink.

Dann darf Felix Sturm zum Ring marschieren, Unterstützung vom Publikum wird er heute keine vermissen. Lautes Jubeln, Schreien, Pfeifen - das geht auch positiv. Sturm hat die schwarze Weste mit Kapuze gewählt, dazu ein Stirnband, auch er springt zum Ring. Gerade noch rechtzeitig flutscht er durch die Seile, da beginnen auch schon die Nationalhymnen. Sturm kann kaum still halten.

Vorstellung der Boxer durch den Ringsprecher

Frankfurt ist nicht Las Vegas, Felix Sturm nicht Floyd Mayweather - und der Mann am Mikrofon nicht Michael Buffer. Ein älterer Herr mit hellem Haupthaar stellt die Boxer vor, ein formschönes "It's Showtime" presst er durch die Lippen. Zeigt durchaus Talent, der Mann. Lohfink blinzelt neidisch rüber.

Runde 1

Lange soll der Abend heute nicht dauern, wenn es nach den Boxern geht: Sturm und Tschudinow attackieren sich gleich, erst sanft, dann härter. Sturm rutschen immer wieder die Jabs des Russen durch, der kann auch mal links und rechts ausholen, Sturm setzt dagegen einen linken Schwinger über den Kopf seines Gegners. Der muss zum Ende zwar auch einen Haken verkraften, kann aber erstmals seine gefürchtete Rechte auspacken. Eins wird klar: Leicht wird das für Sturm heute nicht.

Runde 2

Zwei Fäuste sind nicht automatisch eine Deckung: Sturm lässt immer wieder die Linke von Tschudinow durchflutschen. Der Russe lässt die Fäuste fliegen, allerdings eher in Stupser-Manier. Sturm ist zwar explosiver, das aber zu selten - und Tschudinow noch flink im Ausweichen.

Runde 3

Die ersten Sekunden einer Runde gehören bisher nicht Felix Sturm - er ist deutlich passiver, kommt aber ab der Hälfte aus seiner Deckung heraus. Sturm gelingen ein paar knackige Treffer, doch Tschudinow fordert ihn ordentlich.

Runde 4

Auch Abtauchen will gelernt sein. Sturm reagiert mit dem Kopf und Oberkörper in der Deckung oft schneller als mit den Händen. Aber er kassiert häufige Kopftreffer, sein Gegner muss nur den ein oder anderen Haken hinnehmen - und er wirkt noch deutlich fitter als sein Gegenüber. Macht sich hier das Alter bemerkbar?

Runde 5

Sturm macht wieder mehr, aber Tschudinow kostet das nur ein müdes Kopfzucken. Der Russe hat sich anscheinend auf die flotte Linke eingestellt und hat keine Probleme mehr, ihr auszuweichen. Er selber kommt oft durch, doch ohne Kraft hinter den Schlägen. Am Rundenende kommt es zum ersten richtigen Infight, in der Sturm Treffer setzen kann. Tschudinow staunt kurz.

Runde 6

Vielleicht ist auch ein guter Fechter an Felix Sturm verloren gegangen - mit der Linken stürmt er voran, später setzt es auch ein paar Haken an die Backen von Tschudinow. Sturms aktivste Runde bisher. Doch sein Gegner hat gar keine Lust, müde zu werden. Die Haken am Ende steckt er noch gelassen ein.

Runde 7

Felix Sturm brauchte wohl erst ein paar Runden, um hier in den Kampf zu kommen: Er macht jetzt deutlich mehr, zieht die Fäuste immer wieder über den Scheitel des Russens. Seine eigene Deckung leidet darunter allerdings: Immer wieder kommt Tschudinow mit seinem Jab durch, auch einen linken Haken setzt er Sturm nebens Ohr. Wann packt er seinen Hammer aus? Ist der vielleicht doch nur ein Hämmerchen?

Runde 8

Kopf, Kopf, Bauch, Kopf - Tschudinow stubst weiter an Sturm herum. Der läuft durch den Ring und hält die Arme oben, mehr gibt es nicht zu sehen. Am Ende muss er sogar noch einen Kopftreffer einstecken. Eine Runde wie eine Ruhepause.

Runde 9

Apropos Ruhepause: Die braucht Sturm wohl alle Runden mal. Nun fegt er wieder aggressiv durch den Ring, doch viel kommt dabei nicht herum. Und seine Drangphase hält auch nur ein paar Sekunden, dann überkommt ihm wieder die Frühjahrsmüdigkeit. Am Ende torkelt er sogar rückwärts in die Ringseile, Tschudinow hat ihn am Kopf getroffen. Sieht aber mehr nach Gleichgewichtsproblemen als nach Knockout aus.

Runde 10

Wie Sturm den Schreckmoment überwindet? Gut jedenfalls nicht. Tschudinow drischt wie aufgezogen auf ihn ein, kann ihn nach Belieben bearbeiten. Zwischenzeitlich kommt auch Sturm nochmal durch mit der Linken, doch die Halle tobt nun eindeutig für den Russen. Der verliert vor Schreck gleich seinen Mundschutz, ein Teammitglied fischt einen neuen aus der Jackentasche, dann kann es weitergehen. Sturm kann kurz durchschnaufen.

Runde 11

Das Publikum glaubt hier noch einen Knockout - doch auch wenn Tschudinow viel schlägt, dolle ist das nicht. Die Russen singen schon auf den Rängen, Felix Sturm ist zum Felsen erstarrt. Er wandert nur noch gemächlich durch den Ring und lässt Tschudinow die Arbeit machen. Moral zeigt er schon, nur kämpfen kann er gerade kaum.

Runde 12

Tschudinow hat Sturm sichtbar geknackt, er reagiert auf fast jeden Angriff mit der richtigen Antwort. Sturm versucht es nochmal mit dem Austeilen, aber er wird froh sein, wenn die Ringglocke schrillt. Kurz davor gibt es nochmal einen Infight, den der Russe mit eigenen Treffern für sich entscheidet.

Nach dem Kampf

Das russische Team hüpft in den Ring und trägt Tschudinow durch die Gegend - an seinem Sieg zweifelt hier nicht mal Felix Sturm. Der wandert mit hängendem Kopf zwischen den Seilen hin und her. Immerhin ein Punktrichter entscheidet für ihn, die anderen für Tschudinow - er sitzt nun auf den Schultern seiner Betreuer, über ihm die russische Fahne. Sturm wirkt sichtlich mitgenommen, würdigt seinen Bezwinger aber als großen Gegner. "So ist Boxen, so ist das Leben", sagt Sturm noch, "wenn man zu viel will, wird das schwer". Die Fallhöhe eines historischen Abends war dann wohl doch zu groß.

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