Sturm-Probleme im DFB-Team:Inkonsequent im letzten Drittel

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Glücklos gegen die Färöer: Miroslav Klose. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Beim etwas zu knappen Sieg gegen die Färöer lässt die deutsche Nationalelf zum wiederholten Mal die letzte Konsequenz im gegnerischen Strafraum vermissen. Aus der Defensiv-Debatte ist plötzlich eine Offensiv-Debatte geworden.

Von Boris Herrmann, Tórshavn

Im deutschen Fußball wird inzwischen Englisch gesprochen. Zumindest dann, wenn sich der rasant anwachsende Arsenal-Block am Diskurs beteiligt. "Get well soon, mate" (etwa: Werd' schnell gesund, Kumpel) teilte der Innenverteidiger Per Mertesacker am Dienstagabend seinem verletzten Vereinskollegen Lukas Podolski via Smartphone mit. Die Genesungswünsche aus Torshavn garnierte er mit der frohen Kunde: "A new goalgetter is born."

Ob tatsächlich eine neue Tormaschine geboren wurde bei diesem 3:0 der deutschen Mannschaft auf den Färöern, kann von unabhängiger Seite allerdings noch nicht abschließend bewertet werden. Richtig ist, dass Mertesacker, 28, in seinem 93. Länderspiel seinen dritten Treffer erzielt hatte, und dass es sich, wenn überhaupt, um eine veritable Spätgeburt handeln müsste. Richtig ist auch: Auf einen anderen Goalgetter kann sich Mertesacker an diesem Abend nicht bezogen haben. Es war weit und breit keiner zu sehen.

Podolski hatte diese Länderspielreise, wie gesagt, gar nicht angetreten. Mario Gomez war nach offiziellen Angaben zwar dabei, gesichtet hat ihn aber kaum einer. In den beiden Partien gegen Österreich und Färöer spielte er insgesamt null Minuten und null Sekunden. Auch Miroslav Klose stellte in Torshavn mal ausnahmsweise keinen neuen Torrekord auf. Und dann war da noch Max Kruse, der neue Goalgetter von Borussia Mönchengladbach. Nachdem ihn Bundestrainer Joachim Löw kurz vor Schluss eingewechselt hatte, fügte sich Kruse in seinem Pflichtländerspiel-Debüt zwar mit einem beherzten Torschussversuch ein. Dessen Ergebnis aber war, dass hinterher ein offizieller Spielball auf einer Schafswiese in Stadionnähe lag.

DFB-Sieg gegen die Färöer
:Joachim Löw hat die Null gesehen

Österreich und die Färöer gehören nicht gerade zu den Größten im Weltfußball. Doch das zweite 3:0 binnen weniger Tage hat die Debatte um die deutsche Defensive abgeschwächt. Auch wenn die Qualifikation für die WM 2014 fast geschafft ist: Über seine Zukunft als DFB-Coach will Löw erst im Oktober reden.

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Selbst der stolze Aushilfs-Torjäger Mertesacker musste deshalb also selbstkritisch einräumen: "In den entscheidenden Momenten haben wir im Angriff nicht so konsequent gespielt, das müssen wir noch besser machen." Mit diesem Befund dürfte er seinen frisch erlangten Klassensprecher-Status beim DFB weiter gefestigt haben, denn er entsprach nahezu wortgleich dem Urteil seines Klassenlehrers. "Wir müssen unser Spiel im letzten Drittel noch verbessern", ließ Joachim Löw wissen. Auch dem Bundestrainer fehlte "bei der finalen Aktion" die "letzte Konsequenz". Sein Fazit: "Beim letzten Pass und beim Abschluss müssen wir uns verbessern."

Es gab allerdings auch einen feinen Unterschied zwischen den Aussagen des Bundestrainers und jenen seines Lieblingsschülers. Mertesacker bezog sich einzig und allein auf dieses etwas mühselige Spiel gegen aufopferungsvoll verteidigende Färinger. Löw erkennt offenbar ein grundsätzlicheres Problem. Er sagte: "In den letzten Monaten hat man gesehen, dass wir zu viele Chancen brauchen." So schnell kann es gehen in dieser Fußballwelt: Vor knapp einer Woche wurde bei der Nationalmannschaft noch vorwiegend darüber diskutiert, wie das notorisch fehlerhafte Defensivverhalten verbessert werden könnte.

Nach zwei Spielen hintereinander ohne deutsches Gegentor hat sich plötzlich aber auch bei Oliver Bierhoff der Blick fürs Wesentliche verschoben. "Wir haben den Ball oft gut laufen lassen, aber oft auch den Druck im Strafraum vermissen lassen", sagte der Teammanager. Wenn also eine Erkenntnis zurückbleibt von diesem Doppelspieltag, dann wohl die, dass übers verlängerte Wochenende die Problemzone von hinten nach vorne gewandert ist. Vom ersten ins letzte Drittel, um mit Löw zu sprechen. Die sogenannte Gegentor-Debatte ist plötzlich eine Tor-Debatte.

Als am Ende des Färöer-Spiels doch noch so etwas wie eine Zielorientierung auszumachen war, zeichnete dafür vor allem der lange Zeit erstaunlich desorientierte Thomas Müller verantwortlich. Der Münchner holte jenen Elfmeter heraus, den Mesut Özil verwandelte (74.). Und er war schließlich auch der einzige deutsche Offensivspieler, dem aus dem Spiel heraus ein Tor gelang (84.).

Müller hatte selbstverständlich seine eigene Theorie, weshalb er und seine Kollegen im letzten Drittel über weite Strecken so zahm wie färöische Lämmchen wirkten. "Wenn die Schafe am Hotelzimmer vorbeigehen, hat das auch was Beruhigendes", meinte er. Vielleicht sind die deutschen Angreifer beim Schäfchenzählen tatsächlich in einen leichten Dämmerschlaf gefallen. Beruhigend wäre daran vor allem, dass es in Brasilien nicht so viele Schafe gibt.

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:Mit Fels und Lachs

Thomas Müller ärgert sich erst fürchterlich und ist dann unentbehrlich, Per Mertesacker gibt sich als Kommunikationsexperte. Sami Khedira spielt so träge, als hätte er zu viel Lachs gegessen. Die DFB-Elf beim 3:0 gegen die Färöer in der Einzelkritik.

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Voll und ganz beunruhigend war die Reise nach Torshavn dagegen für Mario Gomez. Er verschwand am Dienstag im Torsvollur-Stadion kommentarlos durch die Hintertür. Selbst Max Kruse hatte ja "nicht unbedingt damit gerechnet", dass er zwölf Minuten vor dem Ende für den ermatteten Klose eingewechselt werden würde, während sein wesentlich erfahrenerer Kollege vom AC Florenz draußen bleiben musste. Joachim Löw ließ diesbezüglich wissen: "Auf Kunstrasen wollte ich Max Kruse einmal die Möglichkeit geben, sich zu zeigen, weil er im Training sehr ballsicher und bewegungsfreudig war." Das spricht nicht unbedingt für die Bewegungsfreude und Ballsicherheit von Gomez. Dessen Plan, durch den Wechsel nach Italien seine Rolle im Nationalteam aufzuwerten, hat sich bislang jedenfalls nicht erfüllt.

"Natürlich zähle ich auf Mario", betonte Löw ausdrücklich. Solcherlei Lob hatte sich zuletzt auch Innenverteidiger Hummels anhören dürfen ("Natürlich setzte ich auf Mats"). Der Dortmunder Abwehrspieler kam in den vergangenen beiden Spielen aber genausowenig zum Einsatz wie Gomez. Das muss noch keine Grundsatzentscheidung für die Weltmeisterschaft sein, für die sich die DFB-Auswahl nun Mitte Oktober beim Heimspiel gegen Irland in Köln endgültig qualifizieren kann. Falls die Tor-Debatte aber bis dahin aktuell bleibt, könnte es durchaus passieren, dass sich Löw noch einmal ein paar grundsätzliche Gedanken macht, mit welchen echten oder falschen Neunern er nach Brasilien reist. Zumal dann, wenn die Kruses, die Nicolai Müllers, die Vollands oder vielleicht sogar die Kießlings sich bei ihren Bundesligaklubs im letzten Drittel weiterhin so zielorientiert zeigen wie bisher.

Eine gute Nachricht gibt es aber für Gomez: Per Mertesacker, so viel lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit prognostizieren, wird trotz seiner neu entdeckten Torjäger-Qualitäten in Brasilien im hinteren Drittel gebraucht.

© SZ vom 12.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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