Stürmer-Routiniers in der Bundesliga:Kuranyi träumt von Pizarros Aura

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Licht und Schatten: Claudio Pizarro (links) bei Bremen, Kevin Kuranyi in Hoffenheim. (Foto: Collage dpa)
  • Gegen die TSG Hoffenheim kommt Claudio Pizarro spät ins Spiel - und dreht die Partie.
  • Bei den Hoffenheimern kann Kevin Kuranyi von einer solchen Rolle nur träumen.
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Von Tobias Schächter, Sinsheim

Manchmal braucht es nur eine Aktion, um die Hoffnungen von Fußballfans auf bessere Zeiten zu wecken. Der Stürmer Claudio Pizarro wurde am Sonntagabend im Spiel des SV Werder Bremen bei der TSG Hoffenheim von Trainer Viktor Skripnik in einem kalkulierten Anfall von Mut zehn Minuten vor dem Abpfiff für den Mittelfeldspieler Garcia eingewechselt. Es stand 1:1, und eigentlich schien Hoffenheim dem Sieg näher zu sein.

Doch Pizarro tat dann das, was alle Bremer sich seit seiner Verpflichtung vor ein paar Tagen erhofft hatten: Bei einem der letzten Konter setzte er sich irgendwie gegen die TSG-Abwehrspieler Kim und Süle durch, passte im Stolpern mit dem rechten Außenrist zu Anthony Ujah - und der grätschte die Kugel aus fünf Metern über die Linie. Es war das 2:1 für Werder in der zweiten Minute der Nachspielzeit, Zlatko Junuzović schaffte in der irren Schlussphase mit seinem zweiten Treffer sogar noch das 3:1. Bremen feierte den zweiten Sieg in Serie und ein beachtliches Debüt von Rückkehrer Claudio Pizarro, der von den Fans entsprechend gefeiert wurde.

Pizarro ist das Symbol der Hoffnung

Heldengeschichten sind der Treibstoff des Sports, sie stiften Identifikation. Pizarro verkörpert für Werder-Fans die Hoffnung auf bessere Zeiten. Und da der stürmende Schlawiner aus Peru genau weiß, was die Anhänger gerne hören, sagte er nach seinem Comeback: "Vielleicht qualifizieren wir uns ja für den Uefa Cup."

Pizarro hat in Hoffenheim genau jene Euphorie genährt, die sie in Bremen mit seiner Verpflichtung wecken wollten. Erstens: Er treibt den internen Konkurrenzkampf an und bringt mehr Unberechenbarkeit ins Offensivspiel. In Ujah, Aron Johannsson und dem "berühmten Mann" (Trainer Skripnik über Pizarro) verfügen die Bremer nun über drei starke Stürmer. Zweitens: Die Mitspieler gewinnen durch die Präsenz der "Legende" (Mitspieler und Fan Ujah) an Selbstvertrauen.

Innenverteidiger Jannik Verstergaard bestätigte: "Uns hat seine Einwechslung Schwung gegeben. Wir haben wieder daran geglaubt, gewinnen zu können." Drittens: Mit Pizarro wächst der Respekt der Konkurrenz vor Werder. Manager Thomas Eichin sagt: "Wenn Pizarro kommt, weiß der Gegner, dass Gefahr im Strafraum droht." Und viertens: Die Fans reagieren euphorisch.

Genau diese Hoffnungen verbinden sie in Hoffenheim übrigens mit der Verpflichtung von Kevin Kuranyi, dem zweiten Mittelstürmer-Routinier, den diese Transferperiode wieder auf die Bundesliga- Bühne gehievt hat. Aber Kuranyi ist von einer Rolle wie Pizarro sie in Bremen schon nach zehn Minuten auf dem Platz spielt, noch weit entfernt. Am Sonntag waren sogar Reporter aus Russland in Sinsheim, aber sie konnten keine Heldengeschichten in die Heimat übermitteln.

Kuranyi verbrachte die letzten fünf Jahre bei Dinamo Moskau, bislang konnte er jene Skeptiker nicht widerlegen, die glauben, er sei dem Tempo im deutschen Hochgeschwindigkeitsfußball nicht mehr gewachsen. Der 33-Jährige wirkte auch bei seinem vierten Startelf-Einsatz zwar bemüht, aber immer noch bindungslos und nicht spritzig genug. Erst nach seiner Auswechslung in der Halbzeit gewannen die Bemühungen der TSG an Wucht.

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Hoffenheimer Spiel wirkt antik

Seit vielen Monaten wirkt das Spiel der Hoffenheimer zudem wie ein unproduktives Bolzplatz-Kick-&-Rush altenglischer Art. Die Spieler hetzen sich mit hohen Bällen weit nach vorne selbst über den Platz und reiben sich dann in Zweikämpfen auf. "Wir müssen zu viel investieren, um Tore zu erzielen - und hinten raus fehlt uns dann die Kraft", konstatiert Kapitän Pirmin Schwegler. An mangelnder Kraft sei man gegen Bremen nicht gescheitert, meinte TSG-Trainer Markus Gisdol. Er will nun den Weg "kleiner Schritte" gehen, sagt er etwas ratlos. Symptome wie am Sonntag waren ja auch vergangene Saison schon zu beobachten gewesen, weshalb Grundsatzfragen unabhängig vom Personalwechsel im Angriff (Firmino, Schipplock, Modeste gingen, Szalai stand bislang nicht im Kader, Uth, Kuranyi und Vargas kamen) nicht mehr lange ungestellt bleiben werden.

In der vergangenen Runde brachten die ständigen Wechsel im Angriff Unruhe in die Mannschaft. Wenn Kevin Kuranyi nicht aufpasst, ist er seinen Stammplatz in der Anfangself bald los. Er braucht den einen, befreienden Moment genauso dringend wie die ganze Mannschaft und ihr Trainer. Leicht wird das nicht, vielen Spielern und auch Kuranyi fehlt derzeit jene Leichtigkeit, die Claudio Pizarro in jeder Situation so selbstverständlich ausstrahlt wie kaum ein anderer Profi.

Am Sonntag rang er nach seinem zehn Minuten kurzen Auftritt anschließend vor den TV-Kameras nach Luft, als hätte er gerade eine Anden-Überquerung hinter sich. Und dennoch sagte er lachend: "Ich habe gedacht, dass ich mehr spiele."

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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