Stürmer im DFB-Team:Löw sucht die Rampensau

EM-Qualifikation - Deutschland - Georgien

Höchst unglücklich gegen Georgien: Marco Reus (links) und André Schürrle.

(Foto: dpa)

Von Christof Kneer, Leipzig

Seit dem Rücktritt von Marcell Jansen ist André Schürrle in dieser Disziplin konkurrenzlos. Bei der Nationalhymne singt er so eifrig und laut, dass ihn der Fernsehzuschauer vermutlich auch hören würde, wenn er den Ton abstellt. Schürrle gibt sich wahnsinnig Mühe bei allem was er macht, er spielt so Fußball, wie er singt. Wenn er gut bei Stimme ist, kann das reichen, um im WM-Finale die Flanke zum Siegtor zu schlagen; wenn er in nicht so guter Verfassung ist, sehen seine Versuche eher rührend als Erfolg versprechend aus.

Im Moment ist der Künstler indisponiert, auf seiner heimatlichen Bühne in Wolfsburg ist er zurzeit nur die zweite Besetzung. Der große Dirigent Joachim Löw ist aber ausdrücklich der Meinung, dass auch gehemmte Künstler Vertrauen brauchen, er hat Schürrle am Sonntagabend auf die größte Bühne geschickt, die er finden konnte. Im entscheidenden EM-Qualifikationsspiel schickte der Trainer den Angreifer in die Sturmspitze - auf jene Position, die den Deutschen jahrzehntelang immer heilig war.

Müller ist Löws Problemfall

Seit Miroslav Klose diese Position vor einem Jahr räumte, müssen die Deutschen aber sehr tapfer sein. Sie haben im Moment keinen Helden mehr, der sich ganz vorne an der Rampe wirklich wohl fühlt, in Ermangelung echter Spezialisten musste zuletzt der kleine Mario Götze die Rampensau geben - mit gutem Erfolg im Übrigen, wenn auch mit völlig anderem Profil als die Helden von früher.

Nach Götzes schwerer Adduktorenverletzung aus dem Irland-Spiel hatte Joachim Löw also nur noch eine minimale Auswahl: Sollte er den formlosen Schürrle vorne rein stellen, wie in 60 erfolglosen Minuten in Irland? Sollte er Max Kruse bringen, der anders als Schürrle in Wolfsburg zur Erstbesetzung zählt? Oder würde es nicht am meisten Sinn ergeben, einem neuen Flügelspieler wie Karim Bellarabi zu vertrauen und dafür den Flügelspieler Thomas Müller ins Zentrum zu schicken?

Im Grunde ist Thomas Müller Löws Problem. Die speziellen Fähigkeiten dieses kauzigen Spielers sind so überlebenswichtig für diese ansonsten sehr unkauzige Elf, dass Löw ihn eigentlich auf mehreren Positionen gleichzeitig einsetzen müsste. Es braucht Müllers anarchische Momente, um Löws Künstlerkolonie unberechenbarer zu machen, und Löw hat - eigentlich - Recht, wenn er Müller nicht als Mittelstürmer aufstellt. Es hemmt Müller in seinem schrägen Bewegungsdrang, wenn er im Strafraum seine Position halten muss, er mag es lieber, wenn er sich vom Flügel aus seine geheimen Wege suchen darf. Uneigentlich trifft aber auch das Gegenteil zu: Wenn Deutschland Tore braucht, ist Müller im Zentrum unersetzlich - mit jeder bemühten, aber unglücklichen Aktion, die sich Schürrle gegen Georgien leistete, vermisste man Müller in der Mitte mehr.

Reus lässt 17 Großchancen aus

Es gehört zur Faszination dieses Spiels, dass sich nachher alles behaupten lässt. Aber wer in seinem Leben schon zwei bis fünf Spiele von Thomas Müller im Stadion erlebt hat, der hätte ihm schon zugetraut, dass er eine jener 17 Großchancen verwandelt hätte, die Marco Reus ausließ. Es sind Spieler wie Reus, die dem Weltmeisterland eine längst überwunden geglaubte Debatte beschert haben:

Braucht man doch einen echten Mittelstürmer - und wenn, dann wen? Muss Oliver Bierhoff wieder anfangen, oder zumindest Miroslav Klose? Was ist mit Mario Gomez? Der (vor allem von sich selbst) anerkannte Fußballexperte Jens Lehmann hat bereits den 32 Jahre alten Zopfträger Alex Meier ins Gespräch hat, der von den tausend Stilmitteln des Fußballs vor allem eines beherrscht, nämlich den Schuss mit der Innenseite; aber den kann er so gut, dass es zuletzt zum Ligaschützenkönig gereicht hat.

Diese Elf braucht Schärfe im Strafraum

Natürlich wird Löw weder Meier einladen noch Bierhoff reaktivieren, aber er hat nun schon zum zweiten Mal binnen vier Tagen erleben müssen, wie sich seine Offensive vorübergehend selbst aus dem Spiel geschossen hat. Auch der am Anfang gefährliche Müller ist diesem Spiel immer mehr abhanden gekommen; je nervöser die DFB-Elf, desto schlampiger und frustrierter wurde sein Spiel. Allerdings ist der Kerl auch an einem solchen Tag immer noch cool genug, um in schrulligem Müller-Style einen Elfmeter zu verwandeln.

76 Minuten hat Löw den bedauernswerten Schürrle vorne auf der Rampe herumirren lassen, bevor er Kruse brachte, der nur drei Minuten brauchte, um müllermäßig zwischen den Verteidigungslinien aufzukreuzen und ein Tor zu erzielen. Das dürfte Löw gelernt haben aus diesem Spiel: Diese Elf braucht Schärfe im Strafraum, um ihre Qualitäten zur Geltung zu bringen, und es hilft der Elf nicht, wenn Löw einen Stürmer aufstellt, der im Moment nur die falschen Töne trifft.

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