Studie "Doping in Deutschland":Kontrolleure sollen selbst manipuliert haben

Manfred Donike

Dr. Manfred Donike (1933-1995) war über viele Jahre der oberste Dopingfahnder Westdeutschlands (hier in seinem Kölner Labor auf einem Archivbild aus dem Jahr 1994)

(Foto: dpa)

Ein besonders spannendes Kapitel der Studie "Doping in Deutschland" beleuchtet die Frage: Wie ernst war es den Kontrolleuren mit dem Kontrollieren? Dabei verstärkt sich der Verdacht, dass Mediziner in der alten BRD selbst Teil des Systems waren.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Als zu Wochenbeginn die große Debatte über die Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland losbrach, hat sich auch die Nationale Anti- Doping-Agentur (Nada) zu Wort gemeldet. Er wünsche sich die Namensnennung der beteiligten Ärzte und Betreuer, sagte Vorstand Lars Mortsiefer, und eine Veröffentlichung der ausführlichen Studienversion: "Um ein Gesamtbild zu zeichnen, muss ich sicherlich auch die gesamte Möglichkeit haben, alles zu bewerten."

Doch dieses Gesamtbild, es betrifft nicht nur dopende Sportler, doping- forschende Sportmediziner und dopingduldende bis dopingfördernde Vertreter aus der Politik und der Sportfunktionärskaste. Sondern auch den Arbeitsbereich von Mortsiefer und der Nada: die Analytik und das Kontrollsystem. Denn die Studie verstärkt alte Zweifel, wie ernst es den Kontrolleuren zu BRD-Zeiten mit dem Kontrollieren wirklich war - und dient zudem dazu, Fragen zur künftigen Struktur des Anti-Doping-Kampfes abzuleiten.

Im Zentrum dieses Aspektes steht der 1995 verstorbene Manfred Donike - seines Zeichens über viele Jahre der oberste Dopingfahnder Westdeutschlands, der hartnäckig auf die Einführung von Trainingskontrollen drängte. Sein einst äußerst positives Bild hat schon lange Kratzer bekommen. Zu aktiven Zeiten als Radsportler trug er den Spitznamen "Kanüle". Donike war lange Jahre eng befreundet mit dem Freiburger Joseph Keul, einer Zentralfigur der westdeutschen Dopingforschung.

Zudem unterhielt er enge Kontakte zum DDR-Funktionär Manfred Höppner. Diesem unterstand das Labor in Kreischa, das über systematische Ausreisekontrollen verhinderte, dass DDR-Athleten bei Wettkämpfen außerhalb des Landes als Doper aufflogen. Schon 1977 warf der Leichtathletik-Funktionär Horst Klehr, ein entschiedener Dopinggegner, Donike vor, Tests zu manipulieren. 14 Jahre später sah er sich in seinem Verdacht bestätigt, als er Donike manipulierte Proben unterschob, Positivfunde aber ausblieben.

In der Studie finden sich nun Stellen, die dieses fragwürdige Bild weiter präzisieren. So geht es zum Beispiel um den Fall eines Radsportlers kurz vor den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles. Nach einem Sturz hatte er von einem Arzt das Dopingmittel Primabolan erhalten, und es wurde befürchtet, dass die Substanz bis zum Wettkampf nicht mehr vollständig würde abgebaut werden können. Also wurde der Urin des Athleten aus den USA nach Köln geflogen, um ihn untersuchen zu lassen. Ein Zeitzeuge sagt: "Wir haben die Probe einfach nicht negativ gekriegt." Gemäß der Studie war diese Art von "Vorkontrollen" zumindest im Radsport kein Einzelfall.

Ungereimtheiten im Fall Ben Johnson

Ein weiterer Punkt betrifft die Zeit von Donikes größtem Triumph: die Entlarvung von Ben Johnson bei Olympia 1988, als der kanadische Sprinter wegen Stanozolol disqualifiziert wurde. Diverse Zeitzeugen, so die Forscher, hätten berichtet, dass Donike damals vorgeworfen worden sei, er habe im Gegenzug für die Johnson-Enthüllung andere positive Dopingtests zurückgehalten, um seinem Auftraggeber, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), nicht noch mehr Schaden zuzufügen.

Eine Formulierung ist besonders heftig: "Was ich so mitbekommen habe, hat wahrscheinlich der Donike ihm was reingetan. Denn das, was da drin war, hat der nie genommen." Es ist eine nicht weiter belegte Aussage; aber sie deckt sich zumindest mit den ewigen Beteuerungen von Ben Johnson, nach denen es zwar sein Urin gewesen sei und er auch tatsächlich gedopt habe - aber nicht mit Stanozolol.

Noch ein anderes Mal soll Donike getrickst haben. Ende der Achtzigerjahre führten Freiburg und andere Standorte die umfängliche Studie zu "Regeneration und Testosteron" durch. Dabei kam es zu einem Widerspruch: Während Keul mitteilte, die Urine seien codiert gewesen, erklärte Donike 1991 dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), sie seien nicht codiert gewesen. Für die Forscher ist dieser Punkt "von allergrößter Bedeutung", denn nach Aussagen von Zeitzeugen habe Donike eine positive Testosteronprobe eines hochdekorierten Sportlers, der in dieser Zeit positiv getestet worden war, in die Proben der Testosteronstudie eingereiht und so versteckt. Üblicherweise sind die Urine in solchen Fällen codiert. Harte Belege fehlen aber auch für diese Behauptung.

Dazu kommen weitere Vorwürfe; so soll Donike moderne Geräte unter der Hand nach Moskau verkauft haben, was er aber noch zu Lebzeiten bestritt. Die Forscher kommen gleichwohl zu dem Schluss, es gebe "eine Reihe von Indizien, welche die Konspirationsthese von einer engen Symbiose zwischen Sportmedizin, Sportverbänden, BISp und Dopinganalytik" stütze.

Daneben war angesichts von Donikes Sonderstellung schon früh gefragt worden, wer denn eigentlich die Kontrolleure kontrolliere - und warum die Tests nicht eine unabhängige Einrichtung übernehme. Dieser Gedanke spiegelt dabei auch die Defizite des heutigen Kontrollsystems. Denn Unabhängigkeit ist bei den Sportkontrollen bis heute konsequent ein Fremdwort. Agenturen wie die Nada hängen existenziell am Tropf von Sport und Politik.

Andernorts gerieten über die Jahre gar zahlreiche Kontrolllabore, von Russland über Österreich, Spanien bis Brasilien, aufgrund merkwürdiger Vorgänge in Misskredit; manche wurden gar von der Welt-Anti-Doping-Agentur suspendiert. Auch deshalb dürfte ein Vorschlag von Clemens Prokop, Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, in die richtige Richtung weisen. Er forderte, dass im Aufsichtsrat der Nada künftig keine Vertreter des organisierten Sports sitzen sollen: "Es wäre ein Zeichen der Glaubwürdigkeit, jeden Anschein zu vermeiden, dass der Sport Einfluss auf die Doping-Kontrollen nehmen könnte."

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