Streif-Sieger Sepp Ferstl:"Hier geht es nur ums Überleben"

Streif-Sieger Sepp Ferstl: Zwei Siege auf der Streif: Josef "Sepp" Ferstl war Ende der siebziger Jahre einer der herausragenden Abfahrtsläufer.

Zwei Siege auf der Streif: Josef "Sepp" Ferstl war Ende der siebziger Jahre einer der herausragenden Abfahrtsläufer.

(Foto: imago sportfotodienst)

Als er das erste Mal oben stand, traute Sepp Ferstl sich fast nicht hinunter. Dann gewann er als bislang einziger deutscher Skifahrer zweimal das gefährlichste Abfahrtsrennen der Welt in Kitzbühel. Inzwischen stürzt sich sein Sohn hinab.

Von Matthias Schmid

Natürlich hat auch Sepp Ferstl schon lange am Lift gewartet, bis endlich die eine Gondel kam, seine Gondel. An der Talstation der Hahnenkammbahn in Kitzbühel kann es ab und an passieren, dass Skifahrer sich gedulden müssen, weil ihr Nebenmann partout nicht in die nächste freie Gondel einsteigen möchte. Nirgendwo sonst gibt es eine Seilbahn mit Kabinen, die Namen erfolgreicher Sportler tragen. Und weil Ferstl das berühmteste und zugleich gefährlichste Abfahrtsrennen der Welt als einziger Deutscher schon zweimal gewonnen hat, kann er mit seiner eigenen Gondel den Berg hochfahren. "Das ist schon etwas Besonderes", sagt Ferstl, der auf der Streif 1978 und 1979 siegen konnte.

Seit Dienstag hält sich der 60-Jährige in Tirol auf, an diesem Wochenende steht die 75. Auflage der Hahnenkammrennen an. Und neben Preisgeld in Höhe von 75 000 Euro und einer Trophäe mit goldener Gams erhalten die Sieger seit 1996 ihre eigene Gondel. Auch Ferstl durfte vor fast 20 Jahren seine Gondel enthüllen und einweihen. "Die Verantwortlichen tun sehr viel für uns ehemalige Sieger", sagt er. Jedes Jahr wird er zu den Rennen eingeladen, herumgereicht und hofiert. "Hier zu gewinnen zählt mehr als Weltmeisterschaftstitel." Es ist ein Mythos.

An seine erste Teilnahme kann Ferstl sich noch sehr gut erinnern. 19 Jahre war er alt. Im Nachhinein stellte es sich als glückliche Fügung heraus, dass er das interne deutsche Ausscheidungsrennen um einen Startplatz verlor. So durfte er als Startläufer das erste Mal die Streif hinunterstürzen und die Tücken kennen lernen. "Ganz ohne Druck", wie er sagt. Aber mit rasendem Herzschlag. Das langsame Herantasten hatte ihm viele Alpträume und vielleicht den einen oder anderen schweren Sturz erspart. "Als ich das erste Mal oben stand, hätte ich das Starthaus am liebsten wiede­r nach hinten verlassen", hat der Rekordsieger Didier Cuche aus der Schweiz einmal erzählt: "Aber ich wollte auch nicht derjenige sein, der mit der Gondel ins Tal fährt."

Sepp Ferstl kann die Anfangsängste des fünfmaligen Abfahrtssiegers sehr gut nachempfinden. "Hier geht es nur ums Überleben", sagt er. Von Start weg, nach einer scharfen Linkskurve beginnt die wilde Fahrt mit dem Sprung ins Nichts, über die "Mausefalle" sind Weiten bis zu 70 Meter möglich. Damals gab es noch keine Fangnetze oder andere Sicherheitsvorkehrungen. "Bei der Seidlalm stand sogar ein Gartenzaun", erinnert sich Ferstl. Und die Strohballen, die für etwas Schutz sorgen sollten, "waren vereist und mit Drähten versehen." Auch er stürzte, aber die Prellungen und Schürfwunden waren schnell wieder verheilt.

"Du kannst die Streif nicht bezwingen, sie bezwingt dich", sagt Ferstl: "Hier gewinnt, wer die wenigsten Fehler macht und heil runter kommt." Ihm kam die eisige, ruppige 3312 Meter lange Strecke entgegen. "Ich konnte schon immer meine Kanten gut in den Schnee drücken", sagt der heutige Fuhrunternehmer. Mit weichem Schnee konnte er nichts anfangen.

Nun stürzt sich der Sohn hinab

Als er 1978 über die Ziellinie fuhr und die eins aufleuchtete, war das keine Überraschung. Er war gut drauf. Im gleichen Jahr gewann er in Garmisch-Partenkirchen WM-Silber in der Kombination. Aber er konnte die Zeit nicht einschätzen. Er hatte eine frühe Startnummer. Er war als Dritter gestartet. Die besten kamen noch. Franz Klammer hatte zuvor dreimal in Serie gewinnen können. "Das Warten war schlimmer als die Fahrt", erzählt Ferstl.

Auf dem obersten Podest stand er dann trotzdem nicht allein, der Österreicher Josef Walcher hatte exakt die gleiche Zeit. Die 40 000 Zuschauer im Zielraum feierten den Deutschen, als sei er einer von ihnen. "Das war ein Hexenkessel", sagt der Mann aus dem oberbayerischen Siegsdorf: "Ich habe mich als halber Österreicher gefühlt. Das war scho' beeindruckend."

Ein Jahr später stand er wieder ganz oben auf dem Stockerl, diesmal alleine. Seine Siegerzeit von 2:04,48 Minuten hätte im vergangenen Jahr noch für den zehnten Platz gereicht.

2015 war sein Sohn Josef im Training schon mehr als vier Sekunden schneller. Der 26-Jährige eifert seinem Vater nach und hat sich in dieser Saison erstmals für eine WM qualifizieren können. Sorgen macht sich Sepp Ferstl nicht, wenn dieser fährt und er selbst unten im Ziel steht. "Er weiß genau, was er zu tun hat", sagt der Vater, "da muss er mich nicht groß fragen."

Der Kitzbüheler Thaddäus Schwabl, erster Gewinner auf der heutigen Abfahrtsstrecke, benötigte im Jahre 1937 auf Holzski 3:53,10 Minuten. Der Streckenrekord von Fritz Strobl liegt bei 1:51,58 Minuten und ist 18 Jahre alt. "Mit der heutigen Taillierung und dem heutigen Material beschleunigen die Rennläufer noch aus der Kurve heraus", sagt Ferstl: "Wir waren damals froh, wenn wir danach nicht anschieben mussten." Auf 140 Kilometer pro Stunde sind sie trotzdem gekommen, viel schneller fahren sie heute auch nicht.

Ob Sepp Ferstl noch einmal einem deutschen Abfahrtssieger begegnen wird, könne er nicht voraussehen. "Aber wer hätte geglaubt, dass Felix Neureuther mal elf Weltcuprennen gewinnen würde?" Der Partenkirchener siegte auch zweimal in Kitzbühel, nicht auf der Streif, aber neben dran im Slalom auf dem Ganslernhang. Eine Gondel trägt trotzdem seinen Namen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: