Stimmung in Sotschi:Fünkchen der Begeisterung

ITAR TASS SOCHI RUSSIA FEBRUARY 8 2014 Russia s Albert Demchenko competes in the Men s Luge Sin

Albert Demtschenko: Bejubelt im Eiskanal

(Foto: imago sportfotodienst)

Sterile Spiele hatten viele erwartet, nun kommt in Sotschi tatsächlich so etwas wie Stimmung auf. Trotz mancher leerer Plätze. Mit dem ersten Auftritt der russischen Eishockeymannschaft könnte der olympische Gedanke überschwappen.

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Der Rodler Andi Langenhan ist am Sonntagabend Vierter geworden. Das sei ein "Gefühl mit EssZeeHaa", sagte Langenhan, also eines das mit "Sch" beginnt und mit "eiße" aufhört. Langenhan ist jedoch ein wohlerzogener junger Mann, er hat das Wort nicht ausgesprochen bei der Fragerunde im Deutschen Haus. Das Gefühl der Enttäuschung war ohnehin schnell wieder gewichen. Die Stimmung an der Rodelbahn hatte ihn beeindruckt.

Vor den Winterspielen in Sotschi hätte dies kaum jemand für möglich gehalten. Doch nach zwei Wettkampftagen gibt es Sportler, die von der Stimmung im Olympia-Retortenort ehrlich angetan sind. Viele hatten sterile Wettkämpfe befürchtet, weil Sotschi ein Ort gänzlich ohne Wintersporttradition ist. Die erfolgreichste Sporttochter der Stadt ist Tennisprofi Maria Scharapowa, die hier ab ihrem zweiten Lebensjahr aufwuchs. Wintersport gab es nicht, bis Staatschef Wladimir Putin die Spiele mit viel Geld ans Schwarze Meer holte.

Doch plötzlich ist da so etwas wie Stimmung. "Extrem begeistert", war Langenhan sogar. Mit leuchtenden Augen berichtet der Rodler von den russischen Fans, die an der Röhre standen und jeden angefeuert haben, nicht nur ihren Landsmann Albert Demtschenko oder den späteren Olympiasieger Felix Loch.

"Wir wissen wirklich nicht, was wir kritisieren sollen"

Und dann war auch noch der Franz da, der Beckenbauer, der Wintersport-affine Fußballkaiser, der auf seiner Sotschi-Stippvisite beim Rodeln vorbeischaute. Es könnte natürlich auch nur an Demtschenko gelegen haben, dass die Stimmung an der Rodelröhre ins Köcheln geriet. Bei anderen Wettbewerben wurden die Sportler und Offiziellen zwar ausgesprochen freundlich begrüßt. Überhaupt ist der Empfang durch die Volunteers überall von Herzlichkeit geprägt. Alle Athleten loben die Wettkampfstätten, auch die Unterbringung. "Wir wissen wirklich nicht, was wir kritisieren sollen", sagt etwa Uwe Müßiggang, der Biathlon-Bundestrainer.

Richtige Partystimmung wollte bei einigen Wettbewerben trotzdem nicht aufkommen. Bei der Männer-Abfahrt, einem der Höhepunkte jeder Spiele, blieben viele der weißen Sitzschalen leer, aufgestockt wird das Publikum mit Volunteers. Die Schweizer schwenkten ihre Fahnen, eine Blaskapelle aus Österreich spielte. Die russischen Fans hielten sich lieber nur am Rand auf. Sie jubelten kurz, als mit Alexander Glebov ihr einziger "Landsmann" - mit slowenischer Herkunft - an den Start ging. Und sie schwiegen wieder, als er mit über zwei Sekunden Rückstand ins Ziel kam.

Sogar im Biathlon, wo die Russen stets erfolgreich sind, blieben Plätze leer. Kurios wurde es, als Jewgeni Ustjugow im Sprintrennen zum ersten Schießen kam. Der erste Treffer des Russen wurde mit einem frenetischen "HEY!" gefeiert, wie man es aus deutschen Stadion kennt. Nach seinem Fehlschuss sackte die Stimmung jedoch ab. Dass Ustjugow drei weitere Male traf, interessierte kaum jemanden. Als Anton Schipulin als bester Russe nur Vierter wurde, leerte sich die Laura-Biathlon-Arena schnell.

Loch rauscht durchs Feuerwerk

So drängt sich der Eindruck auf, als seien die Fans weniger neutral als bei anderen Spielen, und etwas mehr auf Ergebnisse fixiert. Der Fokus der Russen gilt den Russen, sie werden beschrien und angefeuert. Andere Nationen werden eher begutachtet. Manchmal ist zu wenig zu spüren vom olympischen Gedanken, wonach alle Teilnehmer irgendwie gleich sind. Eben weil Olympia ist, und jeder Sportler, der sein Land vertritt, die Anfeuerung des Publikums verdient hat.

Vielleicht können die Russen mit manchen Sportarten auch schlichtweg nichts anfangen. Extremsportarten wie Slopestyle finden praktisch ohne Beteiligung des Gastgeberlands statt, auch die Tradition im Curling ist überschaubar. Das wird natürlich komplett anders, wenn das russische Team am Donnerstag um 16:30 Uhr Ortszeit ins Eishockey-Turnier startet. Der Bolschoi-Eispalast wird aller Voraussicht nach bersten, auch wenn der Gegner zum Auftakt nur Slowenien heißt.

Einen Vorgeschmack darauf, wie es abgehen kann, lieferte am Sonntagabend das erste russische Gold durch den Eiskunstläufer Jewgeni Pljuschtschenko. Der war schon vor vielen Monaten als "Gesicht der Spiele" aufgebaut worden. Als Pljuschtschenko vor Sotschi merklich schwächelte, nahm das ganze Land Anteil. Nach seinem Sieg im Teamwettbewerb stand der 31-Jährige nun auf dem Eis, wurde mit Blumensträußen beworfen. "Überwältigend", befand Pljuschtschenko. Oben klatschte Putin zufrieden in seiner Loge. Gut möglich, dass die russische Begeisterung nun auch auf andere Wettbewerbe überschwappt.

Der Rodler Andi Langenhan kann sogar von zu viel Begeisterung berichten. Kurz vor Schluss der Rodelkonkurrenz schlug sie etwas um, als die Organisatoren nach dem letzten Lauf von Albert Demtschenko im Zielbereich bereits das Feuerwerk zündeten.

"Etwas früh war das schon", sagt Langenhan. Denn oben saß noch Felix Loch, sein Teamkollege, und versuchte sich auf seinen finalen Lauf zu konzentrieren. Doch Loch ließ sich nicht beirren. Er rauschte durch den Funkenregen, und wurde Olympiasieger.

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