Stephan Eberharter:Grenzgang eines Feuerreiters

Stephan Eberharter, 34, blickt in die Dämmerung seiner Alpin-Karriere und gewinnt die Hahnenkamm-Abfahrt.

Kitzbühel - Nur nicht ungeduldig werden: Der Tölzer Skirennfahrer Florian Eckert ist ja erst 23, kann sich Zeit nehmen für einen behutsamen Aufbau nach langer Verletzungspause, kann gelassen erklären. "Es wird schon", wenn er mit viereinhalb Sekunden Rückstand 33. wird wie am Samstag in der Kitzbüheler Hahnenkamm-Abfahrt. Sein österreichischer Kollege Stephan Eberharter, elf Jahre älter, merkt, wie seine Zeit als Athlet zur Rüste geht: "Immer die gleiche Frage: Warum soll man aufhören? Warum soll man weitermachen?" Zum Weitermachen gäbe es seit Samstag einen guten Grund mehr: dass er nach 2002 dieses Rennen zum zweiten Mal gewann.

Vor allem, wie er es gewann: mit dem triumphalen Vorsprung von 1,21 Sekunden auf den zweitplatzierten Amerikaner Daron Rahlves, eine außergewöhnliche Distanz für moderne Zeiten, in denen alpine Wettbewerbe üblicher- weise um die allergeringsten Zeiteinheiten entschieden werden. Wie an den vorangegangenen Tagen in Kitz: Am Donnerstag ging es um 1/100, Freitags um 3/100, jedes Mal gegen die Heimfahrer, worauf das österreichische Zentralorgan Kronenzeitung konstatierte: "Österreichs größter Skifeind sind derzeit die Hundertstel."

Im Hauptrennen auf der Streif nicht mehr, diesmal brauchte man nicht rechts vom Komma zu suchen, und wenn Eberharter im Super-G umgerechnet 28 Zentimeter von Sieger Lasse Kjus getrennt hatten, so folgte ihm Rahlves am Samstag erst im Respektsabstand von 34,34 Metern. Dahinter ging es knapp wie gewohnt weiter, den Schweizer Ambrosi Hoffmann trennten nur 9/100 von Platz zwei. "Den Eberharter hätten wir heute alle zusammen nicht gepackt", erklärte beeindruckt sein Teamkollege Hans Knauß, der auf Rang vier landete. Michael Walchhofer, Abfahrtsweltmeister, nun Fünfter: "Eberharter hat heute etwas demonstriert." Die Reaktionen der Konkurrenz auf die Leistung des Zillertalers war Ratlosigkeit, tendierend zur Fassungslosigkeit, auch bei Rahlves, dem in der Addition der Plätze (Dritter - Erster - Zweiter) überragenden Fahrer auf der Streif 2004: "Eberharter war unglaublich, er muss ein paar Tore ausgelassen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieser Vorsprung zustande kam."

Hans Knauß hat die Stimmungslage des Abfahrtsathleten auf der Streif plastisch erläutert: "Oben hat man die Hosen voll, unten ist die Freude groß." Es könne so viel passieren auf dieser Strecke, man sei so schnell im Rettungshubschrauber, sagt Stephan Eberharter. "Diese Gedanken habe ich zur Seite geschoben, muss man hier zur Seite schieben." Das Hahnenkammrennen 2004 sei eines der schwierigsten gewesen, die er fuhr, teilte Olympiasieger Fritz Strobl (Zehnter) mit. Eberharter: "Die Streif war noch nie leicht, aber es wird von Jahr zu Jahr brutaler gefahren." Der Cortineser Kristian Ghedina, genau so alt wie er, reißt im Zielsprung die Beine auseinander, zelebriert einen Scherspagat: "Ich dachte: Vermutlich ist es mein letztes Rennen auf der Streif, wenn ich gut drauf bin, mache ich einen Spaß zum Abschied." Außerdem wurde er Sechster, hielt lange die Bestzeit, auch noch als Hermann Maier fuhr. Rauch stieg auf für das Skiidol der Österreicher, es sprühten bengalische Feuer - half alles nichts, der Flachauer endete an Rang neun, vier Teamkollegen vor sich.

Hans Knauß verfuhr sich nach Zwischenbestzeiten an der Hausbergkante, schnaufte schwer: "Ich habe nichts verschenkt - ich habe mein Leben zurückgewonnen." Ambrosi Hoffmann fuhr den ersten Podestplatz für einen Schweizer in diesem Winter herein, Walchhofer scheiterte, Eberharter musste warten mit Startnummer 30, vernahm als letztes, bevor er losfuhr, dass Rahlves schon wieder als Schnellster geführt wurde, "dachte: Du Sauteifl!". Er hatte ein gutes Argument, um den Kalifornier abzufangen: "Ich wollte unbedingt noch einmal gewinnen in Kitzbühel", wie schon 2002 in Super-G und Abfahrt, "deshalb habe ich bewusst das ganze, volle Risiko genommen. Es hat sich ausgezahlt." Wie groß war das Risiko? "Wir bewegen uns immer am Limit, aber um zu gewinnen, muss man auch mal über die Grenze gehen." Keine Zwischenzeitnahme, von der er nicht als Schnellster gemessen worden wäre, und als er die Lichtschranke im Ziel auslöste, hatte er zum 27. Mal ein Weltcuprennen gewonnen und Franz Klammer überholt, mit dem größten Vorsprung im Hahnenkammrennen seit eben jenem 1976 (2,06 Sekunden vor dem Norweger Haker). Walchhofer gratuliert als Erster, dann umarmt Rahlves den Sieger. Hermann Maier, ungerührt, nimmt einen Schluck aus der Pulle, quält sich dann ein nur schwer als solches zu erkennendes Kompliment ab: "Steffs Fahrt dürfte ganz gut gewesen sein."

Eine seiner besten, seine beste? "Er ist das Rennen seines Lebens gefahren", schwärmte Hans Knauß. Vielleicht, schränkte Eberharter ein: "Ein großes Rennen, ein großer Tag." Aber er habe zuvor schon ein paar andere große Rennen geliefert: bei Olympia 2002 im Riesenslalom, und im Super-G bei der WM 2003 wie bei jener zwölf Jahre zuvor. "Heute war ein großer Sieg, aber nicht der einzige." Das war ein großer Tag, an dem er viel englisch reden musste, und einmal sagte er: "I was on fire!" als Begründung für seine grandiose Vorführung und derartige Distanzierung der Gegnerschaft. Andererseits: "Es macht keinen Unterschied, ob man hier um ein Hunderstel gewinnt oder um zwei Sekunden." Für die Besiegten schon - einer von ihnen, Weltmeister Walchhofer, meinte: "Nach diesem Rennen muss er eigentlich weiterfahren", mindestens die nächste Saison. Stephan Eberharter darauf: "Irgendwann muss Schluss sein." Die Weisheit seines Alters hat ihm nur noch nicht gesagt, wann.

Wolfgang Gärner

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