Stefan Reinartz im Interview:"Wenn du verletzt bist, bist du nicht existent"

24 04 2016 xfux Fussball 1 Bundesliga Eintracht Frankfurt FSV Mainz 05 emspor v l Stefan Rei; Stefan Reinartz

Hörte mit 27 auf, Fußball zu spielen: Stefan Reinartz

(Foto: imago/Jan Huebner)

Stefan Reinartz beendete seine Fußballkarriere wegen zahlreicher Blessuren mit nur 27 Jahren. Er schildert, wie Trainer Druck auf verletzte Spieler ausüben - und was in der Bundesliga anders laufen müsste.

Interview von Lisa Sonnabend

Stefan Reinartz beendete im vergangenen Sommer seine Fußballerkarriere - mit nur 27 Jahren. Er hatte genug, auch weil er oft verletzt war. Inzwischen betreibt Reinartz, der jahrelang bei Bayer Leverkusen sowie beim 1. FC Nürnberg und bei Eintracht Frankfurt spielte, Impect, eine Firma zur Erfassung von Fußballdaten, - und blickt kritisch auf das Fußballgeschäft.

SZ: Sie haben Ihre Fußballerkarriere sehr früh beendet. Was wäre passiert, wenn Sie weitergespielt hätten?

Stefan Reinartz: Ich wäre sicherlich ständig verletzt gewesen. Schon im letzten halben Jahr meiner Karriere habe ich mir in Situationen wehgetan, in denen sich eigentlich kein Leistungssportler verletzt. Zum Beispiel, als ich einmal im Training aufs Tor schießen wollte. Das kannst du keinem erzählen, dass du dir als austrainierter Leistungssportler eine Sehne anreißt, weil du gegen einen Ball trittst, der 300 Gramm schwer ist. Ich habe es als Warnsignal meines Körpers gedeutet.

Was wollte der Körper Ihnen sagen?

Das Mentale und das Körperliche hängen eng zusammen. Ich hatte mich nach und nach mit einem Karriereende beschäftigt und stand deswegen mental nicht mehr zu 100 Prozent hinter der Sache. Ich habe gemerkt, dass der Körper mir weniger Energie gibt, dass ich mich öfter verletze, mich mehr verschleiße. Zuletzt hatte ich meist Sehnenverletzungen, gereizte Bänder. Wenn du älter wirst, passiert es immer schneller und verheilt immer langsamer. Als ich noch Anfang 20 war, habe ich den Arzt gefragt: Wie lange dauert es? Dann beißt du auf die Zähne und es geht in ein paar Wochen weiter. Am Ende meiner Karriere dachte ich mir: Oh je, schon wieder etwas geholt. Das hat dann eher meine Zweifel bestätigt: Was machst du hier eigentlich?

Wie groß ist der Druck auf die Spieler, nach einer Verletzung möglichst schnell wieder zu spielen?

Es gibt im Verein drei Personen die darüber entscheiden, wann ein Fußballer wieder auf dem Platz steht: der Spieler, der Arzt und der Trainer. Eigentlich ist es ziemlich simpel. Der Arzt müsste sagen: Der Sportler hat das und das. Montag trainiert er wieder, Mittwoch kann er das machen, in zwei Wochen spielt er. Dann hält er noch Rücksprache mit dem Fußballer, wie es ihm geht. Der Trainer müsste eigentlich nur sagen: alles klar, danke für die Info. Bei Jupp Heynckes lief es so, das ist der Idealfall.

Aber in der Realität sieht es anders aus.

Wenn ich sehe und höre, wie es in vielen Vereinen läuft, ist das oft eher eine Diskussion mit dem Coach. Inzwischen ist es oft so, dass der Trainer nicht mit dem Arzt, sondern erst einmal mit dem Spieler spricht und versucht, ihn auf seine Seite zu ziehen: Geht es nicht doch etwas schneller? Die Ärzte haben sich in der Bundesliga viel wegnehmen lassen. Deswegen fand ich es gut, dass Herr Müller-Wohlfahrt - zumindest ist es bei mir so angekommen - im Streit mit Pep Guardiola beim FC Bayern gesagt hat: Wenn ich nicht die Deutungshoheit habe, bin ich hier fehl am Platz. Ein Arzt hat ja auch die Verantwortung für die Gesundheit von seinem Patienten.

Was müsste anders laufen im Fußballgeschäft?

Der Trainer steht ja unter Druck: Er entscheidet nicht auf mittelfristige Sicht, dass der Spieler in den nächsten acht Monaten fit bleibt, sondern für ihn ist das nächste Spiel immer das wichtigste. Meiner Meinung nach müsste, wenn sogar der Trainer Einfluss nimmt, auch der Manager beteiligt sein. Der hat einen anderen zeitlichen Horizont als der Trainer, ihm ist der Marktwert wichtig und, dass der Spieler zumindest das nächste halbe Jahr lang fit ist. Es passiert, dass ein Spieler das Gefühl hat, so ganz raus aus der Verletzung ist er noch nicht. Wenn der Arzt sagt, du trainierst morgen wieder, kann das aus medizinischer Sicht richtig sein. Aber der Spieler hat vielleicht ein anderes Gefühl. Er müsste dann sagen: Boah, ich glaube, es geht noch nicht.

"Ich habe manchmal ein paar Monate durchgespielt auf Schmerzmitteln"

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Damals in Leverkusen: Stefan Reinartz (Mitte), daneben Sebastian Bönisch (links) und Stefan Kießling (rechts).

(Foto: dpa)

Machen Vereine genug, um Verletzungen vorzubeugen?

Mein Eindruck ist, dass es bei der Prävention große Schritte in die richtige Richtung gibt. Roger Schmidt hat zum Beispiel in Leverkusen eingeführt, dass bei den Spielern jeden Morgen ein bisschen Blut am Ohr abgenommen wird. So sieht man, wie hoch die Muskeln belastet sind und ob es von der Trainingssteuerung Sinn macht, dass der Spieler trainiert. Es kam dann wirklich dazu, dass der Trainer sagt: Diese zwei Spieler bleiben heute drin. Als ich als Profi anfing, da hätte ich mir das noch nicht vorstellen können.

Wo muss sich die Bundesliga noch verbessern?

Was total vernachlässigt wird, ist, dass es vor allem mentale Gründe geben kann, warum sich ein Spieler verletzt. Es sagen zwar alle, Sportpsychologie ist total im Kommen und Mentaltraining ist total wichtig im Fußball, aber es hat sich auf dem Feld in den vergangenen fünf Jahren sehr wenig getan. Die Vereine wissen, wir müssen da was machen, und der Trainer findet das eigentlich auch gut, aber auch nur eigentlich. Er sagt dann Sätze zur Mannschaft wie: Wir haben einen Sportpsychologen, wenn ihr ein Problem habt, wisst ihr, wo er ist. Nach dieser Anmoderation ist ein Sportpsychologe dann bei den Spielern in etwa so cool angesehen wie ein Zahnarzt.

Und was ist mit dem Einsatz von Schmerzmitteln im Profifußball?

Ich habe schon manchmal ein paar Wochen oder Monate durchgespielt auf Schmerzmitteln. Aber ich habe dann eine Ibuprofen am Tag genommen, nicht mehr. Gut ist das natürlich nicht, aber ich fand das in dem Maße noch erträglich. Allerdings habe ich in der Reha oft mit anderen Sportlern gesprochen. Ein Handballer, der sehr hochklassig spielt, hat mir einmal erzählt, dass sie im Trainingslager jeden Morgen erst einmal automatisch zwei Ibuprofen nehmen, damit sie über den Tag kommen.

Warum ist es da schlimmer als im Fußball?

Ein Fußballer hat einen großen Marktwert, deshalb setzt du nicht wegen der Leistung von morgen die ganze Karriere aufs Spiel und schmeißt ihn mit Schmerzmitteln zu. Ein Handballer dagegen hat keinen Marktwert in dem Sinne (es werden kaum Ablösesummen gezahlt; Anm. d. Red.), bei ihm ist die Leistung morgen viel wichtiger als die in drei Jahren. Es gibt sicherlich auch im Fußball Einzelfälle, wo der Einsatz von Schmerzmitteln extrem ist, aber ich glaube, es ist nicht durchgängig.

Profisport ist ein hartes Geschäft.

Als Spieler bist du im Grunde nur eine Funktion. Trainer haben ja in ihren Büros eine Taktik-Pinnwand. Da sind Zettel mit den Namen aller Spieler aus dem Kader drauf. Wenn sich einer verletzt, verschwindet der Name einfach, das hab ich schon oft gesehen. Ob der Trainer den Zettel in eine Schublade legt? Du bist dann jedenfalls kein Mensch seiner Gemeinschaft mehr. Wenn du verletzt bist, bist du für den Trainer nicht mehr existent.

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