Statistikvergleich Juve vs. FC Bayern:Vorsicht vor dem Räuberbart

Lesezeit: 4 min

Gewarnt wurde genug - jetzt kommen Fakten: Was macht die Juve-Abwehr so stabil? Wie unterscheiden sich Bayern und Turin im Angriffsspiel? Und welche Rolle übernimmt Andrea Pirlo bei den Italienern? Vier zahlenbasierte Thesen zum Viertelfinale der Münchner gegen Juventus Turin.

Von Jonas Beckenkamp

Über einen Mangel an Gefahrsignalen können sich die Bayern wahrlich nicht beschweren - zuletzt warnte auch noch Jürgen Kohler vor Juventus Turin. Der Mann, der einst so eisenhart verteidigte, dass ihm der zweifelhafte Beiname "Fußballgott" zuteil wurde, hob in der Welt am Sonntag den Zeigefinger und redete dem Rekordmeister ins Gewissen: "Es wird nicht einfach. Juventus hat vielleicht nicht die individuelle Klasse, aber die Mannschaft ist in sich gewachsen, sie wirkt sehr reif", sagte der 105-malige deutsche Nationalspieler, der in grauer Vorzeit mal für die Münchner aktiv war.

"Die Bayern müssen sich wirklich sehr anstrengen, denn sie treffen da auf Spieler, die nicht nur gut und unberechenbar sind, sondern auch sehr hungrig. Denn Juventus hat international lange nichts mehr gerissen," erklärte Kohler vor dem Hinspiel im Viertelfinale der Champions League am Dienstag in München (20.45 Uhr, Liveticker bei SZ.de).

FC Bayern deklassiert den HSV
:Neun Grüße an Juventus Turin

Das 9:2 gegen den erbärmlichen HSV ist schnell abgehakt. Der höchste Saisonsieg des FC Bayern gelingt so absurd leicht, dass sich alles um Juventus Turin dreht. Dabei werden jene Münchner, die den HSV demütigten, in der Champions League nur auf der Bank sitzen.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Eigentlich verfügt der FCB in Person von Sportvorstand Matthias Sammer selbst über einen hauptamtlichen Mahner und Warner - "nicht im Ansatz" sei der von den Bayern eben noch mit 9:2 überrollte HSV mit Turin vergleichbar, hatte er am Wochenende angemahnt. Und überhaupt seien die Italiener "kompakt, schlau und geführt von erfahrenen Leuten."

Vieles davon mag stimmen, schließlich tummeln sich im Kader der "Alten Dame" Haudegen und gewiefte Strategen wie Gianluigi Buffon oder Andrea Pirlo, mit denen Juventus souverän die Serie A anführt. Aber wie steht es genau um die Stärken und Schwächen der Turiner? Worauf müssen die Bayern - abgesehen von den genannten Alarmrufen - achten? Ein neues Statistik-Werkzeug auf SZ.de gibt Aufschluss über relevante Zahlen zur Champions League (CL). Hier folgen vier Thesen, die ein näherer Blick auf das Tool unserers Partners Opta zu Tage bringt.

  • Die Juve-Abwehr agiert stabiler

Wie es sich für eine italienische Topmannschaft gehört, geht auch bei Juve die größte Bedrohung von der schwer überwindbaren Abwehr aus. Giorgio Chiellini, Andrea Barzagli und Leonardo Bonucci bilden im modernisierten 3-5-2 von Trainer Antonio Conte zumeist die Defensivreihe - und sie verrichten ihre Arbeit nachweislich besser als ihre bayerischen Gegenüber. Alle drei glänzen im Vergleich aller CL-Verteidiger mit extrem vielen "klärenden Aktionen". Das heißt: Vorbeikommen an der Turiner Menschenwand ist äußerst schwer. Abräumer Chiellini kommt bisher auf 70 gelöste Abwehraktionen, Barzagli auf 57 und Bonucci auf 51.

Bei den Münchnern ist Dante mit 30 klärenden Interventionen mit Abstand der erfolgreichste Zweikämpfer, dahinter kommt lange nichts. Vielleicht lässt sich so auch erklären, warum die Italiener erst vier Gegentore kassierten, während der deutsche Rekordmeister schon zehn Gegentreffer zu beklagen hatte. Bei den Zu-Null-Spielen führt Juventus gemeinsam mit dem FC Porto die Statisik an: Fünfmal blieb man hinten schadlos, den Bayern gelang das erst einmal.

  • Im Angriff sind beide Teams fast gleich stark

So grimmig Juve auch verteidigt, vielleicht hakt es dafür beim Toreschießen - möchte man meinen. Doch dem ist nicht so. Die Auswahl aus dem Piemont ist bei weitem keine Vereinigung reiner Catenaccio-Künstler. Die Angriffsstatistiken offenbaren nahezu identische Werte in allen relevanten Offensiv-Kategorien: Beide Klubs erzielten ähnlich viele Treffer (Juve 17, Bayern 18), schossen fast gleich häufig aufs Tor (48 zu 50) und zielten in ebenso ähnlicher Manier knapp daneben (58 zu 54). Wie nah beide Vereine in diesen Bereichen beieinander liegen, deutet an, dass an diesem Dienstag gleich gute Teams aufeinander treffen.

FC Bayern gegen italienische Teams
:Im Bann des Inzaghi

Maradona, Matthäus und ein Bayern-Schreck: Die Aufeinandertreffen des FC Bayern mit italienischen Mannschaften endeten nicht immer glücklich. Anlässlich des Münchner Champions-League-Intermezzos mit Juventus Turin lohnt sich ein Rückblick auf bayerisch-italienische Duelle.

Von Jonas Beckenkamp

Torgefahr entwickeln die Italiener aber nicht nur im Sturm. Sogar ihr Mittelfeld weist mit Akteuren wie Sebastian Giovinco, Arturo Vidal oder Claudio Marchisio (gemeinsam sieben Treffer) durchaus treffsicheres Personal auf. Ein leichter Bayern-Vorteil ist dennoch auszumachen: In Punkto Schussgenauigkeit (48,1% zu 45,3%) und Chancenverwertung (17,3% zu 16%) ist der kommende deutsche Meister dem designierten Titelträger der Serie A etwas überlegen. Trotzdem ergeben die Zahlen insgesamt ein ausgeglichenes Bild: Turin verfügt über eine spielfreudige, schlagkräftige und effektive Offensive. Wie gut, dass wenigstens Pippo Inzaghi mittlerweile in Rente ist (er spielte 1997 bis 2001 bei Juve).

Giovinco, Pirlo and Barzagli: Sie sind nur drei der gewieften Taktiker aus Turin.  (Foto: REUTERS)
  • Juve spielt schnell nach vorne, Bayern setzt auf Ballbesitz

Wer die Spielweise beider Teams genauer unter die Lupe nimmt, entdeckt feine Nuancen: Kein Champions-League-Team außer Barcelona (6073 erfolgreiche Zuspiele) passt so präszise wie die Bayern (3828). Juve (2950) liegt in dieser Sparte eher im Mittelfeld. In gewisser Weise führen diese Zahlen auch zum Kern eines gravierenden Unterschieds zwischen beiden Mannschaften. Die Münchner konzentrieren sich mehr auf Ballbesitz, Passzirkulation und Eins-gegen-Eins-Duelle, Turin versucht es eher mit Flanken und schnellem Spiel nach vorne.

86,6% aller Zuspiele der Bayern finden den Weg zum Mitspieler (zum Vergleich: Barcelonas 91,1% sind CL-Topwert) - bei Juve sind es nur 82,5%. Außerdem gehen die Spieler von Jupp Heynckes öfter ins Dribbling (134 zu 95 bestrittene Eins-zu-eins-Situationen). Dafür offenbart sich beim Thema Flanken ein Vorteil für die Italiener: Sie bringen den Ball mit einer deutlich höheren Quote von außen an den Mann (24,6% zu 17,6%) - ein Grund dafür sind sicher die Zauberfüße von Pirlo. Er schlägt die viertmeisten Flanken aller Profis im Wettbewerb (49).

  • Pirlo ist der Herrscher der Pässe

Überhaupt, Pirlo. Über ihn schrieb die Gazzetta dello Sport vergangenen Sommer: "Er ist ein Begnadeter. Er ist wie Mozart, der ein Requiem für die Deutschen komponiert." Was macht diesen räuberbärtigen Schweiger so gefährlich? Es sind nicht seine Sprints oder seine vielen Tore, sondern vielmehr sein Spielverständnis: Wenn die Bayern am Dienstag Juve empfangen, ist der Freistoßspezialist wieder einmal der potenteste Passgeber auf dem Feld. 492 Abspiele brachte Pirlo im Verlauf dieser Saison zu seinen Kollegen - Bayerns sicherster Zuspieler ist Philipp Lahm mit 446.

Wer aber denkt, Pirlo sei der Passkönig Europas, der irrt: Im CL-weiten Vergleich liegt der 33-Jährige überraschend nur im Mittelfeld - es führen die wandelnden Billardbanden Xavi (1014), João Moutinho (607) und Iniesta (580). Franck Ribéry oder Arjen Robben zählen nicht einmal teamintern zu den besten sechs Passgebern. Diese Statistiken zeigen, wie wichtig Pirlo als Lenker für das Gelingen des Juve-Fußballs ist. Wer ihn ausschaltet, dürfte gute Chancen auf den Sieg haben. Aber das dachte bei der EM 2012 wohl auch Bundestrainer Löw.

  • Fazit: Individuelle Klasse vs. Schlitzohren

FC Bayern in der Einzelkritik
:Perlen in lockerer Aufwärmübung

Luiz Gustavo übt sich für das Juventus-Spiel als Schweinsteigers Adjutant, Claudio Pizarro schießt seine Saisontore eins bis vier, nur Arjen Robben muss wegen drohenden Übermuts ausgewechselt werden. Der FC Bayern beim 9:2 gegen den Hamburger SV in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Die Zahlen lassen auf ein sehr ausgeglichenes und interessantes Duell schließen. Im Gegensatz zu vielen anderen italienischen Teams beschränkt sich Juventus keinesfalls aufs Zerstören - die Bayern erwartet eine Elf, die es versteht, ihr eigenes Spiel aufzuziehen. Trotzdem könnten die Münchner Vorteile haben, wenn es ihnen gelingt, ihre individuellen Fähigkeiten einzusetzen. Auf eines sollten sie aber nicht hereinfallen: Die von Ober-Mahner Sammer angesprochene italienische Ausgebufftheit: "Das sind in der Regel schön anzusehende Spieler, schwarze Haare, treue Augen, die dich anschauen - und sie sind Schlitzohren." Das lässt sich bekanntlich nicht in Zahlen messen.

Bayern und Juve im Vergleich

© SZ.de/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: