Start der Tour de France:Gescheitert an der Reiseplanung

Heikle Fragen zum Start der Tour de France: Verheimlicht die neue Radsport-Kommission aktuelle Doping-Vorwürfe?

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Utrecht

Auch die Mannschaft mit den hellblauen Leibchen ist auf einem dieser Bötchen angeschippert, mit denen die Organisation ihre Fahrerpräsentation am Vorabend der Tour de France auflockern wollte. Dann ist sie ausgestiegen, das letzte Stück durch den Park Lepelenburg geradelt und hat sich auf dem Podium wie die übrigen 21 Teams beklatschen lassen.

Der Radsport tut so, als habe sich im Kampf gegen Doping vieles geändert. Dass die Hellblauen von Astana trotz ihrer fünf Positivfälle im Vorjahr weiter dabei sind, ist aber ein sichtbares Signal dafür, dass der behauptete Wandel noch nicht erfolgt ist. Als noch gravierender erweisen sich jetzt die heiklen Fragen zu Seriosität und Transparenz jenes Vorgangs, den der Rad-Weltverband (UCI) als Beweis für eine neue Kultur promotet hat: zu Arbeit und Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission namens Circ.

Als der Brite Brian Cookson 2013 an die UCI-Spitze gelangte, gründete er das dreiköpfige Gremium, das sich um die Aufarbeitung des Dopingthemas kümmern sollte. Im März legte die Circ einen 227-seitigen Bericht vor. Darin standen einige brisante, aber keineswegs neue Vorgänge aus der Vergangenheit; über Lance Armstrongs Dopingsystem oder über Cooksons dubiose Vorgänger Pat McQuaid und Hein Verbruggen. Es gab auch Anmerkungen zur aktuellen Lage: dass Doping nach Einschätzung mancher Profis weiter sehr verbreitet sei, welche Mittel kursieren. Die Circ thematisierte die großen Belastungen einer langen Rundfahrt und formulierte klingende Empfehlungen für die Zukunft, zwischendurch zitierte sie gar die Aussage, nach der es bei einem Amateur-Team noch systematisches Doping gebe.

UCI-Sprecher Louis Chenaille

"Der Circ-Report war eine völlig unabhängige Untersuchung. Wir sind zuversichtlich, dass er alle juristisch nötigen und relevanten Informationen enthält."

Das klang nicht schlecht, es klang vor allem nach Offenheit. Aber nun gerät die Circ-Arbeit in trübes Licht. Der Verdacht steht im Raum, dass sie dokumentiert hat, was in die politische Landschaft passt, beim heikelsten Aspekt aber zurückhaltend blieb: im Umgang mit Informationen und Hinweisen auf Dopingverfehlungen von aktiven Protagonisten der Radszene.

Mehrere Personen berichten der SZ, dass sie bei der Circ konkrete Vorgänge und Namen nannten. So war der italienische Radprofi Riccardo Ricco geladen, früher ein starker Klassementfahrer, aktuell wegen diverser Dopingverstöße bis 2024 gesperrt. Riccos Anwalt Fiorenzo Alessi sagt, sein Mandant habe der Circ brisante Informationen geliefert: zu Profis, Offiziellen, Doktoren. So sei es um einen Fall gegangen, in dem ein Athlet mit Unterstützung des Teamarztes gedopt und der Sportdirektor davon gewusst habe - letzterer sei heute in einem Team der ersten Liga tätig.

Auch von Spritzen eines Fahrers, der sich gern als Anti-Doping-Kämpfer feiern lasse, habe er berichtet. Daneben erklärt der ehemalige Profi Jörg Jaksche, er habe - wie schon früher bei der UCI - nun auch bei der Circ zwei Mediziner benannt, die damals bei seinem Team CSC mit Ausnahmegenehmigungen für die verbotene Substanz Kortison getrickst hätten. Beide sind heute noch aktiv, pikanterweise bei den Teams Astana und Tinkoff, die in Vincenzo Nibali (Italien) bzw. Alberto Contador (Spanien) die Tour-Favoriten stellen.

Wie ist die Kommission mit den Hinweisen umgegangen?

Das sind gravierende Vorwürfe. Doch Sanktionen, Konsequenzen oder zumindest Empfehlungen wegen konkreter Verstöße von aktuellen Protagonisten lassen sich aus dem Circ-Report nicht herauslesen. Auch sonst sind keine Maßnahmen bekannt. Wie ist die Kommission mit diesen Hinweisen umgegangen? Eine Antwort darauf gibt es nicht.

Der deutsche Jurist Ulrich Haas, in der sportrechtlichen Welt in vielerlei Funktionen aktiv, bildete mit dem Schweizer Politiker Dick Marty und dem früheren australischen Offizier Peter Nicholson die Circ. Er schweigt auf Anfrage zu den Vorwürfen; er pocht auf eine Vertraulichkeitserklärung und argumentiert, dass die Kommission gar nicht mehr existiere. Die UCI teilt mit, sie sei überzeugt, dass im Circ-Bericht alle relevanten Informationen enthalten seien. Die Frage, ob es konkrete Konsequenzen gab, beantwortet sie nicht.

Noch befremdlicher wirkt der Umgang mit einem dritten Radprofi, der wegen Dopings gesperrt ist: Patrik Sinkewitz. Der Deutsche war Kronzeuge bei der Aufarbeitung des Telekom-Dopingskandals, nach der Rückkehr ins Feld wurde er positiv auf das Wachstumshormon HGH getestet. Die Sportjustiz sperrte ihn acht Jahre, der Fahrer beteuert seine Unschuld und verweist auf Ungereimtheiten im Verfahren vor dem obersten Sportgerichtshof Cas.

Tour

Nur wenige Zeitfahr-Kilometer, dafür sieben Hochgebirgsetappen: Pech für Favorit Christopher Froome, der stärkste Zeifahrer aus dem Spitzenquartett.

(Foto: sz)

Er wurde im Sommer 2014 von der Circ gefragt, ob er für ein Gespräch zur Verfügung stünde. Er habe zugesagt und erklärt, er habe "Wichtiges und Aktuelles" beizutragen. Zunächst sei die Circ massiv interessiert gewesen, als ihr der Themenkatalog vorgestellt wurde. Tage später sei der Kontakt jäh abgebrochen. Und erst Monate später, auf anhaltendes Drängen von Sinkewitz, habe sich die Circ noch einmal gemeldet. Zum Treffen bei der mit einem atemraubenden Etat von 2,4 Millionen Euro ausgestatteten Kommission kam es trotzdem nicht, die Sache sei an einer Petitesse gescheitert: an der Frage, wer zum Gespräch zu wem reist. Tat die Circ also eingedenk Sinkewitz' Angebot wirklich alles, um ein Treffen zu arrangieren? Circ-Mann Haas äußert sich auch zu diesem Thema mit Verweis auf die vereinbarte Vertraulichkeit nicht; die UCI schweigt.

So bleibt der Verdacht, dass eine Kommission, die mit viel Geld und öffentlichem Tamtam zur Aufarbeitung eingesetzt wurde, selektiv mit Informanten und Informationen umgegangen sein könnte. Entlarvend wirkt das Verschanzen hinter Vertraulichkeitsverpflichtungen bei Fragen, die nicht die Inhalte von Zeugenaussagen betreffen - sondern den Umgang mit Zeugen, die gar keine Vertraulichkeit beanspruchen. Das mag formalistisch korrekt sein, konterkariert aber die angekündigte neue Transparenz und knüpft an die alte Kultur der Omerta an: des Schweigebündnisses im Radsport.

Die Circ-Arbeit war nicht als Geheimwissenschaft gedacht. Das Publikum sollte von der neuen Transparenz überzeugt werden, die Kommission selbst nennt in ihrem Bericht 135 der insgesamt 174 befragten Personen aus der Radwelt namentlich. Der Verdacht, dass sie die Frage nach einem selektiven Vorgehen nun ebenso rigoros ausblendet wie zuvor allzu heikle Gesprächsofferten von Zeugen, ist mit Schweigen nicht aus der Welt zu schaffen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: