Start der Tour de France:Düsseldorf feiert den Schein

Start der Tour de France: Ein Fest vor dem Start: In Düsseldorf begrüßen tausende Zuschauer die Tour-Teilnehmer - hier den Briten Chris Froome, der das Gelbe Trikot wieder erobern will.

Ein Fest vor dem Start: In Düsseldorf begrüßen tausende Zuschauer die Tour-Teilnehmer - hier den Briten Chris Froome, der das Gelbe Trikot wieder erobern will.

(Foto: AFP)
  • Beim Auftakt der Tour de France befindet sich die Branche in Zuversicht, dass sie eine positive Zukunft erwartet.
  • An der Dopingkultur habe sich aber nur wenig geändert, sagen Experten.

Von Johannes Knuth, Düsseldorf

Ein paar Grußworte auf Französisch? Mähbjänsüüür, ruft Thomas Geisel. Düsseldorfs Oberbürgermeister hat sich auf die Bühne am Burgplatz geschwungen, gleich werden sich hier die Teams präsentieren, die in den nächsten drei Wochen die Tour de France bestreiten. Aber erst mal erzählt Geisel den 7000 Zuhörern, wie stolz die Stadt sei, die Tour zu beherbergen. "Très fière". Als er auf Gegner in der Stadt angesprochen wird, die den Grand Départ nicht haben wollten, sagt er: "Das ist eine super Gelegenheit, unsere Stadt als weltoffen und gastfreundlich zu präsentieren. Wir werden alle anfeuern, und dann", seine Stimme kippt in den Überschwang, "dann werden wir alle kräftig feiern!" Warmer Applaus schwappt auf die Bühne.

Vorfreude hat sich jetzt um die Menge auf dem Burgplatz gelegt wie ein warmer, wohliger Mantel. Die Promis trinken Sekt und Limonade unter einer Baumallee. Die Fahrer schieben sich auf die Bühne, sie erzählen, dass es ihnen gut geht, solche Sachen. Die Deutschen sagen, wie stolz sie sind, das größte Sportereignis des Jahres in der Heimat zu haben. Nachwuchsfußballer der Fortuna singen Queens Ode ans Zweirad, "Biiicycle, I want to ride my biiicycle!" Ob eine Velokarriere für den Nachwuchs bei den in der Zweitklassigkeit versandeten Düsseldorfern nicht eh die bessere Berufswahl wäre? Die Stadt feiert jedenfalls. Nichts ist so wichtig bei Sportevents wie die Party, der Moment.

Der Schein.

Der Radsport gibt sich in Düsseldorf gerade heiter und geläutert, getragen von der Zuversicht einer Branche, die manches hinter sich hat und viel vor sich wähnt. Die deutschen Fahrer um Tony Martin, Marcel Kittel, André Greipel und John Degenkolb haben seit 2011 Etappensiege und Titel gehortet, sie haben sich losgesagt von den alten Recken, die den Sport vor einer Dekade in den Dopingsumpf zerrten, mal wieder. Zwei deutsche Tour-Teams, Sunweb und Bora-hansgrohe, bilden deutsche Fahrer für später aus und beschäftigen Edelpiloten fürs Jetzt, wie den Slowaken Peter Sagan, der Unterhaltung und Siege so lässig mischt, dass er die Aufmerksamkeit anzieht wie Honig die Bienen. Sponsoren investieren. ARD und ZDF übertragen wieder. Tour-Veranstalter ASO und die amerikanische Anschutz-Gruppe haben die Deutschland-Tour wiederbelebt, 2018 soll sie über vier Etappen nach Stuttgart führen. Alex Hill, Anschutz-Finanzchef, sagt: "Die Zeit ist reif, den Radsport in Deutschland auf das nächste Level zu heben."

Tony Martin mit ominöser Zahl

Die Aufräumarbeiten sind also vorbei, so sieht das der Sport. Aber geht das so einfach mit einer neuen, deutschen Welle?

Tony Martin hat in Düsseldorf noch einmal diese ominöse Zahl in die Welt gepflanzt. Er sei nach wie vor überzeugt, dass heute rund 98 Prozent des Pelotons ohne chemische Schnellmacher unterwegs seien. Brian Cookson sieht das ähnlich; der Präsident des Weltverbands UCI verweist auf sechs Millionen Euro, die sein Verband jedes Jahr in Anti-Doping-Maßnahmen leite, er verweist auf den biologischen Pass, den der Radsport als einer der ersten Hochleistungsbetriebe etablierte, auf Tests, die aufspüren, ob ein Athlet sich künstlich Testosteron zugeführt hat. Was der Brite nicht erwähnt: Eine Kommission, die Cookson 2013 nach seiner Krönungsmesse gegründet hatte, sollte die Dopingkultur im Feld ausleuchten, damals und heute. Die Fahnder schlugen nach SZ-Informationen allerdings heikle Gesprächsofferten von Zeugen aus. Was den Verdacht nährte, dass die UCI nicht nur Skandale aufklären, sondern vermeiden wollte.

Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel:

"Es sind zwar einige Jahre vergangen, aber dass in diesem Zeitraum die Doping-Quote von 30 bis 40 auf zwei Prozent gesunken sein soll, das halte ich für abwegig."

Und jetzt: 98 Prozent Saubermänner, ein neues Reinheitsgebot im Radsport? Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg, lacht milde. Es seien zwar einige Jahre vergangen seit den hohen Tagen des Dopings, "aber dass die Quote von vielleicht 30, 40 Prozent auf zwei Prozent gesunken sein soll, das halte ich für abwegig", sagt er. Eine Illusion.

Lukrativer als der Drogenhandel

Der Blutpass? "Eine scharfe Waffe", findet Sörgel. Es gebe nur ein Problem. Experten könnten Sportler mittlerweile anleiten, wie sie ihre Werte so frisieren, dass es keinem Fahnder auffällt. Mit Mikrodosen von Testosteron, oder Eigenblut. Das ist nicht billig, aber an Geld fehlt es dem Sportadel selten. Ein brasilianischer Arzt hatte jüngst der ARD erzählt, er tune nicht nur Fußballer und Leichtathleten, sondern Tour-de-France-Fahrer, Spanier, Belgier, Deutsche. Via Videotelefonat, im Dezember, wenn sie pausieren oder in ihren Trainingszellen üben. "Da mache ich ihren Aufbauprozess", prahlte der Doktor, damit sie einen Hämatokritwert von 60, 62 Prozent erreichen", mehr rote Blutkörperchen also. Erlaubt sind 50. Das ermögliche tolle Leistungen, sagte der Arzt, später, im Höhentraining etwa. Der ehemalige Radprofi Michael Rasmussen, 2007 wegen Dopings aus dem Sport gejagt, sagte in Düsseldorf: "Ich könnte noch immer betrügen wie damals und würde nicht auffallen." Langsamer sei das Feld auch kaum geworden, angeleitet von rund zwei Dutzend ehemaligen Dopern, die jetzt in den Teams arbeiten.

Tour de France Karte 1

SZ-Karte; Quelle: Veranstalter

"Jede Testmethode hat ihre Grenze", assistiert Sörgel; zumal viele Varianten des Blutdopingklassikers Epo zirkulieren, die man noch nicht nachweisen kann. Wie bei Kortison oder Asthmamitteln, die manche legal nehmen, mit Ausnahmebescheid. Oft reagieren Fahrer vor den Höhepunkten allergisch, rein zufällig, wie einst Titelverteidiger Chris Froome, der am Freitag seinen Vertrag bei Team Sky bis 2021 verlängerte. "Das sind die kleinen Unterschiede", sagt Sörgel, "die im Hochleistungssport zwischen Sieg und Niederlage trennen." Man kann es also so sehen wie Cookson und Martin, dass die Tests anschlagen, einzelne Unbelehrbare enttarnt werden, wie zuletzt der Wasserträger André Cardoso. Oder man sieht es wie Sörgel, dass nur die Holzklasse erwischt wird, weil sie sich das Know-how nicht leisten kann. Während First und Business Class unter den Radaren durchsegeln, nicht nur im Radsport.

Eine von Sörgels Lieblingsepisoden ist die der Radsportler, die sich vor dem Giro d'Italia vor 16 Jahren in einem Pharmalabor bei Chicago bedienten. Forscher hatten ein Mittel entwickelt, das mehr Sauerstoff durchs Blut transportiert, gegen Gehirnmetastasen. Der Stoff schaffte es nie in die Forschung, und weil dann noch ein paar Kilo einsam im Labor standen, verkaufte ein Mitarbeiter das Zeug halt an Radprofis, die ebenfalls gerne mehr Sauerstoff durchs Blut schaffen. Heute? "Ist das Problem eher noch größer geworden", sagt Sörgel. Es gebe allein in den USA rund 100 kleine Firmen, die ständig nach dem nächsten großen Ding suchen, fernab der großen Firmen. Was mit den Prototypen passiert, die in der Testphase eingehen, "kann kaum ein Mensch kontrollieren", sagt er. Und: "Wenn auch nur der geringste Hinweis besteht, dass die Substanz leistungssteigernde Effekte hat, dann wandert sie über schwarze Kanäle in die Sportszene." Die Dopingbranche gilt längst als lukrativeres Geschäftsfeld als der Drogenhandel.

Tour de France Karte 2

SZ-Karte; Quelle: Veranstalter

Nicht allen Düsseldorfern gefällt es, wie ihre Stadt gerade den Radsport hochleben lässt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und die FDP hatten damals gegen die Tour-Bewerbung im Rat gestimmt. Auch, "weil wir der Meinung sind, dass eine Sportveranstaltung dieser Dimension keine kommunale Aufgabe sein kann", sagt sie. Die Last von 13 Millionen Euro Ausgaben also, die wohl auf 16 Millionen wachsen wird, wenn in zwei Jahren die Rechnung kommt. Die Stadt berichtete zuletzt, knapp 70 Prozent der acht Millionen an Einnahmen stamme von privaten Gönnern. "Schlichtweg falsch", sagt Strack-Zimmermann. Viele dieser Firmen gehörten ja zu 50 oder 100 Prozent der Stadt. "Ich gehe davon aus, dass letztlich 80 Prozent der Kosten bei der Stadt bleiben", sagt sie. Werbewerte und -Einnahmen hin oder her.

Und jetzt? Man könne so ein Fest ja wollen, "mit klaren, korrekten Ansagen", sagt Strack-Zimmermann. Aber vieles laufe unter dem Radar. Die Sache mit den privaten Sponsoren etwa. "Der Grand Départ ist eine Riesen-Sause", sagt die 59-Jährige, sie guckt aus ihrem Büro im ersten Stock des Rathauses. Auf der anderen Seite des Rheins bauen sie gerade die Achterbahnen auf, bald beginnt die Kirmes. Party, "das können wir Rheinländer", sagt Strack-Zimmermann. "Aber die Feier ist am Montag vergessen."

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