Start der 2. Bundesliga:Vergleichsweise knackig

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Wird Peter Neururer mit dem VfL Bochum zum Überraschungs-Aufsteiger? (Foto: imago sportfotodienst)

Zum Start der zweiten Bundesliga stellen sich grundlegende Fragen: Gibt es wieder einen Überraschungs-Aufsteiger? Schafft endlich einer der ostdeutschen Klubs den Sprung ins Oberhaus? Und wohin führt Peter Neururer die Bochumer Fahrstuhlmannschaft?

Von Ulrich Hartmann, Boris Herrmann und Philipp Selldorf

Wer steigt auf?

Die zweite Liga behauptet von sich, die beste zweite Liga der Welt zu sein. Trotzdem müssen leider jedes Jahr mindestens zwei Klubs in die erste Liga aufrücken. Diesmal werden Kaiserslautern, Köln und Absteiger Düsseldorf aufsteigen, weil sie die besten Teams und die meisten Fans haben und am meisten Geld einsetzen. Außerdem wird, wie jedes Jahr, der sogenannte Braunschweig-Faktor wirksam: Ein Klub steigt auf, der selbst nicht damit gerechnet hat, diesmal der FC St. Pauli, Union Berlin oder der VfL Bochum (ob trotz oder wegen Peter Neururer, ist Geschmackssache). Und 1860 München? Es könnte knapp werden, aber wahrscheinlich bleiben die Löwen der besten Liga der Welt treu.

Wer steigt mal wieder nicht auf?

Nachdem bereits die 47., die 48., die 49. sowie die 50. Bundesligasaison ohne einen Vertreter aus dem ehemaligen Ostteil Deutschlands stattfanden, wird nun auch die 51. ohne Ostklub beginnen. Der historische Unfall ist zum Normalfall geworden. Und es ist eher nicht zu erwarten, dass sich daran in der 52. Saison etwas ändert. Die vier Ostklubs der zweiten Liga kann man in drei Kategorien einteilen: Dynamo Dresden und Erzgebirge Aus wollen nicht absteigen. Energie Cottbus würde gerne aufsteigen, kann es aber eigentlich nicht. Und Union Berlin kann eigentlich aufsteigen, will es aber nicht sagen.

Dresden und Aue hatten sich in der vergangen Saison erst im letzten Moment gerettet. Während Aues Trainer Falko Götz nun zu allem Überfluss auch noch seinen besten Mittelfeldspieler Jan Hochscheidt verloren hat, der zu Eintracht Braunschweig wechselte, herrscht in Dresden große Transfer-Euphorie. Mit der Verpflichtung von Zlatko Dedic (Bochum) ist das erfolgreiche Sturmduo Dedic/Poté aus der vorvergangenen Saison wiedervereint. Der Dauerkartenverkauf bei Dynamo übersprang prompt die rekordverdächtige Marke von 11 500. In Cottbus gibt es zwar keine neuen Superhelden, dafür wurden immerhin die Verträge mit den Leistungsträgern Ivica Banovic, Uwe Möhrle und Nicolas Farina verlängert. Außerdem kommt in Erik Jendrisek (Freiburg) ein bundesligaerfahrener Stürmer in die Lausitz. Union Berlin kann dagegen auf gleich drei erstligataugliche Zugänge verweisen: Benjamin Köhler (Frankfurt), Mario Eggimann (Hannover) sowie eine neue Haupttribüne (eigenes Handwerk). Keine Frage: Köpenick ist das neue Bayern des Ostens.

Das Methusalem-Komplott

Methusalem wurde nach biblischer Überlieferung 969 Jahre alt. Die Gnade der frühen Geburt ersparte dem alttestamentarischen Protagonisten, dass er sich hochbetagt noch als Fußballprofi in der zweiten Bundesliga verdingen musste. Gleichwohl: Die eingleisige zweite Liga (*1981) ist jünger als viele altgediente Prominente, die ihr in dieser Saison die Ehre erweisen. Gabor Kiraly ist 37 Jahre alt, Torwart bei 1860 München und heißester Anwärter auf den Titel "Zweitliga-Methusalem 2013/2014". In diesen Wettbewerb gehen Fabian Boll (St. Pauli), Daniel Bierofka (1860) oder Marcel Maltritz (Bochum) mit ihren 34 Jahren sowie die 33-jährigen Mohammadou Idrissou (Kaiserslautern), Cristian Fiel (Dresden) oder Paul Freier (Bochum) mit ihrem vergleichsweise knackigen Charme deutlich aussichtsloser.

Einen noch höheren Methusalem-Faktor weist die Trainerriege auf. Aues Falko Götz ist zwar erst 51, aber schon mehrere Jahrhunderte dabei, Dresdens Peter Pacult und Union Berlins Uwe Neuhaus sind 53, der Cottbuser Rudi Bommer ist 55, Bochums Peter Neururer ist 58 und der Älteste von allen, Benno Möhlmann vom FSV Frankfurt, wird am 1. August 59 Jahre alt. Allerdings hat gerade Möhlmann beim aufstrebenden FSV Frankfurt bewiesen, dass Erfahrung wertvoll ist. Möhlmann strahlt juveniles Charisma und eine solch methodische Frische aus, dass mancher jüngere Kollege dagegen alt aussieht.

Kramer vs. Krämer

Dieses Drama des ersten Spieltags hat nichts zu tun mit Kramer vs. Kramer, dem US-Drama von 1979 mit Dustin Hoffmann und Meryl Streep. Aber es ist ähnlich aufregend. Beim Spiel zwischen Greuther Fürth und Arminia Bielefeld treffen nicht nur Ab- und Aufsteiger zusammen, sondern auch zwei der mutmaßlich größten Trainertalente der Liga: Der Fürther Frank Kramer, 41, sammelte als Fußballer keine Erst- oder Zweitliga-Meriten, hat aber drei Länderspiele bestritten. Diese zwar nur in der Studenten-Nationalelf, in der jedoch auch schon Jürgen Klopp gespielt hat.Sein Fußballer-Ideal: Der Argentinier Redondo - ein Spieler, den auch Jupp Heynckes verehrt. 2013 war Kramer der beste Schüler im Trainerlehrgang, außerdem hat er ein Studium in Sport und Englisch, das ihn als Gymnasiallehrer qualifiziert - genau wie Ralf Rangnick. Der Bielefelder Stefan Krämer schloss 2011 den Trainerlehrgang zwar nur als Viertbester ab, profilierte sich aber als extrovertierter Erfolgstrainer des SV Roßbach, den er dreimal zum Aufstieg führte, bis in die Oberliga Südwest. Laut seiner Zählung hat er seit Herbst 2011 rund 120 Spiele mit Arminia bestritten - nie gingen zwei hintereinander verloren.

In der Liga der Trainerroutiniers gibt es also tatsächlich auch ein paar Trainertalente, zum Beispiel auch Paderborns neuen Coach André Breitenreiter. Der Ex-Profi (Hannover, HSV) kommt vom TSV Havelse - wo einst Volker Finke in den Profifußball startete. In Havelse wurde er auch von Herrn Rehhagel angesprochen, jedoch nicht von König Otto, sondern von dessen Sohn Jens, der die Nachwuchsarbeit von Hannover 96 koordiniert. Breitenreiter ging trotzdem lieber zum TUS nach Paderborn, der im Ruf steht, eine Trainerschmiede zu sein. Jos Luhukay (Hertha) und Roger Schmidt (Salzburg) schafften von hier aus Karrieresprünge. Interessant auch: Stefan Ruthenbeck, 41, der den Trainerkurs an der Seite von Torsten Lieberknecht absolvierte, dem Braunschweiger Erfolgstrainer. Ruthenbeck, beim württembergischen VfR Aalen Nachfolger des zurückgetretenen Ralph Hasenhüttl, stammt aus Köln, was erwähnenswert ist, weil ansonsten die Trainer aus dem Schwabenreich nicht importiert, sondern exportiert werden (Klopp, Rangnick, Tuchel, Gisdol).

Tradition verpflichtet

"Unzerbrechlich, unvergesslich, unermesslich stark", stand auf dem Schriftband gerührter Fans, als Arminia Bielefeld im Mai in die zweite Liga aufstieg. Der ostwestfälische Traditionsklub hat in seiner 108-jährigen Geschichte stets die Anmut einer Plastikschüssel bewiesen: kaum zu zerstören. 2009 war Bielefeld zum siebten Mal aus der Bundesliga abgestiegen und schien den Titel des Rekordabsteigers mit dem wirtschaftlichen Knock-Out und dem Sturz ins Nirwana zu bezahlen. Die Insolvenz drohte Ostwestfalens großem Stolz, doch regionale Nothelfer aus der Wirtschaft und die Stadt Bielefeld retteten die arme Arminia, die 1905 nach dem Teutoburger Kriegshelden Arminius betitelt worden war. Nach 17 Spielzeiten in der Bundesliga und der Berufung von Heroen wie Uli Stein, Frank Pagelsdorf, Bruno Labbadia und Ewald Lienen in die Jahrhundert-Elf stürzte Bielefeld 2011 ausgerechnet unter Lienen als Trainer in die dritte Liga ab und besann sich dort notgedrungen des Neuanfangs. Mit dem authentischen Trainer Stefan Krämer und einer jungen Garde tapferer Spieler setzte sich Bielefeld im engen Drittliga-Rennen durch und harrt nun der Herausforderung, die die finanziell besser ausgestattete Konkurrenz ihr stellt.

Nostalgiker dürften an dieser zweiten Liga ihre helle Freude haben: Auch der Karlsruher SC ist zurück, eine Art Badener Äquivalent zu Arminia Bielefeld, nur mit Kahn und Scholl statt Stein und Pagelsdorf.

Der nächste Götze

Ein neuer Götze, der neben dem alten (Mario) Götze die Nationalmannschaft zum Titelgewinn in Brasilien schießt, ist in der zweiten Liga nicht in Sicht. Solche überragenden Talente spielen mittlerweile meistens von Anfang an erstklassig, allenfalls wird ihnen - wie Leon Goretzka zuletzt in Bochum - ein Debütjahr gegönnt, bevor sie - wie Goretzka - nach Schalke wechseln. Aber gibt es denn einen neuen Goretzka? Vielleicht. Der Kölner Yannick Gerhardt, 19, wurde soeben mit der silbernen Fritz-Walter-Medaille seiner Altersklasse ausgezeichnet, und der neue FC-Trainer Peter Stöger plant offenbar, ihn zum Saisonstart in Dresden in die erste Elf aufzunehmen. Gerhardt ist ein vielseitiger Defensivspieler, an seinen fußballerischen Vorbildern wird mancher FC-Fan erkennen, wie alt er geworden ist. Unter anderen bewundert die Nachwuchshoffnung den Münchner Luiz Gustavo, der selbst erst dem Nachwuchsstatus entwachsen ist.

Potenzial wird auch Dominik Stahl nachgesagt, der sich bei 1860 München wachsender Beliebtheit erfreut. Stahl ist ein robuster defensiver Mittelfeldspieler, also eine Sorte Fußballer, die aktuell wieder gefragt ist, weil der Spielertyp Götze im deutschen Fußball etwas überrepräsentiert ist. Er ist aber schon 24 Jahre alt - aus Götzes und Goretzkas Sicht ein alter Mann. Ein guter Ruf geht außerdem dem Kaiserslauterner Verteidiger Dominique Heintz, 19, voraus, den mehrere Erstligisten auf dem sogenannten Zettel haben. Der einst von Mehmet Scholl gerühmte Ingolstädter Christoph Knasmüllner, 21, wiederum erlebt die dunkle Sorte des Fußballertraums. Er hat zwar schon bei Bayern München und Inter Mailand gespielt, doch jeweils nur in den Zweitvertretungen, und in Ingolstadt hat sich der Österreicher bisher noch nicht als neuer Herzog profiliert. Allerdings: Das kann ja noch werden, in der neuen Saison.

© SZ vom 19.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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