Stadionprojekt beim AS Rom:Modernes Kolosseum

"Das wird unser neues Haus": Der AS Rom will im Südwesten der Stadt für 700 Millionen Euro eine Arena hochziehen. Der ewige Kapitän Francesco Totti ist begeistert, doch nicht alle teilen die Lust am Stadionbau.

Von Birgit Schönau, Rom

Ein Traum, dieses Stadion. 70 000 Plätze, mitten in der Stadt, Metro, Bus und Tram - alles vor der Tür. Ein Bauwerk ohne Schnickschnack und voller Grandezza, ganz aus Ziegel, Tuff und Travertin. Keine Tartanbahn, perfekte Rundumsicht, von den oberen Rängen schweift der Blick weit nach draußen, auf Hügel voller Pinien und Zypressen. Erst kürzlich kam Barack Obama hier vorbei, stapfte durch die Sitzreihen und staunte: "Dieses Ding ist ja größer als unsere Baseballstadien." Baseball? Karfreitag kommt der Papst, zum Kreuzweg, die Arena fungiert seit 1749 auch als Kirche, in Rom sagt man: neuerdings.

Schließlich steht das Kolosseum schon eine Weile, seitdem es im Jahre 80 nach Christus durch 100-tägige Dauerspiele eingeweiht wurde. In der Osterwoche ist es wieder caput mundi, das Haupt der Welt, im Duo mit der Peterskirche, die aus den Steinen der alten Arena gebaut wurde. Heiliges und Profanes, dazwischen Touristenmassen. Das Kolosseum ist der Ort für Sensationen, das bis heute berühmteste Stadion der Welt.

Es gibt Römer, die finden es tatsächlich schade, dass der AS Rom hier nicht einziehen kann. Sie halten das Flavische Amphitheater, wie das Kolosseum offiziell heißt, für die angestammte Spielstätte eines Klubs, der die etruskische Wölfin und die Zwillinge Romulus und Remus im Wappen trägt.

Der Architekt baut gerne Baseball-Stadien

Weil das Stadio Olimpico in die Jahre gekommen ist und überdies dem Nationalen Olympischen Komitee (Coni) gehört, will der AS Rom jetzt eine eigene Arena, investiert werden sollen 700 Millionen Euro für ein Stadion im Südwesten der Stadt auf dem Gelände einer ehemaligen Pferderennbahn. Architekt ist der Amerikaner Dan Meis, bislang Spezialist für Football- und Baseball-Arenen in den Staaten.

Zu sagen, er hätte sich vom Stadion der Kaiser inspirieren lassen, wäre jetzt sehr geschmeichelt, immerhin sind mit viel Phantasie in seinem Entwurf Anklänge an die famosen antiken Bögen zu erkennen. Es soll halt so werden, wie sich Amerikaner ein neues Kolosseum vorstellen, schließlich hat der AS Rom amerikanische Besitzer und einen italo-amerikanischen Präsidenten mit einem Namen wie aus einem Film von Martin Scorsese: James Pallotta.

Das Roma-Stadion wird nicht ganz so groß werden wie das Kolosseum. Heutzutage ist es schwieriger, eine Arena zu füllen - nicht zuletzt, weil Eintritt zu zahlen ist, wird man mehr als 50 000 Plätze kaum los. Zum Vergleich: Die größte Sportstätte im antiken Rom, der Circus Maximus, hatte zur Kaiserzeit 160 000 Plätze. Die Anhänger teilten sich in vier "Circus"-Parteien, nach den Farben der Rennställe, Kaiser Nero etwa war ein Fan der Grünen.

Die Zeit des Fernsehpublikums ist vorbei

Während das Kolosseum in eine Talmulde gepflanzt wurde, wo vormals ein See Neros irres Auge erfreute, wird die postmoderne Eventschüssel des AS Rom leicht erhöht stehen. Das soll majestätischer wirken, vor allem aber wäre die Arena den schmutzigen Fluten des nah vorbeifließenden Tibers entrückt, der in Frühjahr und Herbst oft Hochwasser trägt.

Totti bekommt Gänsehaut

Unter großem Pomp wurde das Modell des Roma-Stadions auf dem Kapitolshügel vorgestellt, wo Roms Bürgermeister Ignazio Marino quasi im alten Jupitertempel residiert. Marino ist kein Stadiongänger, noch nicht einmal ein Fußballfan, aber er weiß, dass ein neues Stadion in dieser fußballkranken Stadt populärer machen kann als eigenes Charisma. Jedenfalls mit Unterstützung der Roma-Männer. Rudi Garcia, der hispano-gallische Roma-Trainer, erklärte listig: "Das wird unser neues Haus, mir persönlich gefällt aber vor allem der Rasen in der Mitte." Und der ewige Kapitän Francesco Totti schwärmte, er bekäme "Gänsehaut" bei der Vorstellung, in diesem wunderbaren neuen Stadion zu spielen. Was knapp werden dürfte, denn Totti erreicht im September das für einen Fußballer biblische Alter 38.

Zum 40. Geburtstag, so versprechen großspurig Marino und Pallotta, soll die Spielstätte fertig sein. Doch vieles deutet darauf hin, dass sie zu Ehren des dann wohl doch pensionierten Kapitäns "Totti-Stadion" heißen könnte. Am neuen Kolosseum dürfte mindestens so lang gebaut werden wie am Original, die Flavier Vespasian und Titus brauchten seinerzeit acht Jahre. Aber sie kannten weder bürokratische Hürden noch Überstundenregeln.

Beim Stadion Tor di Valle käme noch die Bauzeit für Infrastrukturen dazu, also eine Metrostation und neue Straßen. Drei Jahrzehnte wären hier die römische Durchschnittsgeschwindigkeit, unter dem Pflaster liegt ja nicht der Strand, sondern eine versunkene Welt der antiken Schätze. Und sobald die Bauarbeiter auf eine Tonscherbe stoßen, rufen die Denkmalschützer: Halt! Umweltschützer tun das jetzt schon, ihnen liegt die Arena viel zu nah am Tiber.

Der AS Rom aber drängt. In der Liga sind die Römer Dauerzweiter hinter Juventus Turin, jetzt wollen sie ebenfalls als Zweite hinter Juve einen eigenen Fußballtempel haben. Bislang ist das Turiner "Juventus Stadium" das einzige moderne Stadion im Klubbesitz, errichtet auf den Trümmern des alten Alpenstadions ist es stets gut gefüllt, am 14. Mai findet dort das Finale der Europa League statt. Seit der Einweihung 2011 schielt die Konkurrenz neidisch auf Turin.

Jahrzehntelang hatten Italiens Fußballbosse ihre Spielstätten vernachlässigt, im Land des Fußball- und Fernsehpräsidenten Berlusconi umwarb man einzig das Fernsehpublikum und behandelte die Stadiongänger wie lästiges Fußvolk. Kein einziger Klub investierte in ein eigenes Stadion, stattdessen war man für kleines Geld bei den Kommunen zur Miete oder beim Coni. Als die Arenen immer maroder wurden und die Zuschauer wegblieben, zuckten die Fußball-Cäsaren nur mit den Schultern. In der dritten Liga schloss einer sogar zeitweise die Kurven ganz und ersetzte das Publikum durch Pappkameraden - im Fernsehen sah das täuschend echt aus.

Vorbild "Münchner Modell"

Doch die Zeit der Berlusconis in Politik und Fußball ist abgelaufen. Das Juve-Mutterunternehmen Fiat ist zu einem internationalen Konzern mit Hauptsitz außerhalb Italiens mutiert, Inter Mailand und der AS Rom gehören ausländischen Besitzern, der Verkauf von Berlusconis AC Milan ist eine Frage der Zeit. Um mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können, benötigen die Italiener wieder Stadien, die Geld bringen und womöglich jene Events, die die Uefa bislang lieber anderen zuschanzte. Die Politik fördert diese kleine Kulturrevolution, noch in diesem Frühjahr soll ein Gesetz verabschiedet werden, das die bürokratische Prozedur für den Stadionneubau verschlankt.

Die letzten Feudalherren unter den Fußballpräsidenten wie etwa Lazio Roms Patron Claudio Lotito sind nur dann zur Investition in eine neue Arena bereit, wenn ihnen gleich die Genehmigung für ein ganzes Stadtviertel drumherum gewährt würde. Das neue Gesetz aber verbietet die Konstruktion in Wohnvierteln. Ein Stadion soll kein Vorwand sein für die Spekulation mit neuen Satellitenstädten.

Auch in Neapel ist mit dem SSC-Besitzer Aurelio De Laurentiis ein Patron der alten Schule am Werk. Der Filmproduzent hat das Stadio San Paolo von der Stadtverwaltung gemietet, ist aber mit sechs Millionen Euro Miete im Rückstand. Investiert hat De Laurentiis in neun Jahren nur in die Umkleidekabinen, nach der ersten Champions-League-Saison rückte er immerhin auch noch das Geld für eine Anzeigetafel heraus.

Jetzt droht der Präsident mit Emigration, falls ihm die Stadtoberen von Neapel nicht das Stadion zur Renovierung überlassen: "Ich gehe mit Trainer Rafael Benitez und den Spielern nach England und übernehme dort einen Klub. Hier kann die Jugendmannschaft bleiben und meinetwegen mit den Ratsherren Fußball spielen." Der Bürgermeister, ein früherer Staatsanwalt, bleibt cool: De Laurentiis könne ja statt starker Sprüche mal ein Projekt präsentieren.

In Florenz ist Fiorentina-Besitzer Diego Della Valle schon einen Schritt weiter. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung entwickelt der AC Florenz sein Stadion "nach dem Münchner Modell, aber natürlich eine Nummer kleiner". Bis das Projekt und die Genehmigung stehen, investiert Della Valle als erster italienischer Privatmann schon mal in die Renovierung einer anderen Arena. 25 Millionen Euro hat der Luxusunternehmer locker gemacht, damit die Fassade eines antiken Stadions nach 450 Jahren Dauerbetrieb und anderthalb Jahrtausenden Vernachlässigung in neuem Glanz erstrahlt: Fiorentina-Patron Della Valle zahlt für den Erhalt des römischen Kolosseums.

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