SSC Neapel:Napoli glänzt wie einst bei Maradona

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Der SSC Neapel ist endlich wieder ganz vorne in Italien. Den Napoli-Profis gefällt das.

(Foto: AFP)
  • Das gab es 25 Jahre nicht mehr: Der Fußballklub SSC Neapel führt wieder die italienische Liga an.
  • Und das mit einem unbekannten Trainer, der früher einmal Banker war.

Von Birgit Schönau, Neapel

Als Dirigent taugt er nichts, der Pipita. Das macht aber nichts, solange er Neapel mit seinen Toren den Einsatz gibt. Gleich zwei Tore hatte Gonzalo Higuain, die kleine Pfeife, an diesem Abend dem Tabellenführer Inter Mailand verpasst, das erste schon 64 Sekunden, ein Treffer zum Einrahmen. Den Ball mit dem Rücken zum Tor abgerupft, eine halbe Hüftdrehung: drin. Und dann das 2:0 in der 62. Minute, diesmal mehr Kampf als Spektakel.

Nun steht also der SSC Neapel alleine an der Tabellenspitze, zum ersten Mal nach einem Vierteljahrhundert, zuletzt geschah das im April 1990, als der Klub der süditalienischen Metropole mit Diego Armando Maradona Meister wurde. Maradona ist Argentinier wie Higuain, mehr verbindet die beiden kaum. Mit seinen 1,84 Metern ist El Pipita einen guten Kopf größer als der Fußballgott der Vätergeneration, Higuain ist kein Dribbler, Trickser und Täuscher, sondern ein opportunistisches Kraftpaket.

El pipa war der Spitzname von Higuains Vaters Jorge, einem ehemaligen Verteidiger mit Eisenfüßen und großer Pfeifennase. Letztere hat sich dominant vererbt, doch der Sohn ist natürlich viel geschmeidiger. Jedenfalls auf dem Platz, ohne Ball wirkt er geradezu rührend linkisch. Als Gonzalo Higuain nach dem Schlusspfiff unter die Tribüne trat, um die ekstatisch johlenden Massen zu dirigieren, ruderte er wild mit den Armen wie der Vorturner bei Trockenübungen. Und genauso staubtrocken fasste er wenig später den Abend zusammen: "Ich kenne keine Mannschaft, die nicht leiden muss, um zu gewinnen."

Stimmt ja, jedenfalls in Italien. Da ist dank des kläglichen Saisonstarts von Rekordmeister Juventus Turin inzwischen beneidenswert viel Bewegung in die Liga gekommen, jedenfalls gemessen am Maßstab der deutschen Bundesliga, in der die Bayern mindestens unschlagbar sind. An der Spitze der italienischen Liga drängeln sich jetzt vier Klubs mit denkbar knappem Abstand. Napoli führt vor Inter, dem formidabel aufspielenden AC Florenz und der zuletzt kriselnden AS Roma. Erst dann folgt Juve, es ist nach vier Jahren erstickender Turiner Dauerdominanz richtig spannend.

Dass die Neapolitaner den zurzeit schönsten Fußball bieten, rauschhaft zelebriert besonders vor heimatlichem Publikum, wurde auch am Montagabend betätigt. Genauso offensichtlich aber bleibt Inter Mailand der härteste Rivale. Wenn Inters Japaner Yuto Nagatomo nicht kurz vor der Pause die gelb-rote Karte erhalten hätte, wären die Neapolitaner wohl in größte Schwierigkeiten geraten, denn die zweite Halbzeit geriet trotz Führungsausbau und Überzahl bei weitem nicht so souverän, wie man das hätte erwarten können. Inter kämpfte bis zuletzt, schaffte dank Adem Ljajic noch den Anschlusstreffer (67.) und scheiterte in der Schlussphase, als sich Neapel schon selig singend in den Armen lag, zwei Mal am Pfosten des vom Ex-Bayern Pepe Reina zuverlässig gehüteten Tors.

Inters Minimalismus

Kein Wunder, dass Inter-Coach Roberto Mancini keinerlei Unterlegenheitsgefühle äußern wollte und stattdessen mächtig auf den Schiedsrichter schimpfte. Mancini, 51, selbst einer der talentiertesten Angreifer seiner Zeit, setzt in Ermangelung herausragender Akteure in seinem Team ganz auf die Kraft und die chamäleonhafte Anpassungsfähigkeit seines Teams.

Das Ergebnis ist selten mitreißend, aber immer solide. Mit nur 17 Treffern hat Mancinis Inter die mit Abstand magerste Ausbeute des Führungsquartetts (Neapel hat 26, die Roma 29), aber die Hintermannschaft verfügt über meisterliche Qualitäten. Ein wenig erinnert diese Internazionale an das Triple- Team von 2010, doch Mancini geht zum Glück der Zynismus seines Vorgängers José Mourinho ab. Wer selbst als begnadeter Feintechniker Triumphe feierte, bewahrt sich eben die Freude am schönen Spiel.

Stets elegant gekleidet bleibt Mancini auch als Trainer ein bekennender Ästhet - im Gegensatz zu seinem neapolitanischen Rivalen Maurizio Sarri. Der Nachfolger des glücklosen Spaniers Rafael Benitez zeigt sich grundsätzlich nur im Trainingsanzug. Sarri, 56, war nie Profi-Fußballer, sondern machte frühzeitig eine Banklehre. Als Banker hatte er Arbeitseinsätze in London, der Schweiz und Luxemburg absolviert, mit hervorragendem Einkommen, doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere stieg Sarri aus und wurde Fußballtrainer.

Es folgten Stationen in Italiens Fußball-Pampa, bei Klubs namens Faellese Calcio, Cavriglia, Antella, Valdema, Tegoleto oder Sansovino und - als letzte Station vor Neapel - der toskanische Provinzverein Empoli. Als Sarri in Neapel eintraf, beschlossen die Fans, ihn und seine Mannschaft erst einmal zu ignorieren. Gähnende Leere herrschte im riesigen San-Paolo-Stadion, bis der Kauz mit den zwei Brillen (eine auf der Nase, die Lesebrille griffbereit am Band) plötzlich zum Höhenflug ansetzte.

Von Sarri weiß man, dass er Charles Bukowski, John Fante und Mario Vargas Llosa liest, möglicherweise auch beim Training. Journalisten müssen damit rechnen, dass er bei blöden Fragen ein Buch herauszieht und sich darein vertieft, um ihrem Geschwätz zu entfliehen. Gefragt, ob der SSC Neapel nach dem Triumph über Inter nun vom Meistertitel träumen dürfe, knurrte Sarri: "Redet keinen Quatsch. Mit 31 Punkten haben wir noch nicht mal den Klassenerhalt."

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